Theater:Wo der Hass wurzelt

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Fahrstuhl aus der Nazi-Gruft: Während ehemalige Obersturmbannführer samt Gattinnen wie Zombies im Kasten auftauchen, speisen die hitlerbegeisterten Eltern (Almut Zilcher und Manfred Zapatka) hinten am Tisch. (Foto: Monika Rittershaus)

Altnazis treffen auf die heutige Selbstdarstellungskultur: Karin Henkel inszeniert am Deutschen Theater Berlin den Roman "Auslöschung" von Thomas Bernhard als lästernde Komödie.

Von Till Briegleb

Nach dem Wort "Hass" ist der Name "Wolfsegg" vermutlich das zweithäufigste Substantiv in Thomas Bernhards dickem Roman "Auslöschung. Ein Zerfall". Auch der tote Bruder des Ich-Erzählers, der alle Liebe der Nazieltern okkupiert hatte und mit ihnen bei einem Autounfall stirbt, spielt eine zentrale Rolle auf den 650 Seiten von Bernhards letztem Prosawerk. In der Dramatisierung von Bernhards Abrechnung mit dem Austrofaschismus, die jetzt am Deutschen Theater Berlin zur Aufführung kam, fehlen diese zwei Hauptdarsteller allerdings komplett.

Weder das elterliche Schloss Wolfsegg noch der Bruderkampf werden erwähnt. Und mit ihnen fehlt ein wichtiges Element von Bernhards bockigem Humor: das Wiederholen und ständig neue Umkreisen von zentralen Motiven. Als Reaktion auf den schmerzlich empfundenen Stumpfsinn seiner Landsleute, die auch nach dem Krieg noch ohne Scham und Einsicht die Lügen der Obrigkeit als eigene Meinung wiederkäuten, hatte Bernhard das Einhämmern von Worten zu einem Stilmittel gemacht, als perfiden Spott über die Monotonie des Denkens. Auch dieser sprachliche Duktus der Wut-Fuge ist bei Karin Henkel nun ausgelöscht.

Doch was tritt an die Stelle des typisch Bernhard'schen? Ist es der Wunsch, mit dem 1989 verstorbenen Autor die Gegenwart zu persiflieren? Dafür spricht der Beginn vor dem Eisernen Vorhang, wenn Daniel Zillmann als eine Spiegelgestalt des Franz-Josef Murau (Bernd Moss) die ewige Fotografiererei und speziell das Selfie als totalen Wirklichkeitsverlust beschimpft. Auch im weiteren Verlauf scheint sich Henkels poppige Neuerzählung an medialen Zeitphänomenen zu orientieren: Der Drang zur öffentlichen Empörung trifft auf den äußerlichen Anpassungszwang.

Empörung, Faschismusbegeisterung, künstliche Aufregung - wem käme das nicht bekannt vor

In einem grauen Wald aus absterbenden Bäumen, der für das gesamte Stück die Kulisse bildet, zeigt sich der für die Beerdigung aus Rom nach Hause zurückgekehrte Sohn Franz als ein bekennender Feigling. Seine Ängste vor der Konfrontation mit der Vergangenheit verbirgt er in ständiger Abscheu vor der "nationalsozialistisch-katholischen" Durchseuchung seiner Familie. Aus Bernhards unstillbarem Hass macht Bernd Moss eine schöne Studie jener künstlichen Aufregung, die heute in weiten Teilen die digitale Meinungsäußerung bestimmt. Dieser Empörte trifft nun als Alleinerbe, der über die Zukunft des verhassten Elternguts und das Schicksal seiner zwei Schwestern bestimmen soll, zu Hause auf eine Welt kostümierten Gehorsams.

Finster ist's, der Mond scheint dunkel: Bernd Moss, Daniel Zillmann und Anja Schneider in der bedrohlichen Waldkulisse auf Thilo Reuthers Bühne. (Foto: Monika Rittershaus)

Alle Figuren, ausstaffiert von der Kostümkünstlerin Teresa Vergho, sind Karikaturen, wie entsprungen aus einem Kinderbuch des Dritten Reichs, und dann modifiziert ins Instagram-Taugliche. Dicke blonde Zöpfe, kurze Hosen, senffarbene Naziuniformen und leuchtend bunte Oberbekleidungen geben Bernhards Fratzen ein Äquivalent in der aktuellen Selbstdarstellungskultur.

In dieser Szenerie einer politischen Puppenstube, die der Bühnenbildner Thilo Reuther mit einem riesigen Mond in ihrer Künstlichkeit noch verstärkt, verwandelt Henkel den Riesenmonolog Bernhards in die flotte Rhythmik einer leichten Komödie. Die "Zerstörung einer Kinderseele", die Franz als Knabe (Linn Reusse) und Kind (Béla Paul Lorenz Otlewski) erleiden musste, wird ebenso leichtgängig inszeniert wie die groteske Faschismusbegeisterung der widerlichen Eltern (Almut Zilcher und Manfred Zapatka). Schrecken stellt sich hier nicht ein, eher hämische Heiterkeit über den toten Faschismus.

Denn Lacher erregen an diesem Abend Bemerkungen wie, dass "Himmler im Grunde ein feinfühliger Mensch" gewesen sei. Und eine zombiehafte Parade der Obersturmbannführer mit ihren Gattinnen, die in einem gläsernen Fahrstuhl aus dem Boden auftauchen, wirkt eher wie ein lächerlicher Besuch aus der Unterwelt. Dass sich Geschichte gerade wiederholt, wie die Verwandlung Russlands in einen faschistischen Staat zeigt, das wird durch diese NS-Gruftis nicht gerade nahegelegt.

Die Lust an der Komik siegt in Henkels Unterhaltungsvariante über den reflektierenden Zorn der Vorlage, die viel stärker am Psychologischen interessiert war. Aber vielleicht ist dies auch das richtige Porträt einer Gegenwart, in der Beschäftigung mit dem Dritten Reich sich auf Hitler-Witzchen beschränkt. Und so ist es ein stimmiges Bild, dass diese spaßig lästernde Inszenierung nach zweieinhalb Stunden eingefroren als kreiselndes Wachsfigurenkabinett der Nazistereotype endet.

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