Süddeutsche Zeitung

Tilda Swinton auf der Viennale:So viel Selbstschutz muss sein

Der Wanderfrau gehört die Welt: Die angeblich so androgyne Tilda Swinton stellt als Stargast auf der Viennale ihren neuen Film vor, der sich um Berlin dreht.

Susan Vahabzadeh

Tilda Swinton sagt gern, dass sie als Spionin in Hollywood unterwegs ist, ihre eigenen Filmsets wie eine Touristin besucht. Wenn sie von ihren Reisen durchs Mainstream-Kino erzählt, erinnert das auch an die Urlaubsberichte von Leuten, die sich todesmutig in die Dritte Welt gewagt haben: sehr interessant, fahren wir aber nie wieder hin. Vielleicht steht das, irgendwie, für die ganze Haltung, mit der sie Filme macht. Auch "Cycling the Frame", der Kurzfilm, den sie 1988, noch ganz unbekannt, mit ihrer Freundin Cynthia Beatt drehte, ist Filmtourismus. "Ich war damals oft in Berlin bei Cynthia, die dort lebte."

Damals filmte Beatt, wie Swinton an der Mauer entlangradelt, einmal Westberlin umrundet und dabei laut denkt: Es gibt ein Ungleichgewicht der Beachtung - auf der einen Seite Menschen in Wachtürmen, fixiert auf dieses Bauwerk; auf der anderen wird es nach Kräften ignoriert, "als würde man auf einer Insel so tun, als gebe es kein Meer". Im Juli haben die beiden diese Reise noch einmal unternommen - für den neuen Film "The Invisible Frame", der hier auf der Viennale seine Uraufführung erlebte, radelt Swinton an der Mauer entlang, die es nur noch in den Köpfen gibt, entdeckt neue Mauern - Privatgelände, betreten verboten! - und Orte, an denen sie damals war und die sie kaum wiedererkennt.

Tilda Swinton steht im Zentrum des Festivals, mit dem neuen Film und einer kleinen Retro, die ihr gewidmet ist. Auch als Stargast, beim Eröffnungsfest, oder wenn sie nach den Vorführungen von ihren Filmen erzählt, wirkt Tilda Swinton wieder, als würde sie einen interessanten Trip in fremde Welten unternehmen. Mitte der Achtziger begann sie, mit dem 1994 verstorbenen Filmemacher Derek Jarman zu arbeiten, "meine Geburt als Künstlerin", machte mit ihm neun Filme, pflegt noch heute sein Erbe, immer besorgt, er könnte Abseits gestellt werden.

Da hat sie ja Recht - Jarmans Filme, "Caravaggio", "The Garden", hier in der Retro dabei, wurden damals als Teil des Kinos, nicht der Kunst wahrgenommen, waren präsent und erfolgreich. Swinton hatte, bevor sie Jarman traf, Literatur und politische Wissenschaften studiert, in Cambridge. Und war, als sie von der Uni kam, gleich in die Royal Shakespeare Company aufgenommen worden, die sie auf eigenen Wunsch wieder verließ: Nicht ihr Ding

In "Cycling the Frame" erwähnt sie einmal kurz Sally Potter - mit der sie dann "Orlando" machte, ihren Durchbruch, hier als große Gala aufgeführt. "Ich kannte Sally schon, und eines Tages lud sie mich zum Tee ein und knallte mir eine Taschenbuchausgabe von Virginia Woolfs ,Orlando' auf den Tisch", erzählt sie. Ob sie damals ermutigt wurden, diesen Film zu machen? "Nein, wir wurden entmutigt, und wie. Wir haben, um das Geld zusammenzubekommen ziemlich entwürdigende Dinge getan. Waren bei Freunden von Freunden, die Geld hatten - in der Hoffnung, dass sie investieren, und ich habe dort live ein bisschen von meiner Rolle vorgetragen."

Sie haben es geschafft - "Orlando", die opulente Reise durch die Zeit mit einem jungen Adligen, wurde für zwei Oscars nominiert. Man hat sich damals, 1992, sehr darauf konzentriert, dass diese Figur, die nicht altert und jahrhundertelang lebt, eines Tages einfach zur Frau wird; eigentlich aber durchläuft Orlando einfach sehr unterschiedliche Formen der Existenz - und trifft jedesmal auf neue Grenzen, will als Mann nicht kriegerisch sein, darf als Frau nicht besitzen, verliert soziale Privilegien.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Swinton nach Hollywood kam.

"Orlando" brachte Tilda Swinton den Ruf ein, androgyn zu sein - was weder im Film noch im richtigen Leben stimmt. Sie mag eine Frau sein, die alle angeblich vom Geschlecht gesetzten Grenzen nicht akzeptiert - aber eine Frau ist sie, sichtlich und in jedem Moment. Der Rest ist Kunst. Gespielt hat sie Männer immer wieder, sogar einen Mozart auf der Bühne des Burgtheaters, der, sagt sie, von den Wienern nicht gemocht wurde: "Nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich keine Österreicherin bin."

"Au hasard Balthazar" von Robert Bresson gibt es als Dreingabe in der Swinton-Retro, denn sie liebt Bresson, und ganz besonders den Esel Balthazar, dem sie sich, sagt sie, als Darstellerin so wahnsinnig nah fühlt: Sie sei eigentlich gar keine Schauspielerin, komme sich vor wie ein Schulkind, dass krank gewesen ist und jetzt nicht mehr mitkommt, wenn die Schauspielerei verhandelt wird.

Hollywood? Da ist sie nur hingekommen, weil die Studios angefangen haben, exzentrische neue Regisseure zu beschäftigen, die von ihr schon gehört hatten, Spike Jonze etwa, der mit ihr "Adaption" machte, oder David Fincher, der ihr eine wundervolle Rolle in "Der seltsame Fall des Benjamin Button" gab - wo sie als ältere Dame Widerstand gegen die Zeit leistet und den Ärmelkanal durchschwimmt. Der Oscar für "Michael Clayton"? Den hat sie ihrem Agenten gegeben, der habe ihn verdient. Und außerdem durfte die Statuette so in Los Angeles bleiben: "Ich wollte doch nicht, dass er Heimweh bekommt." Das ist natürlich eine Pose, aber eine sympathische.

"What have I learned in 21 years?", mit dieser Frage beginnt "The Invisible Frame". Sie hat, sagt Tilda Swinton, sich viel Mühe gegeben, diese Frage nicht zu beantworten. Warum nicht? Vermutlich, weil sie so viel nicht von sich selbst preisgeben will. Vielleicht ist das ihre Kunst: Ungeheuer viel von sich selbst in ihre Arbeit zu stecken - dann aber nicht zu verraten, was genau. So viel Selbstschutz muss erlaubt sein. Aber die Vorstellung ist ganz schön: Dass sie durch ihre Filme reist wie Orlando durch die Zeit, und dabei doch letztlich immer Tilda Swinton bleibt.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2009/iko
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