Jugendbuch:Ein Opfer für den Schatten

In ihrem Thriler "Broken Things" erzählt Lauren Oliver von einer radikalen Flucht in eine andere Wirklichkeit

Von Fritz Göttler

Es ist ein herzzerreißender Abschied. Alle Zwerge weinen, besonders bitterlich weint Gregor. "Bitte kommt wieder", fleht er die drei Mädchen an. "Bitte vergesst uns nicht ..." Das mysteriöse Buch "Der Weg nach Lovelorn", um das herum Lauren Oliver ihren Thriller "Broken Things" webt, erzählt von den Abenteuern, die die Mädchen mit den Zwergen erlebten. "Und doch mussten sie nach Hause zurückkehren. Sie mussten weiter. Denn sonst"

Mit diesem Abschied bricht das Lovelorn-Buch abrupt ab - als würde bei einer Vorführung der Film reißen. Ein erfundenes Buch, von einer erfundenen Schriftstellerin, Georgia C. Wells, über ein Zauberreich, so wie man es kennt aus den eskapistischen Fantasien von Oz oder Narnia. Es bricht tatsächlich mitten im Satz ab. Ohne Punkt.

Für den Rest der Stadt sind die Mädchen die "Monster aus der Brickfield Lane"

Das Buch hat drei Mädchen die Jugend gerettet, in dem Städtchen Twin Lakes im amerikanischen Bundesstaat Vermont. Immer wieder ziehen die drei sich nach Lovelorn in den Wald zurück, spielen das Buch nach, machen es wahr. Schreiben es weiter, über die Bruchstelle hinaus, ein Stück leidenschaftlicher Fan-Fiction, "Rückkehr nach Lovelorn", von Summer Marks, Brynn McNally, Mia Ferguson. Bis dann das Buch grausam in ihr Leben greift: Dem "Schatten", der ominösen Figur, die über Lovelorn herrscht, muss ein Opfer gebracht werden. Ein blutiges Ritual. Man findet Summers Leiche, in einem Steinkreis, sieben Messerstiche. Und Mia und Brynn, das ist für die Bürger der Stadt ganz klar, haben sie ermordet. Die Monster aus der Brickfield Lane! Nur weil die Polizei bei der Bearbeitung des Falles schlampt, werden sie nicht verurteilt.

Fünf Jahre später soll des grausigen Geschehens in der Stadt gedacht werden, in diesem Moment setzt Lauren Olivers Roman ein. Mia und Brynn und ihre Freunde sind am Ende ihrer Teenagerzeit. Mit Mias plötzlicher Gewissheit, dass noch eine weitere Person von Lovelorn gewusst haben muss, beginnt eine Recherche nach dem wirklichen Täter.

"Das ist das Problem mit Wörtern ... Es gibt nie nur eine Wahrheit."

Es sind schwierige familiäre Verhältnisse, in denen die Jugendlichen leben. Mias Mutter ist ein Messie und verbarrikadiert sich hinter Wällen von Zeitschriften und Objekten, der Vater hat nach dem Mord die Familie verlassen. Brynn zieht sich in den schützenden Raum eines Therapiezentrums zurück, ein Freund bringt ihr regelmäßig Urinproben mit Drogenrückständen, die sie als ihre ausgibt, so dass sie nicht entlassen werden kann. Sie muss mit der Erfahrung fertig werden, dass sie lesbisch ist. Auch Summer war drogenabhängig, war bei Pflegeeltern untergebracht. Ihre große Angst: "wenn niemand sich an einen erinnerte, wäre es so, als hätte man gar nicht gelebt".

Ein Gespinst von Verständnis, Mitleid, Begehren, aber auch mit der Grausamkeit der Jugend. Immer neue Schichten werden sichtbar. "Das ist das Problem mit Wörtern und sogar Geschichten: Es gibt nie nur eine Wahrheit. Summer war schrecklich. Wir hassten sie. Und außerdem war sie zauberhaft und es war unsere Aufgabe, sie zu beschützen, womit wir gescheitert sind." In der Schule wird Brynn schief angesehen, als sie entdeckt, dass sie lesbisch ist. Und Summer wurde gemobbt, als Hure geschimpft, man schmierte Ketchup auf ihre Sportklamotten, dass es aussah wie ihre Regelblutung. Lovelorn ist für sie der Fluchtpunkt, der Versuch, das coming of age zurückzuhalten. Und schrecklich ist am Ende, wie an dieser Einsamkeit auch Erwachsene leiden. Dass der Code von Lovelorn auch für sie gilt: "Ich füge mich dem, was richtig ist ..."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: