Thrill aus Irland:Kaliber durchgeknallt

Irisch gut: Declan Burkes Krimi-Groteske "The Big O" aus dem Dublin der fetten Boomjahre. Versicherungsschwindel, Menschenraub, Erpressung - alles läuft kreuz und quer. Und der Sex verbindet.

Von Christopher Schmidt

Irland, die grüne Insel - in diesem Buch ist sie durch und durch schwarz, schwarz wie schwarzes Geld und schwarzer Humor. Denn aus einem abgekarteten Spiel - Entführe deine Noch-Ehefrau, um von der Versicherung das Lösegeld einzusacken und dich auf die Malediven abzusetzen - wird in Declan Burkes "The Big O" bald ein Doppel- und dann ein Dreifach- und Vierfachspiel, sodass am Ende keiner der Zinker und Zocker mehr so recht weiß, wer eigentlich wen umgedreht und hinter dem Rücken der anderen auf seine Seite gebracht hat und welcher von allen der Drahtzieher ist, auf den man beim Showdown die Waffe richten sollte.

Wo Karen und Ray, Madge und Frank, Rossi und Doyle längst die Übersicht verloren haben über ihre Loyalitäten, behält allein Anna den Durchblick - und das obwohl oder eben gerade weil sie kein Mensch ist, sondern eine Mischlingsdame, halb Wolf, halb Husky, und noch dazu auf einem Auge blind. Allerdings nicht auf dem Auge, mit dem sie ihren einstigen Peiniger in den Blick nimmt, der ihr zu der schwarzen Piratenklappe verholfen hat. Eine traumatisierte Freibeuterin ist auch Annas Besitzerin Karen, deren schiefer Unterkiefer ihr dieses wölfische Lächeln verleiht. Vor Jahren hatte sie mit dem Kinn ein Waschbecken zertrümmert, damit ihr die Polizei glaubt, dass sie von ihrem Vater regelmäßig vergewaltigt wird und ihm deshalb eine Gabel in den Brustkorb gerammt hat.

Krimibilder

In ihrer Freizeit überfällt Karen Tankstellen und Wettbüros, um ihr Gehalt als Sprechstundenhilfe aufzubessern. Das nötige Zubehör, eine 44er Magnum und eine Ducati, hat sie von ihrem Ex übernommen, der bald aus dem Knast entlassen werden soll. "Bash 'n' Cash" nennt sie ihr Geschäftsmodell. Doch bei einem ihrer Beutezüge läuft ihr Ray in die Schusslinie (zum Glück ist die Waffe nicht geladen), ein hübscher Schlaks mit Morrissey-Tolle und ebenfalls kriminellem Nebenerwerb. Ray transportiert in seinem Ford Transit beileibe nicht nur Farbeimer für seinen Job als Raumgestalter, sondern auch die Opfer diverser Entführungen, die er auf Freelance-Basis und nach Auftragslage erledigt. Diese Doppelbegabung mit Kleisterquast und Kabelbinder beschert dem Buch schön schräge Tarantino-Momente, da Ray noch bei unpassendster Gelegenheit über Rollos und Farbmustertafeln fachsimpeln kann.

Über viele Talente verfügt ebenso der irische Autor Declan Burke, der diesen knalligen Genremix aus Crime und Comedy, Screwball und Noir angerührt hat: Da gibt es den Knacki Rossi, der, gerade erst wieder auf freiem Fuß, seine Schritte in eine Oxfam-Filiale lenkt, wo er sich als Mobster einkleidet. Oder einen verirrten Golfball, an dessen Wucht beinahe der Traum von einem sorgenfreien Leben zerbricht. Und eine mannstolle Polizistin, die den Hauptverdächtigen lieber in ihr Bett bekäme als in eine Gefängniszelle. Denn Sex, der allerdings meist nur verbal vollzogen wird, hat sowieso seinen festen Platz im Repertoire des Declan Burke, der bei uns 2014 mit seinem Roman "Absolute Zero Cool" entdeckt wurde. Das ist der Grund, weshalb "The Big O" erst jetzt auf Deutsch herauskommt, obwohl das gleichnamige Original bereits 2007 erschienen ist.

Thrill aus Irland: Declan Burke: The Big O. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 320 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Declan Burke: The Big O. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 320 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Leser, die das nicht wissen, könnten irritiert sein, denn das Dublin, das Burke beschreibt, ist nicht das der Finanzkrise und Sparrunden, sondern die vormalige Boomtown, Steuerparadies der New Economy. Und auf diesen fiebrigen Zeitgeist zielt der Roman, wenn er den Kick des schnellen Geldes ins Visier nimmt. Irland erscheint hier als moralische Offshore-Oase triebgesteuerter Raubritter, für die das Leben eine Spekulationsblase ist und Glück ein ungedeckter Kredit.

Personifiziert wird der frivole Zeitgeist von Frank, einem Schönheitschirurgen, in dessen Golfclub die Ehefrauen mit jedem Mann ins Bett gehen, dessen Handicap nicht höher ist als zwölf. Da er nach einer Reihe von Kunstfehlern seine Zulassung verloren hat und ihm das Geld ausgeht, um den gewohnten Luxuslebensstandard zu halten, verfällt er, kurz bevor die Scheidung durch ist, auf die Idee mit der Entführung. Doch zufällig ist Madge, die ihren Ex mit der Hingabe einer Hyäne ausnimmt und deren Spaziergänge nie weiter führen als bis zur Hausbar, solange ein knackiger "Toyboy" fürs Schlafzimmer auf sich warten lässt, die beste Freundin von Karen - und Frank einerseits im bürgerlichen Teil von Karens Berufsleben als Sprechstundenhilfe der Arbeitgeber, andererseits auch im unbürgerlichen Teil von Rays Berufsleben als Kidnapper. Und Karen und Ray sind mittlerweile ein Paar. Als wäre das noch nicht kompliziert genug, lässt Frank sich zu allem Überfluss sein Handy klauen, was sowohl Karens eifersüchtigen Freund Rossi auf seine Spur führt als auch die Polizei. Muss man noch eigens erwähnen, dass fast alle Beteiligten Pillen einwerfen, die ihnen die Welt so richtig schön bunt machen?

Declan Burke choreografiert die Twists der Romanhandlung, indem er das Geschehen aus wechselnder Perspektive schildert: Jedes Kapitel ist mit dem Namen der jeweiligen Erzählstimme überschrieben. Dadurch wird dem Leser immer gerade so viel Information vorenthalten, wie nötig ist, um ihn selber zum Detektiv zu machen. In seinem synkopischen Drive erinnert das Buch an "Get Shorty" von Elmore Leonard, den Burke eingangs zitiert.

Dabei ist dieser Roman schon fast sein eigenes Drehbuch, nicht nur weil Burke seine Geschichte überwiegend in Dialogen erzählt - deren zumeist nicht jugendfreie Pointen lenkt die Übersetzung treffsicher ins Deutsche -, sondern auch weil er filmische Referenzen von James Cagney bis zu "Taxi Driver" gleich mitliefert sowie Soundtrack-Anregungen, die von Bruce Springsteen über Rossini bis zu den Tindersticks reichen. Sex, Drugs & Rock 'n' Roll eben. Declan Burke stürzt seine Figuren in eine abgründige Gemengelage aus Liebes- und Geschäftsbeziehungen. Die ganze Doppelbödigkeit kommt schon im Titel zum Ausdruck, der so aufgelöst wird: " . . . dann formte Karens Mund sich zu einem großen O, neben dem die Mündung von Rossis Waffe wie ein Nadelöhr wirkte". Doch welche der beiden Öffnungen mehr Feuerkraft besitzt, bleibt hier so ungewiss wie nur je ein Open End.

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