Süddeutsche Zeitung

"Keinohrhasen"-Streit:Zahlen, bitte

Die Drehbuchautorin Anika Decker erstreitet vor Gericht Auskunft darüber, wie viel Geld Til Schweigers Filme "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken" den Produktionsfirmen eingebracht haben.

Von Julia Bergmann

Für die Drehbuchautorin Anika Decker war der Dienstag ein guter Tag. Um 12 Uhr urteilte das Berliner Landgericht, dass sie Auskunft darüber erhalten muss, wie viel Geld die beiden Filme Keinohrhasen und Zweiohrküken den Produktionsfirmen eingebracht haben. Decker war Drehbuchautorin bei den beiden Komödien und hatte gegen Til Schweigers Firma Barefoot und den Filmgiganten Warner Bros. geklagt. Denn gemessen am Erfolg der beiden Filme sei sie als Drehbuchautorin nicht ausreichend vergütet worden, so ihre Meinung. Auch die Zivilkammer 15 des Landgerichts begründete ihre Entscheidung am Dienstag damit, dass wegen des überdurchschnittlichen Erfolgs der beiden Filme Anhaltspunkte für einen möglichen Anspruch der Klägerin auf weitere Beteiligung bestünden.

Das Problem: Barefoot und Warner Bros. hielten sich bisher bedeckt, was ihre Geschäftszahlen angeht. Aber nur auf Grundlage der Zahlen kann in einem zweiten Verfahrensschritt entschieden werden, ob Decker tatsächlich Anspruch auf eine nachträgliche höhere Vergütung hat.

Das Einspielergebnis könnte bei bis zu 111 Millionen liegen

Dass ihr das Gericht das Recht auf die Einsicht der Bilanzen erlaubt, bedeutet also noch nicht, dass ihr eine Nachvergütung zusteht. Das Teilurteil dürfte in der Branche aber trotzdem für Unruhe sorgen. Denn sowohl in den USA als auch in Deutschland halten sich die großen Firmen gerne bedeckt, wenn es darum geht, was ein Film tatsächlich eingespielt hat. Mehr noch: In den USA ist es sogar gängige Praxis, die Einspielergebnisse von Filmen bis auf null herunterzurechnen. Dafür gibt es sogar ein eigenes Wort: "Hollywood Accounting". Die an der Produktion beteiligten kreativen Partner haben in solchen Fällen das Nachsehen - besonders dann, wenn sie mit Profitbeteiligungen bezahlt werden sollten, was oft der Fall ist.

Nach den Besucherzahlen, die die Filmförderung bekannt gegeben hat, rechnen Beobachter damit, dass Keinohrhasen allein an den Kinokassen 70 Millionen Euro eingespielt haben könnte. Schätzungen zufolge könnte Zweiohrküken noch einmal 41 Millionen Euro erbracht haben. Barefoot ließ eine Anfrage dazu am Dienstag zunächst unbeantwortet. Wie viel davon an die Produktionsfirmen zurückgeflossen ist, ist nicht bekannt. Unklar ist auch, wie viel die beiden Filme nach der Kinoauswertung, etwa durch Fernsehrechte, Rechte für Streamingdienste oder im DVD-Verkauf eingebracht haben. Genau um diese Einnahmen geht es Decker mit ihrer Klage. Gemessen am späteren Erfolg der beiden Filme nach der Kinoauswertung hätten die Honorare höher sein müssen, findet sie.

Dass die Drehbuchautorin nun Anspruch auf die Einsicht in die Verwertungserträge beider Filme bekommt, ist in der Filmbranche nun eine kleine Sensation. Aber eben nur eine kleine. Der Rechtsspruch vom Dienstag ist lediglich ein Teilurteil in einer, in solchen Fällen üblichen, Stufenklage. Die erste Verfahrensstufe ist nun erreicht. In einer zweiten muss das Gericht nun klären, ob Decker tatsächlich Anspruch auf eine nachträgliche, höhere Vergütung hat und wenn ja, wie hoch diese ausfallen muss.

"Grundlage dafür ist der § 32a des Urheberrechtgesetzes", erklärt ein Gerichtssprecher. "Er ermöglicht eine nachträgliche Anpassung einer ursprünglich angemessenen Vergütung, wenn es so große Verwertungserträge gibt, dass von einem großen Missverhältnis zwischen beiden gesprochen werden kann." Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, es kann noch Widerspruch eingelegt werden. Wann mit dem zweiten Teil des Urteils gerechnet werden kann, dazu wollte sich der Sprecher auch deshalb nicht äußern.

Ihr Anwalt sieht "erhebliche Beteiligungsansprüche für Frau Decker"

Entschieden werden muss im weiteren Verfahren aber auch über zwei Fragen, über die sich Decker und die Filmfirmen streiten. Barefoot und Warner Bros. sind der Meinung, dass Deckers Ansprüche auf eine nachträgliche, höhere Vergütung nun, dreizehn respektive elf Jahre nach den Debüts der beiden Filme bereits verjährt sind. Und es steht auch die Frage im Raum, ob Decker als alleinige Autorin der beiden Drehbücher gelten kann oder lediglich als Co-Autorin. Ob und wenn ja, welchen Einfluss das auf mögliche Ansprüche der Drehbuchautorin hat, ist bisher unklar. Diese Fragen haben für das Urteil am Dienstag keine Rolle gespielt, sollen aber während der zweiten Verfahrensstufe geklärt werden.

Barefoot und Warner Bros. haben noch am Dienstag angekündigt, darüber zu beraten, ob sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen werden. Deckers Rechtsvertreter, der Münchner Medienanwalt Nikolaus Reber, ist über das Urteil erfreut. "Wir gehen anhand der uns bisher vorliegenden Informationen durchaus davon aus, dass es erhebliche Beteiligungsansprüche für Frau Decker geben könnte", sagt er. Reber hat in einem ähnlichen Fall bereits Kameramann Jost Vacano vertreten und Siege errungen im Streit um die Nachvergütung für Vacanos Arbeiten am Fernsehklassiker Das Boot (1981). Der Bundesgerichtshof gestand Vacano dieses Jahr in einem Urteil gegen die ARD-Anstalten dem Grundsatz nach Wiederholungshonorare zu. Die genaue Höhe klärt das Oberlandesgericht Stuttgart derzeit, ein weiteres Verfahren des Kameramanns gegen die Bavaria Film, den Videovertrieb Eurovideo und den WDR will der BGH im Dezember verhandeln.

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