Thomas Hermanns:Befreiung im Vier-Viertel-Takt

Plaudern über die homosexuelle Emanzipation: Thomas Hermanns erinnert sich in "für immer d.i.s.c.o." an seine Zeit als Dancing-Queen.

A. Kreye

Im popintellektuellen Diskurs spielte Disco meist die Rolle des kommerziellen Sumpfes im Hinterland der hedonistischen Massenkulturen. Was vor allem damit zu tun hat, dass der popintellektuelle Diskurs traditionell von Rockfans dominiert wurde, die Relevanz mit subkulturellem Außenseitertum und handwerklichem Konservatismus gleichsetzten. Hinter der musikhistorischen Bedeutung jener Musik, die trotz ihres operettenhaften Streicher- und Soul-Bombasts das stählerne "four on the floor"-Dogma des modernen Dancepop zementierte, verbirgt sich jedoch eine gewichtige gesellschaftshistorische Parallele.

Thomas Hermanns: Thomas Hermanns: vom verklemmten Teenager zum Fernsehstar.

Thomas Hermanns: vom verklemmten Teenager zum Fernsehstar.

(Foto: Foto: ddp)

Disco war nämlich ursprünglich der Soundtrack zur Emanzipationsbewegung der Homosexuellen im Amerika und Europa der siebziger Jahre. Ihr Siegeszug in die Hitparaden begleitete den Weg der Schwulen in die Mitte der Gesellschaft. So gesehen war der Durchbruch von Disco eine ähnliche Entwicklung wie die Hitparadenerfolge des Motown Soul und dessen Gleichzeitigkeit zu den Erfolgen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.

Auch Thomas Hermanns beginnt seine Erinnerungen an die Entdeckung seiner Leidenschaft für Disco während seiner Teenagerjahre in den Hochhausvierteln von Nürnberg-Langwasser mit einer Zusammenfassung des Disco-Diskurses. Er erinnert an die "Disco Sucks"-Bewegung und an die öffentlichen Schallplattenverbrennungen. Er betont die schwarzen Wurzeln der Disco und die Bedeutung für die Schwulen- und Frauenbewegung, und deutet damit schon den homophoben, sexistischen und rassistischen Kern des Diskurses an.

Der strenge Diskurs ist jedoch auf die ersten Seiten des Buches beschränkt, denn Thomas Hermanns ist weder Musikhistoriker, noch Soziologe, sondern Entertainer. Vor fast zwanzig Jahren brachte er aus New York das damals noch exotische japanische Gesellschaftsritual des Karaoke nach Deutschland. Dann entdeckte er die Standup Comedy für die deutschen Bühnen, was ihn mit seinem "Quatsch Comedy Club" zum Fernsehen und dort bis zur Moderation der Bambi-Verleihung und der deutschen Vorentscheidung für den Eurovision Song Contest brachte. Deswegen ist "für immer d.i.s.c.o." auch weder eine musikhistorische Analyse noch eine Streitschrift für die "Gender Studies", auch wenn das Buch für beide Forschungsfelder Stoff hergeben würde.

Stilistisch bedient sich Hermanns bei drei Klassikern der Popliteratur. Ähnlich wie Douglas Coupland in seinem Roman "Generation X" durchzieht er das Buch mit überhöhten Fußnoten, die er zu farblich unterlegten Kästen und Textstrecken aufbläst. In kurzen lexikalischen Abrissen und Interviews mit Discolegenden wie Marianne Rosenberg, Sister Sledge und Gloria Gaynor zeichnet er kundig die Geschichte der Discomusik nach. Die Stoßrichtung dieses Stilmittels ist offensichtlich - ähnlich wie Coupland das Leseverhalten seiner Hypertext-geschulten jungen Leser nachempfinden wollte, kokettiert Hermanns mit seinem zappenden Fernsehpublikum.

In erster Linie ist "für immer d.i.s.c.o." jedoch ein persönliches Buch, in dem der Autor sich an sein langwieriges Coming Out in der fränkischen Provinz erinnert, das schließlich in den ekstatischen Tanzflächenritualen im Münchner Schwulenclub "New York" gipfelte. Dabei bedient er sich immer wieder jener subjektiven Hitlisten, die Nick Hornby erfand, um dem Protagonisten seines Romans "High Fidelity" mittels popkultureller Koordinaten Profil zu verleihen. Vor allem aber pflegt Thomas Hermanns einen anekdotischen Plauderton, der permanent an die Erlebniswelt seiner Leser appelliert. Das ist einerseits ein Motiv der Standup Comedy, die mit überzogenen Alltagsbeobachtungen Nähe und Lacher produziert. Andererseits war das auch die Methode, mit der Florian Illies' "Generation Golf" den Nerv von Millionen Lesern traf.

Nun fehlt Hermann zwar die routinierte Spracheleganz von Hornby und Illies. Doch gerade die naive Leidenschaft, mit der er von seiner Entdeckung und Verehrung für das vielgeschmähte Genre erzählt, macht "für immer d.i.s.c.o." zu einem so authentischen Dokument. Disco wird da zur Metapher für den persönlichen Aufbruch. Der sprudelnde Plauderton und die in Silber und Gold gefärbten Seiten nehmen der Geschichte eines sexuellen Befreiungskampfes in der deutschen Provinz dabei den Gestus des Martyriums. Geschichten von pubertären Klassenfesten und ersten Travestieversuchen im Ferienclub leben von einer Komik ohne sarkastischen Stachel. Nur durch den Epilog zieht sich dann die Wehmut eines Vorkämpfers, der sein Coming Out noch weitgehend sorglos vor dem Ausbrechen der Aids-Seuche erleben durfte.

Thomas Hermanns für immer d.i.s.c.o. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2009. 272 Seiten, 18,95 Euro.

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