Süddeutsche Zeitung

"Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" im Ersten:Ein Film, der allen trotzt

In "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" will Regisseur Martin McDonagh Sicherheiten erschüttern. Nun läuft der Oscar-Aufreger von 2018 im Ersten.

Von Tobias Kniebe

Diese Rezension ist zum Kinostart von "Three Billboards ..." im Januar 2018 erschienen. Am Montagabend läuft der Film um 20.15 Uhr im Ersten, weswegen wir den Text erneut veröffentlichen.

Eines Tages, siebzehn Jahre ist es jetzt her, saß der englisch-irische Filmemacher Martin McDonagh in einem Überlandbus und fuhr durch den tiefen Süden der USA. Irgendwo im Ländereck zwischen Florida, Georgia und Alabama sah er plötzlich Plakatwände am Rand des Highways, die in Riesenbuchstaben an ein Verbrechen erinnerten und zugleich die Polizei beschimpften - wegen Untätigkeit. Details habe er vergessen, sagt McDonagh, nicht aber "das unmittelbare Gefühl der Wut, das mir da entgegenschlug".

"Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" ist der Film zu diesem Gefühl. McDonagh hat die flüchtige Impression von damals in die fiktive Geschichte einer Mutter verwandelt, deren etwa sechzehnjährige Tochter vergewaltigt und grauenvoll ermordet wird. Als sich sieben Monate später immer noch kein Hinweis auf den Täter gefunden hat, mietet die Frau drei Billboards am Ortsrand ihrer Kleinstadt, klagt darauf die Polizei an und nennt den lokalen Polizeichef Willoughby sogar beim Namen.

Das unmittelbare Gefühl ihrer Wut überträgt sich schon in den ersten Minuten. Man glaubt dieser Mildred Hayes, die bald auch ein Fernsehinterview gibt, dass die örtlichen Polizisten lieber schwarze Verdächtige foltern, gemütlich Donuts mampfen und Achtjährige wegen unerlaubten Skateboardfahrens verfolgen, als wirkliche Verbrechen aufzuklären.

Die Zeichen stehen auf Terror in Ebbing, Missouri. Das reicht dem Regisseur aber nicht

Mildred Hayes ist eine einfache Frau, die knallharte Dinge mit Witz und Sprachgewalt sagen kann, ohne dabei den Blick zu senken oder mit der Wimper zu zucken. Sie wird von Frances McDormand gespielt, für deren einzigartige Raubein-Qualitäten schon einige Paraderollen geschrieben worden sind - nicht zuletzt von ihrem Ehemann Joel Coen. Diese hier aber gehört zu den besten - es fällt einem schlicht keine andere Schauspielerin ein, die einem bräsigen Männertrupp mit vergleichbarer Verve und Entschlossenheit einheizen könnte. Einen Golden Globe hat sie dafür schon bekommen, ein Oscar dürfte folgen.

Was dann aber doch überrascht, besonders angesichts des grauenhaften Mordes im Hintergrund, ist die untergründige Komik, die sich von Anfang an in die Szenen einschleicht. Liegt es an den Dumpfbacken-Qualitäten des Hilfspolizisten Jason Dixon (Sam Rockwell), dessen Eskapaden großen Raum einnehmen? Oder ist es eher ein nervöses Lachen, weil McDormand all die leidenden Mutterfiguren der Kunst- und Filmgeschichte auf den Kopf stellt? Eine Frau, die ihren ganzen Schmerz für sich behält, ihren ganzen Zorn aber ungefiltert auf die Welt loslässt - das wirkt over the top und gerade deshalb sehr befreiend.

Eine echte Komödie ist "Three Billboards" allerdings nicht. Das wird spätestens bei der ersten großen Konfrontation klar. Polizeichef Willoughby, verkörpert von dem ebenfalls großartigen Woody Harrelson, ist sich nämlich nicht zu schade, seine Anklägerin in ihrem Holzhaus am Rand des Orts zu besuchen. So stehen sie sich dann gegenüber, er in seinem makellosen weißen Sheriffhemd mit Goldstern und Krawatte, sie in einem ausgeleierten schmutzigblauen Overall, den sie nie auszuziehen scheint.

Mildred Hayes lässt Willoughby nicht ins Haus, setzt sich trotzig auf eine Kinderschaukel. Er aber erläutert recht überzeugend noch einmal, dass die DNA-Spuren vom Tatort nun mal mit keiner Datenbank übereinstimmen, dass die Vorschriften es ihm nicht erlauben, jeden Mann im Umkreis zum Speicheltest zu zwingen, und dass Mrs. Hayes' Idee, alle männlichen Wesen schon bei der Geburt per DNA zu registrieren und beim ersten Vergehen zu töten, leider gegen alle Gesetze verstoße.

"Viel mehr können wir nicht tun", sagt Willoughby mit treuem Hundeblick und wirkt auf einmal mindestens so glaubwürdig wie seine Gegnerin. Die aber starrt nur unversöhnlich in die Ferne. "In der Zeit, in der sie hier rauskommen und jammern wie eine Schlampe, wird da draußen wahrscheinlich gerade ein anderes armes Mädchen abgeschlachtet", presst sie schließlich hervor.

Da sieht Willoughby die Zeit gekommen, seine letzte Karte zu spielen: Er sei schwer krank, Bauchspeicheldrüsenkrebs, bald werde er sterben. Das weiß doch jeder hier, antwortet sie. Und als er dann wirklich die Fassung verliert und fragt, warum sie seine öffentliche Bloßstellung trotzdem durchgezogen habe, meint sie nur: "Wenn Sie erst mal krepiert sind, wären diese Billboards ja wohl weniger effektiv."

Spätestens an dieser Stelle kommt man um die Erkenntnis nicht mehr herum, dass diese Mildred Hayes schwer gestört ist - der Verlust ihrer Tochter hat sie zu einer Art Monster gemacht. Und ihr Hauptgegner wird dann auch nicht mehr der todkranke Sheriff sein, der sich erfolgreich in der Kunst des Loslassens übt, sondern sein dumpfbackiger Helfer Dixon, der noch gestörter ist als sie. Er ist der Rassist, der schwarze Verdächtige gefoltert haben soll, er übt schon mal Selbstjustiz, indem er Leute aus dem ersten Stock wirft, und als er dafür aus dem Polizeidienst entlassen wird, verwandelt er sich in eine brütende Zeitbombe kurz vor dem Amoklauf.

Die Zeichen stehen also auf Terror in Ebbing, Missouri, bald lodern Flammen, und es gibt Schwerverletzte. Aber selbst diese Eskalation würde die Figuren noch einfach davonkommen lassen, verglichen mit dem, was der gerissene Puppenspieler McDonagh mit ihnen vorhat. Sein Ziel ist eine dramatische Ironie, die so hart ist, dass es wehtut. Etwa in Mildreds Erinnerung an den letzten Wortwechsel mit ihrer ermordeten Tochter. Nach einem Streit bekommt diese weder das Auto noch das Taxigeld und ruft dann wütend, sie werde zu Fuß gehen und hoffentlich vergewaltigt werden. Die letzten Worte ihrer Mutter? Das hoffe sie auch.

McDonagh will Sicherheiten erschüttern; er nimmt dafür sogar eine gewisse Herzlosigkeit in Kauf

Ginge es nur darum, das Unerträgliche auszuschlachten, könnte einem dieser Erzähler nun pervers vorkommen. Da er aber die konventionelle Klaviatur der Gefühle gar nicht bedient, was will er dann? Vielleicht geht es ihm um den Respekt vor den Grausamkeiten des Lebens selbst. Denn Mildred Hayes muss schließlich erfahren, dass Dixon - dieses geistesschlichte, autoritätsgläubige, rassistische Muttersöhnchen - ihre letzte und einzige Hoffnung sein könnte, den Mord an ihrer Tochter noch zu sühnen.

Ironien wie diese gibt es. Sie sind brutal und sinnlos, sie tragen weder zu moralischer Klarheit noch zum Fortschreiten des Weltgeists bei, aber das Schicksal serviert sie uns ohne Unterlass - und eigentlich sollten Filme den Mut haben, auch solche Wendungen gelegentlich zu zeigen. Das war einigen amerikanischen Kritikern aber zu viel. Wie könne man eine Figur wie Dixon ins Zentrum rücken - auch Sam Rockwell hat für diese Rolle den Golden Globe gewonnen -, seine Opfer, die Schwarzen in Ebbing, aber zu absoluten Randfiguren degradieren? Diese Debatte wird sich bis zu den Oscars sicher noch verschärfen.

Für Martin McDonagh spricht allerdings, dass sein erzählerischer Fokus nicht nur die schwarzen Charaktere an den Rand drängt. Die krasseste Randfigur des Films ist die ermordete Tochter, der - außer ihrer schrecklichen letzten Szene - keine einzige positive Erinnerung gewidmet ist. Denn darum geht es einfach nicht.

"Three Billboards" liest man am besten als einen Metafilm. Als einen cleveren Essay über die Tendenz unserer Zeit, schnelle Urteile zu fällen, harte Lager zu bilden und sich gleich vollkommen sicher zu sein, wie absolut verkommen die Gegenseite ist. Solche Sicherheiten will McDonagh brillant erschüttern, dafür nimmt er sogar eine gewisse Herzlosigkeit in Kauf. Es geht ihm nicht wirklich um Mordopfer und die Gefühle ihrer Eltern, es geht ihm nicht wirklich um Polizeigewalt und Rassismus, und es geht ihm erst recht nicht um reale Kleinstädte im Süden der USA.

Worum es ihm geht, ist die Wut seiner Zuschauer, ihre Gefühle, die er immer wieder verwirrt, erschütternden Umkehrungen unterwirft und mit riesigen Fragezeichen entlässt. Dass deshalb nun eine Debatte läuft, die ihn aus allen Oscar-Empfehlungen möglichst ausschließen will, beweist nur die Klarsicht seines Films - und die Richtigkeit seiner Analyse.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, USA/GB 2017 - Regie und Buch: Martin McDonagh. Kamera: Ben Davis. Schnitt: John Gregory. Musik: Carter Burwell. Mit Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell, Peter Dinklage. Verleih: Fox, 116 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2018/kel
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