Es gibt von Tom Wolfe in seiner Abrechnung mit dem sogenannten Funktionalismus, "From Bauhaus to Our House", einen berühmten Spott über das Flachdach. Er bemerkt darin, dass alle Geburtsstädte unserer modernen Architektur, mit der das Giebeldach skalpiert wurde, rund um den 52. Breitengrad lägen, also Berlin, Weimar, Rotterdam, Moskau. Dort aber gebe es "genug Schnee und Regen, um eine Armee aufzuhalten". Darum stellt er sich die Frage: Was ist funktional an einer flachen Dachform, die Schneelasten nicht abführen kann, Regen zu Seen staut, und bei Sonne kaum betreten wird, weil es dort entweder zu heiß oder zu windig ist? Von der also höchstens Selbstmörder profitieren, weil sie bequemer vom Hochhaus springen können?
Doch alle Logik und Vernunft hat dem Sattel-, Walm- und Schleppdach seit der Gründung des Bauhauses nichts mehr genützt. Noch immer hält eine Armee von Flachdach-Architekten funktionierenden Funktionalismus mit den Argumenten einer Geschmackspolizei auf. Wer Ziegel auf dem Dach hat, gilt als ästhetisch nicht ganz dicht. Aber es gibt Hoffnung. Ein Mann namens Thomas Kröger praktiziert endlich, was die Moderne so lange gepredigt hat: Kunstarchitektur, die Sinn macht, und zwar mit Dachskalp drauf. Damit tritt er einer Bauauffassung im Greisenalter entgegen, nach der nichts Stil besitzen kann, was vom Land kommt. Thomas Kröger kommt vom Land. Und er sagt mit Leidenschaft: "Ich liebe Dächer!"
Architektur:Original
Der indische Architekt Balkrishna Doshi versöhnt Tradition und Zukunft. Eine Begegnung in Weil am Rhein, wo das Vitra-Design-Museum ihm eine Retrospektive widmet.
Zwei Mal hintereinander hat der Architekt mit seinem Büro in Berlin, das direkt gegenüber Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie liegt, dem größten Heiligtum des Flachdaches, den Preis für das "Haus des Jahres" gewonnen, den der Callwey Verlag und das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt ausloben. 2017 mit seinem "Schwarzen Haus" in der Uckermark. Und letztes Jahr mit einer rotleuchtenden Variation ostfriesischer Gulfhäuser, einer Bauernarchitektur aus dem 16. Jahrhundert mit sehr viel Dach. Das neue Heim am Deich für eine Lehrerfamilie, die zwar nicht viel Geld, aber große Träume von einem Zuhause im modernisierten Lokalstil hatte, schafft etwas, das bei Preisgekröntem nicht immer gelingt: Das Gebäude sieht in Wirklichkeit noch viel besser aus als auf dem Foto, nach dem die Juroren allein entschieden haben
Krögers Liebe zur Uckermark begann im Kofferraum
Kreisrunde Panoramascheiben, die an Louis Kahn, und Haustüren, die an heraldisch dekorierte Fensterläden von Burgen erinnern, sind neben dem tief gezogenen Schleppdach absolute Hingucker, die dem Haus enorm viel Persönlichkeit geben. Aber erst die vielen Details dieser Backsteinarchitektur mit modernem Innenleben machen das Schmuckstück zum Liebesobjekt ländlichen Schönheitssinns. Fischgrat-Muster mit Ziegeln auf den Sichtfassaden, schwertförmige Klinker, die an den Seiten die Fensterbänder rhythmisieren, und innen ein heller, hoher, offener Raum über dreieinhalb Ebenen, den man in dem klar akzentuierten kleinen Objekt nie erwartet hätte. Die Bauherren sind so glücklich, dass sie für den Pressebesucher sogar Apfelkuchen backen.
Kröger, der seine Lehrjahre vor allem bei Norman Foster und Max Dudler, zwei ziemlich unterschiedlichen Architekten, absolviert hat, kam zu seinem Thema aus dem Kofferraum. Vor rund einem Jahrzehnt, als er sein eigenes Büro startete, fuhr er immer wieder in die Uckermark, weil ihn diese entleerte und entschleunigte Landschaft nordöstlich von Berlin so faszinierte, und schlief dort in seinem Kombi. Aus dieser entbehrungsreichen Liebe entwickelten sich durch viele Zufälle Bauherrenfreundschaften, so dass es inzwischen einige schöne Objekte mit unterschiedlichsten Dächern zwischen Wandlitz und Gerswalde gibt, die eindrücklich zeigen, was Kröger mit "charakterstarker" Architektur meint.
"Das Neue lässt sich mit dem Vorgefundenen ein. Daraus entsteht eine eigenständige und selbstbewusste Identität", sagt Kröger auf einer Landpartie zu seinen Dorfschönheiten, dem "Schwarzen Haus", der "Tenne", dem "Pavillon" oder dem "Werkhaus", alle in den letzten Jahren bei Wettbewerben ausgezeichnet. Das alte Knickdach mit seiner ewig unterschätzten skulpturalen Kraft prägt diese Bauten und Umbauten. Denn im Gegensatz zur Rechteckmoderne, die wie Information erscheint, besitzt der ländliche Kontext, auf den Kröger sich bezieht, den Klang der Erzählung. Oder wie es sagt: "Die große Qualität des Bestands ist es: Er ist gut im Erinnern."
In den Eingeweiden der architektonischen Landarbeit - und das ist das Überragende an Krögers Entwürfen - findet sich dagegen nichts von der ruralen Verdunkelung von Bauernstuben und Ställen. Experimentelle Grundrisse, vielfältige Perspektiven in die Landschaft, große Helligkeit und haushohe Räume finden sich sowohl unter dem sägezahnbeschnittenen skurrilen Hut seines silbrig glänzenden Pavillons am See wie unter dem spartanischen Scheunenwinkel des Schwarzen Hauses, das luftig um einen offenen Wohnkern herumgebaut ist. Das Alte beschützt das Neue, das Erinnern beherbergt die Zukunftsräume. Mit Nostalgie hat das nichts zu tun, mit Geschichtlichkeit aber eine ganze Menge.
Auch in seinem zweiten großen Tätigkeitsfeld, dem Umbau von Stadtwohnungen, gibt es diese Freundschaft historischer Atmosphären. Krögers häufig opulent wirkenden Modernisierungen erreichen den würdigen Charakter der Salonwohnung aus dem Vorkriegsberlin mit den Mitteln gegenwärtiger Formen und manch originellem Detail.
Und wenn er sich auch mal an den prestigeträchtigen Wettbewerben für Superbauten der Stadtkultur beteiligt, etwa für das Museum des 20. Jahrhunderts, das fünf Minuten von seinem Büro hinter Mies Nationalgalerie entstehen wird, dann kann er - wenn auch erfolglos - selbst den Kontext der skulpturalen Nachkriegsmoderne als Referenz nehmen. Sein Entwurf thematisierte die auf Glas schwebende Baumasse, mit der die Nachkriegsmoderne versuchte, sich bei Repräsentanzgebäuden Flügel zu verleihen.
Siedlungen verdichtet er mit Dreieck-Hochhäusern, in Potsdam baut er eine Villa als grünen Hügel
Doch Krögers ganz eigene Flügel sind die Dächer. Sie heben seine Entwürfe aus der Masse. Am Übergang von Hamburg in die Elbmarschen bei Bergedorf entsteht bis 2022 eine Stadtteilschule, die sich mit extrem tief gezogenen Dächern an den Reetdachhäusern der Gegend orientiert, aber aus dieser expressiven Neuschöpfung ein rundum modernes Bauwerk ableitet.
Auch für die Nachverdichtung lockerer Vorstadtsiedlungen hat Kröger mit dreieckigen Hochhäusern einen ebenso faszinierenden wie konzeptionell logischen Protoyp geschaffen, der durch eine halbe Schindelpyramide prägnant, aber sinnvoll abgeschlossen wird. Und in Potsdam am Wasser, zwischen den romantischen Bauten der Preußenzeit, entwirft er gerade eine Villa, die aus einem schräg aufgestellten Riesendach besteht, das sich als grüner Steilhügel in die Landschaft integriert.
"Ich muss nichts Auffälliges absichtlich tun", sagt Kröger, dem es etwas unwohl zu sein scheint, mit den Emblemarchitekten assoziiert zu werden, auf die sich Magazine stürzen. "Aber ich möchte Gebäude schaffen, die auch auf den zweiten Blick nachwirken." Diese Nachwirkung, die bisher alle seine Entwürfe erzeugen, nährt sich aus zwei Dingen, die in der Geschichte der Moderne einen schweren Stand hatten: Krögers Architektur besitzt etwas Rätselhaftes, ein Fluidum des Geheimnisvollen, und sie schämt sich nicht des Gefühls. Es sind emotionale Gebilde zur persönlichen Aneignung, die er erfindet. Und damit genau das, was Tom Wolfe bei den Rastern und Gitterkäfigen der Moderne so schmerzlich vermisst hat, wenn er sich fragte, warum "so viele Menschen von Wohlstand und Macht Architektur bezahlen und ertragen, die sie eigentlich verabscheuen."
Krögers Architektur aber kann man lieben, weil sie an keiner Stelle flach ist oder rational und nüchtern. Funktional heißt hier, dass man es gerne mag. Dieser sympathische Baukünstler gehört zu den ganz großen Hausgestaltern unserer Zeit.