Süddeutsche Zeitung

Tiergedichte:Hundert Krähen im Februar

Es gibt für jedes Tier einen Reim und ein Bild, in diesem Gedichtband, in dem die Tiere oft überraschend menschlich wirken und als Projektionsfläche für vertraute Gefühle dienen.

Von Nico Bleutge

Dass Tiere nicht unbedingt die besseren Menschen sind, auch wenn wir sie gerne dazu machen - der Dichter Robert Gernhardt wusste es genau: "Was eine einzige Katze uns lehrt, / lehren uns alle: / So viel wie möglich nehmen, ohne zu geben, / und dann ab in die Falle." Jetzt gibt es einen ganzen Band mit Tiergedichten für Kinder zu entdecken. Hervorgegangen ist er aus einem Projekt, das die öffentliche Wahrnehmung von Kindergedichten stärken will. Sechs deutschsprachige Dichterinnen und Dichter haben zu dem Buch beigetragen. Michael Augustin etwa besingt ein Vogelei, Arne Rautenberg freut sich über Taranteln, während Tanja Dückers über nicht stubenreine Katzen nachdenkt.

Tiere wirken hier oft überraschend menschlich, dienen als Projektionsfläche für vertraute Gefühle und Gedanken. So sorgen sich Fische um den Einkauf, und Hummer haben Kummer. Selbst Schnecken wetzen um die Wette, damit sie am Ende - und sei's um des Reimes willen - eine Plakette bekommen. Manchmal werden den Tieren aber auch bloß menschliche Wünsche übergestülpt: "Warum können Tiere nicht einfach nur / süß und niedlich sein?"

Was für ein Glück, dass es Träume gibt. Und die Kraft der Imagination. So können sich die Fliegen flugs in Tigerfliegen verwandeln, und die Mäuse in Fußballmäuse. Und es lassen sich noch ganz andere Fantasiewesen erleben, Bartagame etwa, Schlittschuhkrähen oder das Wackelpuddingtier. Ganz zu schweigen vom Wischfisch, den Ulrike Almut Sandig sich ausgedacht hat - man muss ihn nur auf einen schmutzigen Tisch packen, schon legt er los: "erst zischt er kreuz / und quer, dann huscht er hin und her, schließ- / lich rollt er sich geschickt nach links und / rechts und wie verrückt, bis der letzte Krümel / weggeleckt ist! wirklich praktisch, so ein / Wischfisch."

Käpt'n Joe, der lyrische Papagei, der seine papierene Existenz Heinz Janisch verdankt, dürfte an dieser Beweglichkeit seine Freude haben. Er liebt es eher ruhig, auch wenn er siebzehn Sprachen versteht: "Ein alter Seebär wie er / tut sich mit dem Reden schwer." Das lässt sich von keiner der hier versammelten lyrischen Stimmen sagen. Im Gegenteil, bisweilen sprudeln die Silben und Klänge fast aus den Gedichten hervor. Auch wenn man sich beim Lesen ein paar reimlose Gedichte mehr gewünscht hätte, folgt man sehr gerne Krickel, dem Karnickel, oder hört dem Wintergekrächze der Krähen zu: "hundert krähen / im februar / krächzen weithin / wahrnehmbar / suchen ihren / schlafbaum auf / und die nacht / nimmt ihren lauf."

So wie der Prinzregent in Mathias Jeschkes Gedicht verkehrt herum auf seinem Pferd sitzt, nähern sich die vier Illustratoren den Versen von unterschiedlichen Seiten, stellen Bilder auf den Kopf oder verwandeln sie in Konstellationen aus Farbe. Die kleine Maus liegt derweil auf dem Rücken und bewundert die Schönheit des Schmetterlings: "Rundherum leuchtet ein Blumenstrauß / Meine Augen sagen: Applaus". Also eifrig geklatscht und zugegriffen - auf dass der Wischfisch weiter zischen möge!

Ein Nilpferd steckt im Leuchtturm fest. Tiergedichte für Kinder. Hrsg. von: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Stiftung Internationale Jugendbibliothek und Stiftung Lyrik-Kabinett. Mit Illustrationen von Nadia Budde, Julia Friese, Regina Kehn und Michael Rohrer. Mixtvision Verlag, München 2018. 112 Seiten, 19,90 Euro.

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SZ vom 31.08.2018
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