Süddeutsche Zeitung

Thriller:Entführung als Familiengeschäft

Pablo Traperos böse Krimigroteske "El Clan" erzählt von einem schockierenden Verbrechen in Argentinien. Im vergangenen Jahr gewann Tapero den Silbernen Löwen für die beste Regie in Venedig.

Von Fritz Göttler

Sehr bedächtig wirkt er, wie er da mit dem Besen oder mit dem Schlauch hantiert, in knappen Bewegungen, um den Bürgersteig vor dem großen Familienhaus sauber zu halten, manchmal ein wenig unsicher, manchmal lauernd: Arquímedes Puccio, der Vater des gediegenen Familienclans, in einem Vorort von Buenos Aires.

Im Innern des Hauses unterzieht er wohlwollend, aber streng die Familie seinem Regiment: die Frau, zwei Söhne, zwei Töchter. An der Spitze den Sohn Alejandro, der gern im Rugby Karriere machen würde und damit in der dazugehörigen Schickeria. Auf der Tonspur wird noch einmal der "Sunny Afternoon" der Sechziger, sein bedrohtes life of luxury und sein old money beschworen. Sterile, eher langweilige Bürgerlichkeit strahlt das Haus aus, bis auf das Bad im ersten Stock oder das Kellerloch, in dem Arquímedes die von ihm und seinen Helfershelfern entführten Gefangenen unterbringt, so lange, bis ihre Verwandten das Lösegeld gezahlt haben. Dann lässt er sie erschießen.

Entführung als Familienbusiness. Pablo Traperos "El Clan", der im vorigen Jahr den Silbernen Löwen für die beste Regie in Venedig gewann, erzählt von einem Kriminalfall, der in den Achtzigern ganz Argentinien schockierte - weil er so banal und monströs zugleich war, in diesem Land, in dem immer wieder massenweise Menschen in den Folterkellern der Militärdiktatur verschwanden. Der Vater ist als Monstrum ein Pedant, das meiste erledigt er selber, von den Anrufen bei den Angehörigen bis zum Geldzählen. Ein Meister der Manipulation, am gruseligsten aber ist die Schicht von Protektionismus, die Aura von Beziehungen, in der er sich ungehindert bewegen kann. Es schaudert einen, wenn man sieht, wie plump die Geldübergaben durchgeführt werden, ohne geringste Bemühung um Vorsicht und Professionalität.

Guillermo Francella spielt den Arquimédes, er ist einer der beliebtesten Stars des argentinischen Kinos. Er bringt die Leute zum Lachen, sagt Pablo Trapero, und für diese Rolle hat er ihm ein steinernes Gesicht verordnet, das so wunderbar funktioniert wie bei den großen amerikanischen Komikern: Ich bat ihn, nie mit den Augen zu zwinkern.

Es ist ein Film zwischen den Zeiten, über Menschen, die in selbstgeschaffener Zeitlosigkeit leben. Den Übergang von Diktatur zu Demokratie will Archimédes einfach nicht wahrhaben, niemand soll seine Kreise stören. Das System kriselt, die Schatten der Grabsteine strecken sich über den Weg.

El Clan, Argentinien/Spanien 2015 - Regie, Buch: Pablo Trapero. Kamera: Julián Apezteguía. Schnitt: Pablo Trapero, Alejandro Carrillo Penovi. Mit: Guillermo Francella, Peter Lanzani, Lili Popovich, Gastón Cocchiarale, Giselle Motta. Prokino, 108 Min.

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SZ vom 08.03.2016
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