Tiersprache:Geschnaubte Adjektive

Tiersprache: Wie kommunizieren die Tiere? In welchen sozialen Kontexten lernen sie die Bedeutung von Zeichen? Der Blick in das Auge des Nashorns verrät es nicht.

Wie kommunizieren die Tiere? In welchen sozialen Kontexten lernen sie die Bedeutung von Zeichen? Der Blick in das Auge des Nashorns verrät es nicht.

(Foto: AP)

Wenn das Nashorn mit dem Zaunpfahl winkt: Die niederländische Philosophin Eva Meijer entdeckt die Kommunikation zwischen Tieren als eine eigenständige Form von Sprache.

Von NICO BLEUTGE

Wir müssen versuchen, ihre Sprache zu lernen", meint eine der Figuren am Ende von Eugène Ionescos Stück "Die Nashörner" über die titelgebenden Kolosse, die schon die ganze Stadt bevölkern. Doch ihr Gegenüber lauscht nur kurz in die Nacht - und winkt ab: "Sie haben keine Sprache. Hör nur ... nennst du das Sprache?" Dabei kommunizieren Nashörner auf äußerst vielfältige Art und Weise. Mit ihrem Dung vermitteln sie Informationen über Geschlecht, Alter und Paarungsbereitschaft. Junge Nashörner wiederum kennen vier Arten von Rufen. Haben sie Hunger, wimmern sie. Beim Fressen lassen sie ein Schnauben hören, ein Keuchen dient zur Kontaktaufnahme mit anderen Nashörnern. Zur Abwehr von Feinden indes fauchen sie laut.

Wenn es nach der niederländischen Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer geht, die auch als Singer-Songwriter auftritt, sollte man unbedingt von einer Sprache der Nashörner reden. Und nicht nur der Nashörner, sondern der Tiere überhaupt. Immerhin lässt sich ein Sprachgen in der DNA sämtlicher Wirbeltiere nachweisen. Allerdings sind Nashörner in Sachen Kommunikation Anfänger, verglichen etwa mit Eidechsen, die durch ihre Körperhaltung, Kopfnicken, das Aufblasen ihrer Kehle und die Anzahl der krallenartigen Zehen, die sie auf den Boden stellen, über 6800 unterschiedliche Arten von Haltungen und Äußerungsmöglichkeiten erzeugen können. Ganz zu schweigen von den Vögeln mit ihren Liedern, Fröschen, die Laute mit Bewegungen verbinden - oder Tintenfischen, die über Farben kommunizieren.

Unter Laborbedingungen lassen sich Zeichen nicht in ihrem sozialen Kontext untersuchen

Aber Eva Meijer begnügt sich nicht mit der bloßen Auflistung von Beispielen. Ihr Buch will sehr viel weiter hinaus. Es stellt die Frage ins Zentrum, ob man denn überhaupt rigoros zwischen artikulierter Sprache hier und bloßer Tierkommunikation dort unterscheiden könne. Tierlaute etwa sind kein sinnloses Geschrei, wie man in der Forschung lange Zeit dachte, vielmehr folgen sie bestimmten Regeln. Auch die Tintenfische benutzen ihre Farbmuster nicht nach einem simplen An-Aus-Schema, die Signale, die sie aussenden, können vielmehr grob mit Verben und Hauptwörtern, mit Adverbien, Adjektiven und mit Positionsbestimmungen verglichen werden, sie folgen also einer eigenen Art von Grammatik. "Vielleicht ist die Sprache des Menschen in ihrer Komplexität und Vielseitigkeit wirklich einzigartig", schreibt Meijer, "aber die Sprachen der Tiere sind es auf ihre Weise ebenso."

Das ist das Grandiose an Meijers Buch: Sie drückt den Tieren nicht die Vorstellung einer überlegenen menschlichen Sprache auf, wie das vor allem in der philosophischen Tradition üblich war, sondern geht den umgekehrten Weg. Indem sie Sprachtheorien von de Saussure bis Chomsky diskutiert, entwickelt sie eine Idee von Sprache, die den Menschen wie den Tieren gleichermaßen gerecht zu werden versucht. Eine ihrer Stützen ist der späte Wittgenstein, der in seinen Schriften annahm, Sprache sei nur über ihren jeweiligen Gebrauch zu verstehen. Deshalb interessiert sich Meijer weniger dafür, was in den Köpfen der Tiere vorgeht - sie sieht sich vielmehr genau an, welche Tiere in welchen sozialen Zusammenhängen die Bedeutung von Zeichen lernen und wie sie sich äußern.

Unter Laborbedingungen, in denen Tiere immer aus ihren Lebenskontexten gerissen werden, lässt sich so etwas nicht untersuchen, eher in einer Art teilnehmender Beobachtung. Am Beispiel der Pavianforscherin Barbara Smuts und der berühmten Jane Goodall und ihrer Schimpansen zeigt Meijer Möglichkeiten von Tierforschung, die auf Gegenseitigkeit beruhen. Kein vorgefasster Plan ist hier leitend, sondern Tier und Mensch entwickeln durch Kommunikation eine gemeinsame Welt, zugleich findet diese Welt in der Kommunikation ihren Ausdruck.

Daneben beruft sich Meijer auf Merleau-Ponty. Der französische Philosoph ging davon aus, dass Denken keine abstrakte Kopfsache, sondern immer im Körper verankert sei. Auch die Sprache müsse als körperliche Aktivität verstanden werden: "Mit unseren Körpern verstehen wir die anderen, Sprache und Sprechen verbinden Subjekte miteinander und mit der sie umgebenden Welt." Vor dem Hintergrund der Körperlichkeit sieht Meijer sich Äußerungsarten wie den Schwänzeltanz der Bienen an, aber auch Kommunikationsformen, die wir Menschen gar nicht wahrnehmen können, den Ultraschall von Fledermäusen etwa oder die Laute von Motten und Grashüpfern, die für Menschenohren ebenfalls nicht hörbar sind.

So dreht sie nach und nach das traditionelle Nachdenken über Tiere und die methodischen Ansätze. Nicht die menschlichen Vorannahmen bestimmen das Spiel, sondern die vielen Nuancen, die von Seiten der Tiere kommen. "Andere Tiere zeigen uns, dass Sprache weit vielfältiger und reicher sein kann, als wir annehmen." Um nicht die alten Lehrmeinungen über eine vermeintlich überlegene menschliche Sprache immer weiter mitzuschleppen, könne es hilfreich sein, weniger von "Sprache" als von "Austausch" zu sprechen.

Wie Eva Meijer diese zahllosen Vorstellungen zusammenbindet, ohne die Argumentationen der jeweiligen Wissenschaften zu vereinfachen oder, umgekehrt, sich in Fachdiskussionen und -jargons zu verlieren, ist eine Kunst für sich. Ihre Sprache, die der Übersetzer Christian Welzbacher in ein gut lesbares Deutsch verwandelt hat, ist immer klar. Ganz selten einmal gibt sie allzu schnell einer Pointe nach. Aber vielleicht muss man das bisweilen, wenn man Vorurteile abbauen und alte philosophische Gedankengänge entschärfen will.

Tiere dümpeln nicht im Hier und Jetzt des Augenblicks vor sich hin, wie noch Nietzsche sich das dachte

Freundschaft, Trost, Liebe, Trauer - all diese emotionalen Facetten lassen sich auch bei Tieren finden. Und jede Art verfügt dafür über ein fein geschichtetes Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten. Selbst Widerstand ist eine Form der Kommunikation, vielleicht sogar des politischen Handelns. Tiere dümpeln nicht im Hier und Jetzt des Augenblicks vor sich hin, wie noch Nietzsche sich das dachte. Menschen und Tiere leben in vielfältigen Konstellationen zusammen, und die menschlichen Vorstellungen von Politik und politischem Handeln werden immer auch von diesem Zusammenleben beeinflusst, allein dadurch, dass Tiere anwesend sind und agieren. Die meisten Sphären aber, um es höflich zu formulieren, dominiert der Mensch.

So ist es nur konsequent, wenn Meijer am Ende ihres Buches dazu aufruft, mit Tieren in den Dialog zu treten, neue Formen von Beziehungen mit ihnen zu entwerfen. Auch wenn die Forschung zu Tiersprachen noch in den Anfängen steckt, müsse es nicht lediglich um die Frage gehen, ob die Kommunikationssysteme der Tiere sprachlich sind, als vielmehr darum, Tiere als Subjekte mit eigener Lebensform und bedeutungsvoller Kommunikation anzuerkennen. Tiere denken. Tintenfische denken sogar mit den Armen. Was für den Menschen ein bloßes Gurgelgeräusch ist, kann bei der amerikanischen Schwarzkopfmeise 84 unterschiedliche Bedeutungen haben. Und von der "Geruchslandkarte" eines Hundes kann man lernen, was Nuancen sind: "Riechen wir Erbsensuppe, riecht der Hund Möhren, Kartoffeln, Erbsen, Lauch."

Eva Meijer: Die Sprachen der Tiere. Aus dem Niederländischen von Christian Welzbacher. Mit Collagen von Pauline Altmann. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2018. 176 Seiten, 28 Euro.

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