Thomas Vinterberg über "Die Kommune":"Bedingungsloses Miteinander zerstört das Ich"

Thomas Vinterberg über "Die Kommune": Vor allen anderen. Die Konfrontation zweier Blondinen, die denselben Mann beanspruchen: Emma (Helene Reingaard Neumann, dritte von links) und Anna (Trine Dyrholm, sechste von links) am Esstisch in "Die Kommune".

Vor allen anderen. Die Konfrontation zweier Blondinen, die denselben Mann beanspruchen: Emma (Helene Reingaard Neumann, dritte von links) und Anna (Trine Dyrholm, sechste von links) am Esstisch in "Die Kommune".

(Foto: Prokino Filmverleih)

Regisseur Thomas Vinterberg spricht über die Schönheit aber auch den Schrecken, den die experimentellen Wohnformen der Siebzigerjahre mit sich brachten. In seinem Film "Die Kommune" hat er eigene Erfahrungen verarbeitet.

Interview von Paul Katzenberger

Sein Drama "Das Fest" aus dem Jahr 1998 war die erste und bahnbrechende Arbeit der dänischen Gruppe "Dogma 95". Seither hat sich Regisseur Thomas Vinterberg als feste Größe des gegenwärtigen Arthouse-Kinos etabliert. Seinen neuen Film "Die Kommune", der seit vergangener Woche in den Kinos zu sehen ist, zeigte er in diesem Jahr im Wettbewerb der Berlinale.

SZ.de: In "Die Kommune" werden zwei Geschichten in einem Film erzählt. Die eine Geschichte handelt von der Gruppendynamik in der Kommune, die andere davon, dass Erik Anna für die deutlich jüngere Emma verlässt. Wie hängen diese beiden Geschichten zusammen?

Thomas Vinterberg: Für mich sind die zwei Geschichten durch Anna untrennbar miteinander verbunden. Denn sie opfert alles, was sie hat, für die Kommune, sogar ihren Ehemann und ihr Wohlbefinden.

Aber würde sie nicht in einer Kommune leben, würde sie ihren Ehemann vermutlich auch verlieren.

Aber nicht ihre geistige Gesundheit. Sie ist Teil eines sozialen Experiments der damaligen Zeit, nämlich zusammen zu leben und alles zu teilen. Deswegen lädt sie Emma ein, Mitglied der Kommune zu werden, nachdem sie erfährt, dass sie die Geliebte ihres Mannes ist. Wären Anna und Erik mit der Tochter eine normale Kleinfamilie gewesen, wären sie vermutlich einfach nur geschieden worden. Das wäre traurig gewesen, aber nicht die Tragödie, zu der die Trennung im Film gerät.

Mit der Geliebten des eigenen Mannes unter einem Dach zu leben, hält ja auch kein normaler Mensch aus - Anna treibt es in den Wahnsinn. Wollten Sie mit dieser Wendung der Geschichte, das soziale Experiment "Kommune" als abwegig darstellen?

Die damaligen Kommunen ermöglichten eine Menge phantastischer Erfahrungen, die ich heute wirklich vermisse, und über die ich nach wie vor ins Schwärmen geraten kann. Doch bedingungsloses Miteinander zerstört das Ich. Und das widerfährt Anna. Ihr Verlangen nach ihm ist in dieser Konstellation nicht legitim, denn sie ist aufs Teilen festgelegt.

Sie haben gesagt, "Die Kommune" sei ein Film darüber, dass Dinge enden werden. Die Liebe zwischen Anna und Erik endet, und es gibt sogar einen Toten in "Die Kommune". Warum diese Hoffnungslosigkeit?

Ich fühlte den Drang in mir, auf etwas Essenzielles hinzuweisen: Dass wir in den westlichen Gesellschaften Angst vor dem Tod haben. Denn wir alle werden sterben. In meinem Film sieht sich Anna mit jüngerer Haut konfrontiert. Sie und Emma sind beide blond und ähneln einander, doch das ändert nichts an dem Umstand, dass Annas Haut eines Tages von ihren Knochen fallen wird. Wir sprechen das im Film sehr direkt an. Der spielt in einer anderen Zeit und weckt möglicherweise nostalgische Gefühle, doch dieses elementare Problem gilt heute noch genauso wie damals. Für mich ist das Hauptthema des Films die Unbeständigkeit des Daseins.

Ihr Film zeigt im Zusammenhang mit dem Tod Aspekte des Trostes auf, den auch die Religion bietet. Die Beerdigung des gestorbenen Kindes untermalen Sie mit Elton Johns "Good Bye Yellow Brick Road", einem Lied, das als Metapher für die Antworten auf die wichtigen Fragen im Leben steht. Doch in wieweit ist eine Kommune die Lösung des Problems, dass wir sterben werden?

Die Mitglieder der Kommune sind in der Lage, etwas so Furchtbares wie den Tod eines Kindes zu überstehen, weil sie noch immer für einander da sind.

Doch das wäre auch in einer normalen Kleinfamilie möglich.

Das stimmt, und ich verstehe den Film auch nicht als Antwort auf die existenziellen Lebensfragen.

Sondern?

Einfach als Erkundung von Grundlagen des Lebens wie der Liebe und des Verlustes im Milieu einer Kommune. Aus was besteht denn das Leben? Es besteht aus Scheidungen, aus Tod, vielleicht sogar aus dem Tod eines Kindes, der wie in diesem Fall etwas Symbolhaftes in sich trägt, nämlich den Verlust der Unschuld.

Thomas Vinterberg über "Die Kommune": "Unsere Existenz verlangt uns normalerweise immer die Frage ab, was wir der Welt von uns zeigen wollen, und was wir verborgen halten." Thomas Vinterberg bei der Vorstellung seines Filmes "Die Kommune" bei der Berlinale 2016.

"Unsere Existenz verlangt uns normalerweise immer die Frage ab, was wir der Welt von uns zeigen wollen, und was wir verborgen halten." Thomas Vinterberg bei der Vorstellung seines Filmes "Die Kommune" bei der Berlinale 2016.

(Foto: Paul Katzenberger)

"Ein Film über ein wahres Gefühl"

Was unterscheidet das Kommunardendasein im Umgang mit diesen Themen von einer normalen Familie?

Viele Mechanismen sind ganz ähnlich, doch in einer Kommune verstärken sie sich. Wenn man zusammenzieht, passiert eines: Man strengt sich nicht mehr an, sich zu präsentieren. Unsere Existenz verlangt uns normalerweise immer die Frage ab, was wir der Welt von uns zeigen wollen, und was wir verborgen halten, um attraktiv für andere zu erscheinen. In einer Kommune stellt sich diese Frage nicht mehr, denn der Kontakt ist permanent da. Die Blöße, die man damit zulässt, hat etwas sehr Schönes, weil man Menschen in einer Weise nahe kommt, wie es sonst nur in Familien geschieht. Andererseits hört man auf, für sich zu werben, was zum Problem werden kann. Das Sexleben vieler Paare zerbricht an anhaltend mangelnder Inbrunst.

In einer Szene scheitert die ansonsten wunderbar funktionierende Demokratie der Kommune: Erik akzeptiert eine Mehrheitsentscheidung einfach nicht, obwohl er vorher alle gemeinsam getroffenen Beschlüsse mitgetragen und ja sogar freiwillig sein geerbtes Haus größtenteils auf die anderen Kommunarden überschrieben hat. Warum wird da plötzlich einer zum Diktator?

Der Film ist der Versuch, ein Sittenbild der damaligen Zeit zu zeichnen. Und das gehörte für mich schlicht dazu. Die Familien der Fünfzigerjahre wurden vornehmlich durch patriarchalische Vaterfiguren definiert. Erik ist das klassische Beispiel eines Vaters in den Sechziger- und Siebzigerjahren, der dagegen rebelliert - und schließlich dann doch wieder ein Patriarch wird. Ich habe viele solche Männer in Kommunen kennengelernt. Am Anfang waren sie voller Ideale, doch schließlich entwickelten sie sich zu dem, was in ihren Genen steckte, und wie sie durch ihre eigene Jugendzeit geprägt waren - zu klassischen Hausherren.

Das heißt, ihr ursprünglicher Idealismus waren nichts anderes als Naivität?

Sie waren in der Regel recht gebildet, aber naiv. Sie waren beschwingt, mit der Tendenz zum Alkoholismus, großzügig, verrückt, aufrecht und kindisch. Derjenige, der das höchste Einkommen hatte, schlug vor, die Miete nach der Höhe des Einkommens festzulegen. Also erhöhte sich seine Miete ums Dreifache. Doch das gibt es nicht mehr. Zehn Jahre später forderte derselbe Mann, dass genau nachgerechnet wird, wer was getrunken hat, denn er hatte nur Wasser und die anderen Bier. Es ist eine traurige Ironie, dass wir versuchen, anders als unsere Eltern zu sein, doch schließlich sind wir genau das, was sie einst waren.

Der Film basiert entfernt auf Ihren eigenen Erfahrungen, die Sie als Jugendlicher in einer Kommune machten. Was im Film ist Fiktion, und was hat sich tatsächlich zugetragen?

Das meiste ist Fiktion. Ich habe den Film meiner damaligen Kommune gezeigt, und sie haben sich darin nicht wiedererkannt. Spezifische Sachen haben sie zuordnen können - auch bei uns gab es einen, der wie im Film Sachen verbrannt hat. Auch meine Eltern lebten nach ihrer Trennung weiterhin in der Kommune. Aber viele Dinge, die der Film zeigt, sind Fiktion.

Um den Film spannender zu machen?

Nicht unbedingt. Meine früheren Kommunarden waren zum Beispiel durch die Farbe der Wände im Film sehr irritiert. Sie sagten: 'Wir hatten doch weiße Wände.' Und ich antwortete: 'Na, und. Wir haben braune.' Für sie ergab das eine vollkommen andere Atmosphäre. Jemand von ihnen sagte dann sehr klug: 'Das ist kein Film über eine wahre Geschichte, sondern ein Film über ein wahres Gefühl.' Das hat mich erleichtert, denn mir war es wichtig, dass das zwar ein persönlicher Film wird, der aber nicht die Privatsphäre von Menschen verletzt.

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