Süddeutsche Zeitung

Thomas Mann:Bundesrepublik kauft Thomas-Mann-Villa in Los Angeles

Das Haus, das der Schriftsteller im amerikanischen Exil bewohnte, stand zum Verkauf, mit der Möglichkeit zum Abriss. Nun hat es die deutsche Regierung gekauft - und hat Großes damit vor.

Von Peter Richter und Andrian Kreye

Die Bundesrepublik hat Thomas Manns einstiges Haus am Rande von Los Angeles gekauft und damit vor dem wahrscheinlichen Abriss gerettet. Das haben sowohl die Maklerin Joye Rey in Kalifornien als auch deutsche Stellen am Mittwochabend der SZ bestätigt.

Auf den Schildern der Makler und auf den Anzeigen in den Immobilienportalen war zu diesem Zeitpunkt plötzlich das Wort "closed" aufgetaucht: Der Kauf ist demnach abgeschlossen, der Preis betrug 13 250 000 Dollar. (Dazu kommen Steuern und Maklergebühren.) Das sind fast zwei Millionen Dollar weniger, als noch im August dafür verlangt wurden, als das Haus auf den Markt kam. Die vorherigen Besitzer wollten fast 15 Millionen. Dass sie am Ende davon abgerückt sind, mag mit dem Verhandlungsgeschick der deutschen Seite zu tun haben, es deutet aber auch auf die Gründe hin, aus denen befürchtet werden musste, dass ein Abriss des Hauses droht, in dem Mann den "Dr. Faustus", "Lotte in Weimar" sowie Teile von "Joseph" und von "Felix Krull" geschrieben hat.

Bald schon könnten die ersten Stipendiaten in das Haus geschickt werden

Angeboten war ein "Einfamilienhaus" mit 489 Quadratmetern aus dem Baujahr 1941, was in dieser Wohnlage einerseits nicht besonders groß und andererseits für kalifornische Verhältnisse schon sehr alt ist. Wirtschaftlich erschien Beobachtern der Preis für das Grundstück nur unter der Bedingung, dass der Bau durch mehrere Neubauten ersetzt würde. Vermutlich war auch deshalb bei den Maklern vom kulturhistorischen Wert des Objekts von vornherein nie die Rede. In den Anzeigen wurde weder der prominente Bauherr erwähnt noch sein Architekt, der moderate Modernist Julius Ralph Davidson, ebenfalls ein Immigrant aus Deutschland. Abgesehen von seinem Wert für die Literatur- wie für die Architekturgeschichte, steht der Bau für den damals unter den deutschen Exilanten seltenen Willen, in Kalifornien wirklich Wurzeln schlagen zu wollen. Dass das deutsche Außenministerium nach dem Kauf der Villa, in der Lion Feuchtwanger einst seine Exiljahre hier verbracht hat, nun auch Thomas Manns Haus erworben hat, ist bemerkenswert. Der Vorlauf war dabei länger, als allgemein bekannt.

Der ehemalige Bundesminister Gerhart Baum hatte mitgeteilt, dass er schon Anfang der Siebzigerjahre beim Außenamt den Erwerb des Hauses angeregt habe. Damals waren die Bemühungen allerdings gescheitert. Auch diesmal war es nicht einfach, heißt es aus der deutschen Botschaft in Washington. Die Nachricht vom Verkauf in Berichten der SZ erreichte den politischen Betrieb mitten in den Ferien, der Bundestag musste die Gelder erst einmal bereitstellen, und in Kalifornien war nicht nur mit dem Verkäufer zu verhandeln, sondern auch mit den Anwohnern im feinen Pacific Palisades, denen das Verkehrsaufkommen einer deutschen Kulturinstitution am Ende wohl doch lieber war als die drohende Baustelle. Federführend waren die Kulturabteilung des Außenamtes und am Ort der deutsche Generalkonsul in Los Angeles, Hans-Jörg Neumann. In den nächsten rund zwei Jahren wird es vor allem darum gehen, die gerettete Substanz zu sichern und zu renovieren, dann aber sollen schon die ersten Stipendiaten in das Haus geschickt werden.

Denn sicher ging es erst einmal darum, ein Denkmal vor dem Zugriff des erbarmungslosen amerikanischen Immobilienmarktes zu schützen. Aber jetzt gehört das Haus nun mal der deutschen Regierung, und weil es sehr gut möglich ist, dass es in der nahen Zukunft verschärften transatlantischen Redebedarf gibt, soll genau der am San Remo Drive gedeckt werden.

Das passt sehr gut zur "Soft Power"-Politik, die Frank-Walter Steinmeier betreibt. Er hat sich in den letzten Jahren sehr deutlich vom ästhetischen Kulturbegriff gelöst. Wobei sein neuer sozialer Kulturbegriff auch sehr viel effektiver ist, wenn man damit Politik machen will. In seinem Außenministerium spricht man davon, "vorpolitische Räume zu schaffen". Das heißt, dass sich Kultur und Wissenschaft erst einmal in Ruhe sortieren sollen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich auf Anfrage der SZ so: "Thomas Manns Haus war so etwas wie das ,Weiße Haus des Exils'. Hier war die Heimat für viele Deutsche, die gemeinsam für eine bessere Zukunft unseres Landes gestritten, um die Wege zu einer offenen Gesellschaft gerungen und ein gemeinsames transatlantisches Wertefundament erarbeitet haben. In diesem Geist wollen wir die Thomas-Mann-Villa wiederbeleben und hier wie in der German Academy in New York die transatlantische Verständigung fördern."

Grütters: "Die transatlantischen Beziehungen haben gerade jetzt eine Stärkung besonders nötig"

Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die das Programm mitgestalten wird, sieht dafür einen ganz aktuellen Grund: "Die transatlantischen Beziehungen haben gerade jetzt eine Stärkung besonders nötig. Ich vertraue da auf die Kraft der Kultur, weil sie Brücken bauen kann, wo Politik und Diplomatie gelegentlich an ihre Grenzen stoßen." Sie will auch nicht nur Deutsche dorthin schicken: "Wir werden auch Menschen dorthin schicken, die bei uns im Exil leben und Schutz suchen. Diese Künstler sollen auch dort an einem authentischen Ort des Exils arbeiten können."

Was soll unter diesen Bedingungen nun geschehen im Haus am San Remo Drive? Es sollen Künstler und Wissenschaftler über Residenzprogramme an den San Remo Drive kommen und dort auf ihre amerikanischen Zeitgenossen treffen. Die ganz großen Fragen sollen sie dann verhandeln. Wie erhalten wir die Demokratie? Welche Rolle spielen Nation und Markt? Wo beginnt der transatlantische Graben, und wo hört er auf? Darüber werden GoetheInstitut und Bundeskulturministerium wachen, Stiftungen sollen helfen, amerikanische Universitäten, der deutsche Actionregisseur Roland Emmerich. Und damit das alles auch im Geiste Thomas Manns geschieht, werden Ulrich Raulff vom Literaturarchiv Marbach und der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering beraten.

Einen glücklicheren Standort als Los Angeles könnte es dafür wahrscheinlich gar nicht geben. Die Stadt ist in den letzten Jahren so massiv zum kulturellen Knotenpunkt aufgerückt, dass sie New York ernsthaft Konkurrenz macht, und sie liegt nicht weit entfernt von dem Ort, aus dem unsere technologische Kultur befeuert und gesteuert wird, dem Silicon Valley. Die Verschiebung der kulturellen Gewichte von der Ost- zur Westküste reflektiert auch die der politischen Aufmerksamkeiten, die sich unter Barack Obama vom transatlantischen Raum auf den pazifischen verlagert haben. Auch wenn die künftige Regierung unter Donald Trump sich mehr nach innen orientieren will, wird der "Pacific Rim" wohl der Ort der Zukunft bleiben.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2016/luc
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