Till Lindemann:Vater und Sohn

Anfang der Achtziger lebte der Schriftsteller Werner Lindemann eine Weile mit seinem Sohn Till zusammen, der später die Band "Rammstein" gründete. Seine Aufzeichnungen zeigen, dass es keine einfache Beziehung gewesen ist.

Der Vater versteht das Liebesleben des Sohnes nicht. Da gibt es das treue Mädchen M. aus R., das fast jedes Wochenende die beschwerliche Reise aufs Land auf sich nimmt, um den Sohn zu sehen und bei ihm in der Dachkammer zu übernachten. Aber nach ihrer Abfahrt tobt dieser sich jedes Mal kräftig anderweitig aus. Zum Beispiel beim "Dorfbums", wie der Sohn das nennt, nach dem dummerweise ein anderes Mädchen fürchtet, von ihm schwanger zu sein.

Der Vater versteht aber auch vieles andere nicht an seinem Sohn, den Musikgeschmack zum Beispiel. "Warum", fragt er sich, "hört der Bursche nicht einmal klassische Werke?" Und die Frisur, schrecklich: "Du müsstest mal zum Frisör gehen." Das flegelhafte Verhalten, unerträglich: Der Junge "rülpst wie ein Schaf beim Wiederkäuen".

Lange bevor er mit seiner Band Rammstein weltberühmt wurde, lebte der 19-jährige Till Lindemann Anfang der Achtzigerjahre für einige Zeit bei seinem Vater auf dem Land in Mecklenburg, wo er eine Lehre als Stellmacher in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft begann. Der Vater, Werner Lindemann, war in der DDR ein bekannter Autor von Kinder- und Jugendbüchern und bewohnte ein Bauernhaus in der Gemeinde Zickhusen. Das komplizierte Zusammenleben mit dem Sohn hat er in unregelmäßiger Tagebuchform festgehalten, das Buch erschien erstmals kurz vor der Wende in kleiner Form in der DDR. Nun wurde es, ergänzt um ein ausführliches Interview mit dem heute 57-jährigen Till Lindemann, unter dem Titel "Mike Oldfield im Schaukelstuhl" neu aufgelegt.

Till heißt im Buch Timm, was aber schon damals ein eher lustloses, auch unnützes Pseudonym gewesen sei, wie Lindemann junior findet. Das Porträt seiner Jugendjahre entstand ohne sein Einverständnis: "Ich fand überhaupt nicht gut, dass mein Vater das einfach veröffentlicht hat, ohne mich zu fragen. Alle wussten, dass ich der Timm im Buch bin. Das waren mir zu viele Einblicke in mein Leben", sagt Till im Nachwort. Er habe damals zwar gewusst, dass sein Vater ein Tagebuch über ihre Männerwohngemeinschaft führte, nicht aber, dass er beabsichtigte, es zu veröffentlichen. Die sechs Jahre, die zwischen den geschilderten Ereignissen 1982 und dem Ersterscheinen 1988 verstrichen, erklärt Till Lindemann damit, dass der Text dem Stammverlag seines Vaters zu riskant gewesen sei. Er enthält "eine Reihe kritischer Gedanken zur DDR", sowohl vom Vater als auch vom Sohn. Zum Beispiel philosophieren die beiden über Sinn und Unsinn des Rübermachens. Erst kurz vor dem Mauerfall habe sich dafür ein Verlag gefunden, weshalb es "fast schon ein Wendebuch" geworden sei.

Im Nachhinein sind die zart regimekritischen Nebensätzchen über die DDR-Führung und ihre Sozialismusutopien aber deutlich weniger spannend als die Beobachtungen eines Vaters über die Beziehung zu seinem Sohn. Dem Buch vorangestellt hat Werner Lindemann den Satz: "Junge Bäume haben Mühe, hochzukommen im Schatten der alten."

Die Lebenssituation der Familie Lindemann sah Anfang der Achtzigerjahre so aus, dass Tills Eltern zwar noch ein Paar waren, aber getrennt lebten. Der menschenscheue Werner hatte sich aufs Land geflüchtet mit seinen drei Katzen Mulle, Billi, Puschi, werkelte an seinen Gedichten und dem dauerbaufälligen Haus herum und marinierte Salzheringe.

Frankfurter Buchmesse 2017. Sänger Till Lindemann ( Rammstein ) am 14.10.2017 auf der Frankfurter Buchmesse. *** Frankf

Sohn und Rammstein-Sänger: Till Lindemann.

(Foto: imago)

Die Mutter Gitta, eine Kulturjournalistin, wohnte mit Till und dessen jüngerer Schwester in Rostock. Till wiederum war für einen Jugendlichen, zumal in der DDR, bereits außergewöhnlich welterfahren, weil er in seiner Jugend als Leistungsschwimmer viel Zeit in diversen europäischen Schwimmbecken verbracht hatte.

Als er schließlich zum Vater zog, um die Stellmacherlehre anzutreten, bei der er lernen sollte, landwirtschaftliche Geräte aus Holz zu produzieren, waren sein Vater und er sich fremd, weil sie sich jahrelang kaum gesehen hatten. Darunter litt Werner Lindemann und machte seine vorsichtigen, unbeholfenen Annäherungsversuche an den Sohn zum Thema des Buchs: "Meine Gedanken umkreisen den einen Punkt: Wie mache ich mir meinen Sohn zum Freund?"

Er, der sich selbst als "Einsamkeitsarbeiter" bezeichnet, versucht verzweifelt, die Lebenswelt des 19-Jährigen zu verstehen, und gerät dabei in einen unvermeidlichen Generationenkonflikt, weil das Kind, das doch längst ein junger Erwachsener ist, sich auf das Kennenlernspiel nicht ohne Weiteres einlässt. Deshalb sehen die ersten Wochen aus Sicht des Vaters so aus: "Ich rede über meine Eltern, Gutsarbeiter voller Demut. Mein Sohn hört ein Weilchen zu, steht auf, gähnt und geht aus dem Zimmer. Beleidigt laufe ich bis zum Wildbirnbaum und zurück."

Werner Lindemann leidet unter der typischen Intellektuellenkrankheit, dass er die Probleme von Beziehungen zwar vorhersehen und in der Theorie reflektieren, sie in der Praxis aber selber nicht vermeiden kann. Er trägt seinen Teil zu den Streitigkeiten bei. Einerseits versteht er, dass sein Junge "wie viele junge Leute" darunter leidet, "dass wir Erwachsenen von ihnen erwarten, was wir von uns erwarten". Andererseits kann er es auch nicht lassen, dem Sohn ständig unter die Nase zu reiben wie gut er es doch habe, und dass er, der Vater, eine viel schwierigere Kindheit auf dem Buckel hat. Deshalb will er auch, dass der Sohn monatlich 150 Mark "Unterhaltsbeitrag" an ihn zahlt. "Ich brauche dieses 'Kostgeld' nicht, aber der Junge muss begreifen, dass Geld zum Leben notwendig ist, dass es ihm nicht geschenkt wird."

Pointiert und berührend beschreibt Werner Lindemann das alte Dilemma aller Beziehungen, dass man sich seinen Mitmenschen vor allem in ihrer Abwesenheit besonders nah fühlt, während man es in ihrer Anwesenheit vergeigt. Als der Sohn bei der Arbeit ist, steigt der Vater hinauf in dessen Zimmer: "Aus einem verdrießlichen Arsch fährt kein fröhlicher Furz, heißt es. Ich steige in die Dachkammer, wähle eine Schallplatte aus dem Stapel: Mike Oldfield. Nie gehört. Ich lausche der Musik. Schön! Sehr schön sogar! Aber warum muss sie laut gehört werden?"

Werner Lindemann

Schriftsteller und Vater: Werner Lindemann.

(Foto: Barbara Morgenstern/dpa)

Der Vater wundert sich selbst darüber, dass ihn die größeren Zwischenfälle - der Sohn fährt seinen Trabant zu Schrott, 2000 Mark Schaden - kaum aus der Fassung bringen, die kleinen hingegen schon. Als Till alias Timm eines Tages unbedacht mit Schlammstiefeln durchs frisch geputzte Haus stapft, kommt es zwischen Vater und Sohn zu einer Rangelei: "Wo es an Argumenten fehlt, gebraucht man die Fäuste - ich hole aus, schlage zu. Timm wehrt sich. Ich stolpere, falle auf die Stufen des Hauseingangs."

Dieser Kampf steht am Ende des Buchs, und auch wenn der Vater eine Versöhnung andeutet, ein kleines Happy End, führte er zum Bruch zwischen den beiden. Der Kampf, so der Sohn im Nachwort, war "eigentlich der Auslöser dafür, dass ich weggegangen bin".

Die Aufzeichnungen seines Vaters und dessen Sicht auf die Auseinandersetzung habe er erst viel später gelesen. Weshalb eine Art Gegendarstellung der Vater-Sohn-Jahre aus seiner Sicht eine schöne Ergänzung zu diesem Text wäre - Till Lindemanns Autobiografie steht ohnehin noch aus. Den Erfolg des Sohnes hat der Vater nicht mehr miterlebt, er starb 1993 an Krebs. Ein Jahr später gründete Till Lindemann Rammstein.

Werner Lindemann: Mike Oldfield im Schaukelstuhl. Notizen eines Vaters. Mit einem Nachwort von Till Lindemann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 213 Seiten, 12 Euro.

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