Thomas-Mann-Villa in Los Angeles:Im Oval Office des deutschen Exils

Bundespräsident Steinmeier in den USA

Das ehemalige Wohnhaus von Thomas Mann wurde vom Auswärtigen Amt 2016 erworben und saniert.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Das Haus im kalifornischen Pacific Palisades, in dem Thomas Mann während des Zweiten Weltkriegs mit seiner Familie gelebt hat, ist wiedereröffnet.
  • Die Bundesrepublik hat das Thomas-Mann-Haus gekauft und will es zu einer Stätte des transatlantischen Austauschs machen.
  • Zu den ersten Stipendiaten der Villa zählen unter anderen der Schauspieler Burghart Klaußner und die Soziologin Jutta Allmendinger.

Von Jürgen Schmieder

Der Blick fällt von den drei Palmen im Garten auf das frisch gepflanzte Zitronenbäumchen, hinüber zum Pool und dann zum Pazifischen Ozean. Wer sich unten im Salon einen Drink eingeschenkt hat und nun über den Balkon im Obergeschoss flaniert (dieser Balkon ist größer als 99 Prozent aller Wohnungen in Los Angeles und sieht aus wie die Reling eines Kreuzfahrtschiffs), der kann sich durchaus vorstellen, wie Thomas Mann von hier aus seinen Enkelkindern beim Spielen in diesem wahnwitzig großen Garten zusah, vielleicht an "Lotte in Weimar" dachte und möglicherweise später im Arbeitszimmer im Erdgeschoss am "Doktor Faustus" arbeitete.

Dieses Arbeitszimmer ist der einzige Raum im Haus, der auch nach der Renovierung noch eine Chance hat, Thomas Mann zu gefallen: zwei deckenhohe Regale mit Büchern darin, in der Mitte ein rustikaler Arbeitstisch, Pazifik-Blick. Die anderen Zimmer dagegen sind so eingerichtet, wie amerikanische Häuser nun einmal eingerichtet sind, wenn jemand möglichen Käufern zeigen will, wie das möbliert aussehen könnte: neue und doch irgendwie verzweifelt auf Fünfzigerjahre getrimmte Möbel, ein Thonet-Stuhl zum Beispiel oder ein Teppich von Jan Kath. Schön ist das nicht, es ist in Wahrheit ziemlich hässlich, aber anstatt deutsch herumzunörgeln, geben wir uns lieber kalifornischer Begeisterung hin: Das Haus sieht einladend und freundlich aus, draußen gibt es Pool und Palmen und Pazifik.

Es ist erstaunlich, dass es diese Villa mit der Adresse 1550 San Remo Drive im kalifornischen Pacific Palisades noch gibt - gerade in dieser Gegend zwischen Los Angeles und Malibu, die Bertolt Brecht mal als "weit weg von der Zivilisation" abgetan hat. Brecht hat leidenschaftlich auf Los Angeles und die Pazifikküste geschimpft, und er hatte nicht ganz unrecht: Hier wohnen vor allem Filmstars in Protzvillen und McMansions, die mit dem Rest der Zivilisation möglichst wenig zu tun haben wollen. Im San Remo Drive wohnen zum Beispiel die Schauspieler Ben Affleck und Matt Damon, beim Spaziergang könnte man den Nachbarn Hilary Swank, Steven Spielberg oder Diane Keaton begegnen. Mit dem Rest von Amerika hat dieser Ort ungefähr so viel gemein wie eine Hollywood-Romanze mit ehrlichem Liebeskummer.

Goldie Hawn und Kurt Russell haben zwölf Jahre lang gleich nebenan gewohnt

Thomas Mann ist nach seiner Flucht aus Deutschland im Jahr 1942 der Bauherr dieser Fünf-Zimmer-Villa gewesen, der moderate Modernist Julius Ralph Davidson hat sie für ihn entworfen - und sie hätte abgerissen werden sollen. Sie stand im Juli 2016 für 15 Millionen Dollar zum Verkauf, und in der Anzeige des Maklers war ausdrücklich vermerkt, dass man dieses Haus recht einfach entfernen und auf dem Gelände einen Prachtbau errichten könne. Das war nicht einmal böse gemeint, sondern entsprach den Gepflogenheiten in dieser Gegend.

Goldie Hawn und Kurt Russell zum Beispiel haben zwölf Jahre lang gleich nebenan gewohnt, nach dem Verkauf im vergangenen Jahr wurde die gregorianische Villa schnellstmöglich zu einem architektonisch fragwürdigen Gebilde umgebaut, vom Balkon des Thomas-Mann-Hauses ist nun zu sehen, dass es nicht einmal mehr das Meditationszelt im Garten gibt.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete damals über Verkauf und möglichen Abriss, hinter den Kulissen verhandelte das deutsche Außenministerium im Auftrag des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, und vielleicht ist es Zufall, dass die deutsche Regierung genau eine Woche nach der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten verkündet hat, dass sie das "Weiße Haus des Exils" (Steinmeier) gekauft habe, vielleicht aber auch nicht. So mag es auch Zufall sein, dass Steinmeier, mittlerweile Bundespräsident, auf der ersten US-Reise seiner Amtszeit nicht nach Washington fährt, sondern zum Thomas-Mann-Haus in Pacific Palisades. Vielleicht aber auch nicht.

"Gewissermaßen das Oval Office der Exil-Opposition gegen Hitlers Terrorherrschaft in Berlin"

"Dieses Haus hier war nicht nur das Heim einer Familie, nicht nur ein Ort, an dem gedacht und geschrieben wurde, der Mittelpunkt vom sogenannten Weimar am Pazifik, ein Zentrum für Literatur, Musik, Film und Kunst", sagt Steinmeier am Montagabend auf der Terrasse: "Nein, es war auch ein politisches Weißes Haus, und Thomas Manns Arbeitszimmer war gewissermaßen das Oval Office der Exil-Opposition gegen Hitlers Terrorherrschaft in Berlin." In diesem Haus schrieb der Schriftsteller die meisten Beiträge der Radioserie "Deutsche Hörer", die über den britischen Sender BBC nach Deutschland gesendet wurde und deren politische und gesellschaftliche Bedeutung nicht überschätzt werden kann.

Nun soll das Thomas-Mann-Haus eine Stätte des transatlantischen Austausches werden, wobei angesichts der politischen Lage die Frage erlaubt sei, wie groß die Chancen dafür gerade sind - und ob diese Villa in einer vom restlichen Amerika weit entfernten Elfenbeingegend dafür der ideale Ort ist. Was die politische Lage angeht, hat Steinmeier keine Illusionen: "Ja, es sind stürmische Zeiten", sagt er und zitiert dann aus einem Brief des Schriftstellers Erich von Kahler, der im Jahr 1951 an Mann geschrieben hat: "Zwei Freunde fahren über den Atlantik, der eine von Europa nach Amerika, der andre von Amerika nach Europa. In der Mitte des Ozeans treffen sich die Schiffe, fahren aneinander vorbei. Die Freunde stehen an der Reling, erkennen einander und rufen beide unisono dasselbe hinüber: 'Bist du wahnsinnig?'"

Die ersten Stipendiaten sind die Soziologin Jutta Allmendinger, die sich in Los Angeles gerne "die Finger schmutzig machen" und die dunklen Seiten der Stadt erforschen möchte. Der Mikroelektronik-Professor Yiannos Manoli will sich mit amerikanischen Kollegen austauschen, der Schauspieler Burghart Klaußner einen Roman schreiben, der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering mit Thomas-Mann-Enkel Frido Mann über politisch relevante Kunst diskutieren. Sie alle sollen die Villa zu einem Ort intellektueller Debatten werden lassen, untereinander, aber auch mit amerikanischen Pendants. "Ihre Arbeit hier wird wichtig sein", gibt ihnen Steinmeier mit auf den Weg: "Sie unternehmen diese transatlantische Reise in einer Zeit politischer Turbulenzen - Turbulenzen auf beiden Seiten des Atlantiks, aber auch zwischen unseren beiden Ländern."

Thomas Manns Satz "Wo ich bin, ist Deutschland" war ein trotzig-selbstbewusster Ausruf, der in diesem Haus in den Pacific Palisades nachhallt. Man kann herumspazieren, sehr lange sogar, ohne einem anderen Bewohner oder Besucher zu begegnen. Es kann fantastisch ruhig hier sein, weit weg von der Hektik dieser lauten Metropole. Es ist die amerikanische Westküste, gewiss, eine Wohngegend für reiche Schauspieler, es ist aber eben auch so wunderbar deutsch hier mit diesem Schrankrondell in der Küche, dem Massivholz-Einbauschrank-Regalsystem im Arbeitszimmer und der Glasvitrine neben der Treppe zum Schlafgemach. Und drei Palmen.

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