Thomas Glavinic:"Das ist jetzt auch das Letzte, was wir miteinander reden"

Thomas Glavinic in seinem Lieblingsrestaurant ' Indian Pavilion ' am Wiener...

Geht stets volles Risiko - und dabei manchmal ein bisschen zu weit: Thomas Glavinic.

(Foto: Sebastian Reich/dpa)

Er eckt an. Bei Linken, Kritikern und Facebook, wo er betrunken ein Nacktfoto postete. Schriftsteller Thomas Glavinic zeigt, wie moderne Kommunikation schief gehen kann.

Von David Pfeifer

Thomas Glavinic schiebt höflicherweise die Sonnenbrille hoch, um seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Er blinzelt in die Sonne, die das pittoreske Goldegg an diesem Vormittag bescheint. Glavinic ist hier nicht auf Urlaub, sondern weil er das Gefühl hat, zu Hause in Wien nicht vor die Tür gehen zu können, ohne sich mit Menschen auseinandersetzen zu müssen.

In Wien lebt er im 4. Bezirk, einem Biotop. Dort wurde er zuletzt auf der Straße als Sexist und als Rechter beschimpft, weil er sich in einem Facebook-Post dafür ausgesprochen hatte, dass man sich mal mit den Wählern von Norbert Hofer und der FPÖ auseinandersetzen solle. Oder weil er die Bloggerin Stefanie Sargnagel als "talentfreie Krawallnudel" und "sprechenden Rollmops" bezeichnet hatte. Er wurde in Zeitungen bloßgestellt, im Wortsinn, nachdem er ein Nacktfoto von sich gepostet hatte, inklusive entblößtem Penis, dazu den Satz "Geh' scheißen, Mark Zuckerberg". Thomas Glavinic blinzelt und sagt: "Da war ich besoffen."

In seinem Roman "Das bin doch ich", vor zehn Jahren erschienen, beschrieb Glavinic als große Komödie, wie er den Erfolg seines Freundes Daniel Kehlmann ertragen muss, während er selbst sich um einen neuen Verlag bemüht. Immer wieder beschreibt er dort Unfälle der modernen Kommunikation, wenn sein Alter-Ego beispielsweise betrunken Mails schreibt, die den nüchternen Glavinic dann verfolgen.

Vielen Kritikern ist es zu selbstreferenziell, verlabert und größenwahnsinnig, dass Glavinic sich in den Mittelpunkt der eigenen Erzählung stellte und das bis heute immer wieder tut. Für den echten Glavinic kam vor einem Dreivierteljahr der Zusammenbruch. Das Herz setzte aus, seine Lebensgefährtin ist glücklicherweise Ärztin und belebte ihn wieder. Er ist jetzt erst Mitte 40 - er darf nichts mehr trinken, keine Drogen mehr nehmen, er soll Spaziergänge machen wegen eines Blutgerinnsels im rechten Bein, "dabei bin ich so faul. Und Spaziergang - da hört sich doch das Wort schon grauenvoll an."

Er wirkt belästigt.

"Das Saufen war ja vor allem dazu da, um sozial irgendwie auszukommen. Die Leute sind mir sonst zu nah." Glavinic wurde nach seinem Zusammenbruch von einer Psychologin betreut. Sie diagnostizierte ADHS, verschrieb Ritalin, das im Grunde ähnlich wirkt wie Kokain. "Aber im Koks ist immer irgendwelcher Mist drin, und bevor man sich Schmutz ins Hirn zieht, lieber Ritalin nehmen."

Am Nachbartisch kann ein schmaler Wandersmann nicht mehr an sich halten. "Sie führen ja interessante Gespräche", mischt er sich ein. "Sie stören unsere Unterhaltung", sagt Glavinic, Sonnenbrille runter. "Aber da muss man sich doch einmischen", sagt der Wandersmann. "Nein, muss man nicht. Und das ist jetzt auch das Letzte, was wir miteinander reden", sagt Glavinic. Der Wandersmann legt Geld auf den Tisch, rutscht von der Bank und nuschelt im Weggehen: "Oarschlöcher!"

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