Süddeutsche Zeitung

Kino:Aufgewärmtes hinterm Instagram-Filter

Lesezeit: 4 min

Von Janne Knödler

Wer sich auf Til Schweigers "Head Full of Honey" einlässt, betritt ein Märchenreich, das sich im Jahre 2019 wohl viele als Paradies vorstellen. Alles wird wie durch einen Instagram-Filter wahrgenommen: Immer leuchtet warmes Sommerlicht, lauer Wind zaust durch glänzende Haare, junge Nonnen mit vollen Lippen lächeln zwischen im Wind wehender Wäsche. Sachen, die fallen, und Menschen, die rennen, tun dies stets in Zeitlupe. Die Dinge sind aus dunklem Holz oder Kupfer oder Messing, und Venedig ist noch eine magische Stadt - und kein Schauplatz eines Krieges zwischen Einwohnern und Touristen.

Klar ist in diesem Film immer, dass sich garantiert niemand wehtun wird

Wem diese Welt schon bekannt vorkommt, der liegt richtig: Mit "Head Full of Honey" hat Til Schweiger seinen eigenen Erfolgsfilm "Honig im Kopf", der mehr als sieben Millionen Besucher ins Kino lockte, noch einmal gedreht. Diesmal allerdings in englischer Sprache und mit amerikanischen und englischen Darstellern. Die Idee dahinter war wohl die These, dass auch die Amerikaner dieser Herzschmerzgeschichte hoffnungslos verfallen würden, wenn sie a) keine Untertitel lesen müssten und b) nicht gezwungen wären, ins Gesicht von Dieter Hallervorden zu schauen. Das erwies sich als fundamentaler Irrtum: Der Film startete in den USA nur in vier Kinos und spielte ganze 12 000 Dollar ein.

Aber gut, das war gewissermaßen feindliches Territorium. In Deutschland dagegen regiert Til Schweiger als König der Kinokassen, da startet - weil es doch beim ersten Mal so schön war - dieses Remake nicht mit vier, sondern mit mehr als 300 Filmkopien. Und als erstes fällt natürlich auf, dass sich die Geschichte nicht verändert hat: Amadeus, jetzt nicht mehr von Dieter Hallervorden gespielt, sondern von Nick Nolte, hat Alzheimer. Das hatte bisher niemand gemerkt, nach dem Tod seiner Frau aber verschlechtert sich sein Zustand rapide. Bei der Trauerfeier hält er eine wirre Rede, in der er unter anderem ihre Brüste lobt und über ihre Backkünste lästert. Als er schließlich nicht mehr den Weg zum Grab seiner Frau findet, beschließt sein Sohn Nick (Matt Dillon), ihn zu sich nach London zu holen. Dort versteht er sich gut mit seiner vernachlässigten Enkelin Matilda (Sophie Lane Nolte), wirklich besser geht es ihm jedoch trotzdem nicht.

Er pinkelt in den Kühlschrank, telefoniert mitten in der Nacht mit einer Banane in der Hand, zerstört das Sommerfest seiner Schwiegertochter, in dem er Feuerwerk in die Menge schießt und brennt beim Backen fast das Haus ab. Als Matildas Eltern beschließen, ihn in ein Heim für demenzkranke Menschen zu geben, fasst sie einen Entschluss: Sie wird mit Amadeus nach Venedig fahren. Dort machte er einst seiner Frau einen Heiratsantrag, an Venedig scheinen keine seine Erinnerungen getrübt zu sein. Die schlafenden Eltern lassen sie hinter sich, und mit der Hilfe vieler junger, schöner Menschen durchqueren sie halb Kontinentaleuropa und die Alpen mit dem Zug, zu Fuß und per Anhalter, um schließlich in der Stadt der Liebe herauszufinden, was Familie wirklich bedeutet. Klar ist dabei immer, dass sich garantiert niemand wehtun wird: In einer Szene crashen zwei Autos mit voller Geschwindigkeit ineinander, in einer anderen schießt der verwirrte Amadeus mit einer Pistole wild um sich. Aber niemand kommt zu Schaden.

Beim Vergleich mit dem Original stellt man fest, dass sich alles wirklich Szene für Szene wiederholt, Handlung, Drehorte, Ästhetik. Trotz der Übertragung vom Deutschen ins Englische und zurück in die deutsche Synchronfassung sind sogar die meisten Dialoge und Wortwitze eins zu eins übernommen. Auch der hektische Schnitt, der selbst bedeutungsschwere Dialoge oder potenziell rührende Vater-Sohn-Aussprachen wie Actionsequenzen zerstückelt, stammt direkt aus dem Original.

Wer fehlt, und wer hätte das gedacht, sind die Schweigers. Statt Til, der im Original den Sohn des verwirrten Amadeus spielt, agiert nun Matt Dillon. Dillon aber spielt Til Schweiger nicht so gut wie Til Schweiger selbst. Denn dieser beherrscht zwar nicht allzu viele Rollen, die des charmanten, selbstbezogenen, braun gebrannten Hallodris aber spielt er mit großer Inbrunst. Einmal weint er sogar, noch nicht einmal das darf Matt Dillon. Auch seine Tochter Emma Schweiger, die im Original die Enkelin spielt, fehlt. Nach "Honig im Kopf" war man davon überzeugt, dass sie sehr charmant, sehr klug und sehr aufgeweckt sein muss, also genau wie ihre Figur im Film - wahrscheinlich war die Rolle wie für sie geschrieben. In der amerikanischen Fassung nun gelingt es Sophie Lane Nolte (die im wahren Leben nicht Nick Noltes Enkelin ist, sondern seine Tochter) nicht, sich die Rolle zu eigen zu machen. Stattdessen kopiert sie einfach die Mimik und Gestik Emma Schweigers, bis hin zum freundlich-genervten Augenrollen.

Die deutschen Kinobesucher scheinen geahnt zu haben, dass hier nichts Neues zu sehen ist

Kurz gesagt: Wer das Original kennt, braucht dieses Remake nicht zu sehen. Es ist fast genauso lang (mehr als 130 Minuten!), genauso unangenehm schnell geschnitten und mit ebenso fragwürdig-dramatischer Popmusik unterlegt. Irgendwie scheinen das die deutschen Kinobesucher auch geahnt zu haben: Der Film fehlt jedenfalls in der Top-20-Besucherliste des vergangenen Wochenendes, was schon mal heißt, dass ihn weniger als 10 000 Menschen sehen wollten. Insider gehen sogar von noch katastrophaleren Zahlen aus. Ob Til Schweiger damit die Krone des deutschen Kinokassen-Königs abgeben muss? Vielleicht heißt es auch nur, dass ein Til-Schweiger-Film ohne Mitglieder der Familie Schweiger darin eben doch kein verlockendes Angebot ist

Head full of Hone y, D 2018 - Regie: Til Schweiger. Buch: Schweiger, Lo Malinke, Jojo Moyes. Kamera: René Richter. Mit: Nick Nolte, Matt Dillon, Emily Mortimer, Sophie Lane Nolte. Verleih: Warner, 132 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2019
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