Biografie:Grazer Aktionismus

Wolfgang Bauer

Als Autoren noch in Gaststuben ausgebildet wurden: der Dramatiker Wolfgang Bauer.

(Foto: picture-alliance/dpa)

In den Sechzigern galt der Dramatiker Wolfgang Bauer neben Elfriede Jelinek und Peter Handke als eines der drei großen österreichischen Talente. Heute kennen ihn nur noch wenige. Eine neue Biografie will das ändern.

Von Wolfgang Kralicek

Der Grazer Dramatiker Wolfgang Bauer (1941 - 2005) gehörte zur goldenen Generation österreichischer Schriftsteller, die sich in den 60er-Jahren rund um die Künstlervereinigung Forum Stadtpark und die Literaturzeitschrift Manuskripte formierte. Für Elfriede Jelinek war Bauer "der wichtigste zeitgenössische österreichische Dramatiker", für Peter Handke war er "unter uns allen das Genie". Aber während Jelinek und Handke Weltkarrieren gemacht haben, beschränkte sich Bauers literarischer Honeymoon auf wenige Jahre.

Sein 1968 in Hannover uraufgeführtes Stück "Magic Afternoon" wurde in zwei Saisonen auf mehr als 30 deutschsprachigen Bühnen gespielt und in 24 Sprachen übersetzt. Mit dem hyperrealistischen Drama, in dem die Langeweile unter jungen Grazer Bohemiens in einen Mord mündet, hatte der 27-jährige Autor offenbar einen wunden Punkt getroffen. "Magic Wolfi" belieferte die Bühnen danach noch mit ein paar ähnlich gearteten Stücken, ehe er 1976 mit dem paranoiden Traumspiel "Magnetküsse" radikal von der Erfolgsspur abbog. Seit damals wurden seine Dramen nach der Uraufführung kaum oder gar nicht nachgespielt. Und wenn heute noch ein Stück von Wolfgang Bauer auf den Spielplänen auftaucht, dann ist es mit großer Wahrscheinlichkeit "Magic Afternoon".

In Österreich war Bauer schon zu Lebzeiten eine Legende, die Galionsfigur einer exzessiven Epoche, als Schriftsteller noch nicht in Literaturinstituten, sondern in von Alkohol und Zigarettenrauch gebeizten Gaststuben ausgebildet wurden. Wer sich von der 600 Seiten starken Bauer-Monografie, die der aus Graz stammende, in Wien lebende Germanist Thomas Antonic nun vorlegt, saftige Szenen aus der wilden Steiermark der 60er- und 70er-Jahre erwartet, wird jedoch enttäuscht sein. Hauptsächlich nimmt der Autor sämtliche Werke Bauers unter die literaturwissenschaftliche Lupe, eines nach dem anderen. Antonic, der im Klagenfurter Ritter Verlag in den letzten Jahren schon zwei Bände mit raren oder unveröffentlichten Bauer-Texten herausgegeben hat, möchte mit der voluminösen Monografie offenbar die Deutungshoheit über den Autor übernehmen. Diese hatte lange Zeit der Grazer Germanistik-Doyen Gerhard Melzer inne, unter anderem Herausgeber der Bauer-Gesamtausgabe im Droschl Verlag; wie Antonic ihm bei jeder Gelegenheit am Zeug flickt (Motto: Hier irrt Melzer), wirkt jedenfalls für Nicht-Insider etwas befremdlich.

Die spannende Geschichte, die Bauers schillernde Biografie eigentlich wäre, erzählt Antonic leider nicht. Man kann sie aber herauslesen; der Autor hat ja alle verfügbaren Informationen fein säuberlich zusammengetragen. Man erfährt zum Beispiel, dass Bauer das absurde "Free Schach" (ohne Schachbrett, Schachfiguren und feste Regeln), das in seinem Stück "Gespenster" (1976) gespielt wird, 1962 auf einer Party in der Wiener Wohnung von Barbara Frischmuth erfunden hat. In Wien, wo er kurz Theaterwissenschaft studierte, bewegte Bauer sich im Umfeld der Wiener Gruppe und der Aktionisten. 1967 sollte er mit dem Schriftsteller und Philosophen Gunter Falk bei einem aktionistischen Fest auftreten, an dem auch Otto Mühl und Oswald Wiener mitwirkten; bevor Bauer und Falk an der Reihe waren, war die Veranstaltung allerdings schon polizeilich geräumt worden.

Ein Kapitel ist Bauers USA-Reisen gewidmet, die er anfangs zusammen mit seinem Schulfreund Gerhard Roth unternahm. Bauers anarchistische Abenteuerlust brachte sie - etwa bei einem Ausflug nach Harlem - immer wieder in brenzlige Situationen, nüchtern waren sie nur selten. "Es kam vor, dass wir kurzzeitig nicht mehr wussten, wo wir waren", wird Roth in einem Buch später notieren.

Außerhalb Österreichs ist der Name Wolfgang Bauer heute kaum noch ein Begriff. Das war nicht immer so. In den 60ern schrieb er Witze für das Satiremagazin Pardon, im angeschlossenen Buchverlag Bärmeier & Nikel erschien 1967 sein einziger Prosaband, der Briefroman "Der Fieberkopf". Verlagsleiter war der spätere Harald-Schmidt-Partner Herbert Feuerstein; dem Lyrikband "Das stille Schilf" von 1969 (Untertitel: "Das Schlechteste von Wolfgang Bauer") lag eine Schallfolie bei, auf der Bauer liest und von Feuerstein an der Orgel begleitet wird. Zu der Zeit war der Autor in Deutschland auf dem Höhepunkt seines Ruhms; landauf, landab wurde "Magic Afternoon" gespielt. Botho Strauß, der damals noch Theaterkritiker war, hielt das Stück übrigens für "richtig schlechte Literatur". Das ist erstens ein fragwürdiges Urteil und zweitens gar nicht der Punkt; ein tolles Theaterstück ist "Magic Afternoon" jedenfalls.

War das Frühwerk, etwa die hochkomischen "Mikrodramen", stark vom absurden Theater geprägt, setzt Thomas Antonic "Magic Afternoon" und die anderen Stücke der hyperrealistischen Phase in Bezug zu Beatliteratur und Pop Art. Paul Morrisseys "Flesh" etwa, einer der Filme aus Andy Warhols Factory, kam zwei Wochen nach der Uraufführung von "Magic Afternoon" in die Kinos. Die Ähnlichkeiten waren zufällig, aber nicht zu übersehen.

",Magic Afternoon' und all diese Stücke empfinde ich heute als Sidestep", sagte der Autor Jahrzehnte später in einem Interview. Bauer war nicht nur passionierter Roulettespieler, sondern auch als Dramatiker eine Spielernatur. In jedem Stück probierte er etwas Neues aus, sonst hätte er sich gelangweilt. Er experimentierte verstärkt mit verschiedenen Realitätsebenen, ließ ganze Stücke in Codes sprechen ("Insalata Mista") oder virtuelle Figuren auftreten ("Café Tamagotchi"). Auf der Suche nach Referenzwerken wird der Bauer-Exeget Antonic irgendwann nur noch in Hollywood, bei Filmen wie "The Matrix" oder "Inception", fündig. "Bauer begeisterte sich für philosophische und medientechnologische Problemstellungen, die zeitgleich oder später im avancierten transatlantischen Mainstreamkino abgehandelt wurden", konstatiert er. Und: "Fast scheint es, als würden solche Qualitäten der Anschlussfähigkeit an den Theaterbetrieb per se zuwiderlaufen."

Dass das Theater sich für Bauers Stücke zuletzt kaum noch interessiert hat, hält Antonic jedenfalls für einen Riesenirrtum. Sein Buch ist ein Plädoyer für einen unter Wert geschlagenen Autor. Als solches ist es allerdings nicht wirklich überzeugend. Erstens findet Antonic praktisch alles genial, was Bauer geschrieben hat. Und zweitens machen seine in sperriger Germanistenprosa verfassten Analysen wenig Lust auf die Stücke. Über das Libretto "Café Museum" (1993) etwa schreibt er: "Abgesehen davon, dass Bosco verrückt ist, zeigt auch der folgende Dialog aus dem zweiten Teil, dass man sich letztendlich nicht ganz sicher sein kann, ob man sich im zweiten Teil noch immer im psychischen Innenraum Boscos befindet, bzw. in der ,Oper', die in dessen Kopf abläuft."

In den 80er-Jahren gründete Bauer gemeinsam mit den bildenden Künstlern Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Jörg Schlick die "Lord Jim Loge", deren Wahlspruch "Keiner hilft keinem" die Idee des Geheimbunds ad absurdum führte. Der für Bauer typische "practical joke" lässt es noch bizarrer erscheinen, dass der Autor kurz vor seinem Tod tatsächlich noch einer Freimaurer-Loge beitrat. In seinen letzten Jahren war Bauer körperlich schwer angeschlagen, er musste mehrmals am Herzen operiert werden. Und Thomas Antonic, sonst stets darauf bedacht, alles wissenschaftlich korrekt mit Zitaten und Quellen zu belegen, erlaubt sich auf der letzten Seite seines Buchs, ein Gerücht wiederzugeben. Angeblich soll Bauer, als er das Ende kommen sah, einen Freund gebeten haben, ihm eine Flasche Whiskey ins Spital zu schmuggeln. Er soll die Flasche allein ausgetrunken haben und aus seinem letzten Rausch nicht mehr erwacht sein.

Auf dem Grazer Zentralfriedhof ist Bauer neben einem Schulkollegen, dem Autorennfahrer Jochen Rindt, begraben. 1970, als der in Monza tödlich verunglückte Rindt posthum die Formel-1-Weltmeisterschaft gewann, war auch Bauer ein Champion. Vieles, was er danach geschrieben hat, ist schon sehr abgefahren. Nicht alles muss ganz dringend auf die Bühne. Trotzdem würde man sich wünschen, dass den Dramaturgen nicht immer nur "Magic Afternoon" einfällt, wenn sie an Wolfgang Bauer denken.

Thomas Antonic: Wolfgang Bauer. Werk - Leben - Nachlass - Wirkung. Ritter Verlag, Klagenfurt 2018. 605 Seiten, 27 Euro.

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