Süddeutsche Zeitung

Sky-Doku über Tiger Woods:Auch nur ein Mensch

Lesezeit: 4 min

Wer ist Tiger Woods? Eine beklemmende Dokumentation versucht, die Golf-Ikone zu ergründen. Und stößt auf schmerzhafte Antworten.

Von Gerald Kleffmann

Teenager tanzen, fröhlich, übermütig. Die Bilder wackeln, als sich einer der Jungs im Wohnzimmer hinwirft und so tut, als spiele er Luft-Saxofon. Die Mädchen lachen, eines mit blondem Haar strahlt vor Glück. Auch der Junge auf dem Boden. Sein Hawaii-Hemd ist weit aufgeknöpft, er kaspert herum. Es sind Aufnahmen, die einen Moment heranreifender Jugendlicher zeigen, nichts Ungewöhnliches - in diesem Fall aber doch. "Es war so natürlich", sagt Dina Parr, nun eine blonde erwachsene Frau, im Schnitt der Kamera. Sie sieht traurig aus, während sie die alten Sequenzen kommentiert. Die erste Freundin dieses Jungen hat etwas erlebt, das die Welt später selten erfahren sollte: den unbeschwerten, nahbaren Tiger Woods, der einmal der größte Golfspieler und eine Ikone über seinen Sport hinaus werden sollte.

"Tiger", wie ihn alle nennen, heißt die zweiteilige Dokumentation, die der amerikanische Pay-TV-Sender HBO für seine Sportreihe angefertigt hat, nun ist sie bei Sky zu sehen. In ihrer Machart ähnelt sie der Serie "The Last Dance", die vor einem Jahr ausgestrahlt wurde. Die Geschichte des in den Neunzigerjahren erfolgreichen Basketballteams Chicago Bulls und seiner Überfigur Michael Jordan hatte Maßstäbe in diesem Genre gesetzt, auch, weil die Produzenten neben frischen Aussagen der Akteure über Gold verfügten, das von Jordan gehortet worden war: rohes, unveröffentlichtes Filmmaterial. Die Faszination des Zehnteilers speiste sich vor allem aus der Rolle des Hauptdarstellers, des Posers Jordan, der wie kein anderer die Kunst besaß, einen Ball schwerelos in einen Korb zu zimmern. Das Spiel, auch das mit den dicken Eiern, beherrschte er. Um diesen Superstar musste man nie Angst haben.

Um Woods schon, wie die beeindruckende Dokumentation verdeutlicht. Er kommt zwar nicht selbst für diese konkret zu Wort. Aber genau das ist die Stärke dieses beklemmendes Psychogramms. Niemand wanzt sich an ihn heran wie Til Schweiger im Werk über Bastian Schweinsteiger, pardon: Schw31ns7eiger. "Tiger" setzt da an, wo Pressekonferenzen und Jubelarien aufhören.

Letztlich geht es um eine Frage, die Figuren der Popkultur betrifft: Wie viel Wahnsinn ist einer Seele zumutbar?

Woods hätte an vielen Begebenheiten zerbrechen können, allen voran am Vater, der ihn drillte, im Alter von zwei Jahren wie eine Zirkusnummer in eine TV-Show zerrte, die Liaison zu dessen Jugendliebe radikal unterband, damit er nur an Golf denke, der posaunte: Tiger werde einer wie Mahatma Gandhi und Nelson Mandela. Einer, der als "the chosen one", als Auserwählter Menschen beglückt.

Ein Journalist umschreibt in der Dokumentation das Verhältnis zwischen Vater und Sohn bei aller Liebe und Freundschaft als "Frankenstein und sein Monster". Mutter Kultida war kaum weniger befehlend, sie gab die Einstellung mit, wenn Woods auf Gegnern stehe, solle er ihnen die Kehle durchschneiden.

Ein Magazin hob einen Tampon auf - als Beweismittel fürs Fremdgehen

Kein Mitleid, so erstürmte er die von Weißen bestimmte Golfbranche. Er wurde die jüngste Nummer eins der Welt, gewann 15 Majors, jedes der vier wichtigsten Turniere mehrmals, Fans huldigten ihm wie einer Erscheinung. Die Sportartikelfirma Nike baute ihn zum neuen Jordan auf, Hochzeit auf den Bahamas mit Elin Nordegren, einer Schönheit aus Schweden, zwei Kinder, Villen, Yacht, Jet, ein Leben auf der Überholspur, eine Dekade Dominanz, Dekadenz, scheinbare Kontrolle über alles. Aber wie sich herausstellen sollte: Ohne Nebenwirkungen wird man nicht Superstar dieser Dimension. Zumindest nicht, wenn Frankenstein dein Vater ist und eine Million Kameras auf dich gerichtet sind.

Woods' Vater Earl entpuppte sich als Ehebetrüger, schreckte nicht davor zurück, dass Tiger manches Tête-à-Tête im gemieteten Wohnwagen mitbekam. Auch trank er. Später, längst ein erfolgreicher Profi, versuchte sich Tiger vom Dämon zu lösen, ging auf Distanz. Doch als Earl 2006 starb und vieles unausgesprochen blieb, wirkte Tiger getroffen, von Schuld geplagt. Und beging ähnliche Fehler, in extremeren Varianten. Verglichen mit seinen Seitensprüngen war Casanova ein schüchterner Schürzenjäger.

Was Woods lange nicht merkte: Er wurde ausspioniert, von einem Blatt, das mit Schmutzgeschichten Geld verdient. Als Reporter vom National Enquirer Woods beim Fremdgehen im Auto auf dem Parkplatz einer Kirche beobachteten, hoben sie einen weggeworfenen Tampon auf, als Beweis, für alle Fälle. Hinter der Heldenfassade sah es unschön aus.

Auch Woods führte seinem Körper Gift zu, in Form von Medikamenten. Schlafmittel waren der Beginn. Und - so sehr verhedderte er sich in Realitätsfluchten - er wollte seine Karriere hinwerfen, Navy Seal werden, Elitesoldat. Quasi auf Pops Spuren, wie er den Vater nannte. "Er hat die Wahl, sein Leben zu leben, wie er es leben möchte", hatte Earl behauptet. Welch eine Lüge. Traumata sitzen tief. Auch ein bezeichnendes Detail dazu: Woods liebte das Tauchen - "weil die Fische da unten nicht wissen, wer ich bin", wie er sagte. Manchmal schien es, als wisse er das selbst nicht. Schon seine Identität machte es ihm schwer, sich zuzuordnen. Cablinasian nannte er sich, weil er Afroamerikaner mit indianischer, chinesischer, thailändischer und niederländischer Herkunft ist. Das Leichteste in seinem Leben waren vermutlich seine Golfsiege.

Die Polizei gabelte Woods auf - vollgepumpt mit Schlafmitteln und Psychopharmaka

Als sich Woods mental stabilisierte, kehrte rasch die sportliche Klasse zurück, die zunehmend einem neuen Feind begegnete: Verletzungen. War er fit, gab er weiterhin das Abbild des funktionierenden Superstars, der es fertigbringt, trotz millionenschwerer Scheidung, Yellow-Press-Spießruten-Lauf, öffentlicher Buße und Reha in einer Entzugsklinik wie selbstverständlich wieder die Nummer eins zu werden.

Doch im Zuge ständiger Rückenbeschwerden der nächste Tiefpunkt: Vollgepumpt mit Schlafmitteln und Psychopharmaka wurde Woods im Auto auf dem Seitenstreifen aufgegriffen, in Handschellen abgeführt, torkelnd in einen Polizeiraum gesteckt. In diesem Moment wirkte Woods wie manche Größe der Popgeschichte, die sich im Wahnsinn sonst was antat. Fast zynisch muss man sagen: Zum Glück hat er sich nicht eine Kugel in den Kopf gejagt wie Kurt Cobain. Ihn zerriss es dafür in der Seele. Für den Vater eine Marionette, für andere Jesus. Extremere Gegenwelten sind wohl kaum denkbar.

Dass die Schlusspointe des Films von der Realität überholt wurde, bestätigt umso mehr, welches kaum zu begreifende Leben hier auf offener Bühne stattfindet. Nach elf Jahren ohne großen Triumph 2019 der Masters-Titel, Umarmung mit dem Sohn, an der Stelle, wo Earl ihn drückte, Drama unplugged. Schnitt. Happy End? Zunächst sieht es nach unzerstörbarem Mythos aus. Ende 2020 spielt Tiger mit Sohn Charlie, 12, ein Turnier, unbeschwert, nahbar, öffentlich. Doch dann die vierte Rückenoperation, wieder in der Schmerzensspirale.

Ende Februar 2021 verliert Woods auf einer kurvigen Strecke bei Los Angeles die Kontrolle, stürzt die Böschung hinab, muss aus dem Wrack gefräst werden. Er erlitt offene Trümmerbrüche, fraglich, ob er je wieder Golfprofi sein wird. Aber: Er hat überlebt. Das zählt. Der Kampf geht weiter.

Tiger. Bei Sky Ticket, Sky Go und Sky Q und am 1. April bei Sky Sport 1.

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