"Warten auf Platonow":Da kommt nichts mehr

"Warten auf Platonow": Schwarz und weiß, wie die Tasten eines Klaviers, so treten die Figuren auf.

Schwarz und weiß, wie die Tasten eines Klaviers, so treten die Figuren auf.

(Foto: Sandra Then)

Thom Luz lässt am Münchner Residenztheater Menschen lange warten, frei nach Motiven von Tschechow und Beckett. Worauf? Fast schon egal.

Von Christiane Lutz

Ruhe. Ja, Ruhe wäre eigentlich was Schönes, wenn sie nicht so ungeheuer anstrengend wäre. Wenn wir mit ihrem Eintreten nicht hineinstürzten in die Leere, in der alle möglichen Fragen umso lauter im Schädel hämmern: Wer bist du? Wen suchst du? Weshalb? Warum bist du hier? Woher kommst du? Wohin geht die Reise? Und: Gibt es in Griechenland eigentlich Pottwale?

Im Cuvilliéstheater des Münchner Residenztheaters singen zehn Schauspielerinnen und Schauspieler zwar gemeinsam das "Ruhe, schönstes Glück der Erde" von Franz Schubert, sind aber umso emsiger dabei, jedwede Ruhe sofort mit Phrasen und Fragen zu befüllen. Der Titel des Abends - "Warten auf Platonow" - verrät, mit welcher Melange es man hier zu tun hat, Regisseur Thom Luz hat sehr frei Motive von Anton Tschechows Frühwerk "Platonow" mit dem Hauptmotiv von Becketts "Warten auf Godot" vermischt: dem Warten. Warten tun sie ja bei Tschechow auch immer, auf bessere Zeiten, auf das Ende des Sommers, aufs Essen, diesmal dann eben auf Platonow. Platonow, der angekündigt hat zu kommen, aber in dieser Version nie auftaucht. "Es ist seltsam - kaum beginnt Platonow zu reden, ist alles in Ordnung, alle hören zu, kaum aber sage ich ein Wort, fühlt sich jeder schlecht", sagt einer über ihn und skizziert das vage Heilsversprechen, das von ihm ausgeht.

Thom Luz hat für diese Inszenierung einige Tschechow-Dramen erst einmal in ihre Einzelteile zerlegt und zu einer Art Sätze-Konzert neu arrangiert, Worte werden wiederholt, Szenen unlogisch aneinander geschraubt. Heraus kommt dabei allerschönster poetischer Nonsens: "Hören Sie nicht? Man will mich heiraten. Ich werde reich, lerne das Mähen und werde das Heu für Ihre Schule spenden", schwebt allein im leeren Raum, oder: "Ich habe mich erschrocken, hier ist es heiß und der Kopf." Das klingt fast wie KI-generiert, ist aber reinster Tschechow.

Ein Messias, der nie auftaucht, kann auch niemanden erlösen

Auf der Bühne stehen zwei große Holztreppen, die sich oben auf einem Podest treffen. Locker umschweben die Treppen ein paar Stoffwände, "ein Haus", erfahren wir, das sich offenbar noch im Aufbau befindet und in dem sich die Figuren treffen. Die Spielerinnen steigen die Treppen auf und ab, immer wieder klingt beim Betreten der Stufen ein Geräusch, das, wenn alle herumtrampeln, zum schrägen Konzert, durchaus auch zu Lärm anschwillt (Musikalische Leitung: Mathias Weibel). Die Figuren sind nicht nur in Schwarz und Weiß gekleidet, wie die Tastatur eines Klaviers, sie wirken auch wie eins, sind Soundübermittler, jede hat ihren Ton, der nur wenn richtig arrangiert zu einem Wohlklang findet. Die Melodie der Wartenden.

Wobei nicht klar wird, was sich die Menschen eigentlich von Platonow erhoffen. Aber das ist wahrscheinlich auch egal, denn solang man hofft, lebt man schließlich. Dass hier heute gar niemand kommt, ist jedenfalls von Anfang an klar. Wie Godot bei Beckett ist Platonow ein leeres Versprechen. Ein Messias, der nie auftaucht und demnach auch niemanden erlösen kann. So bleiben das ziellose Auf- und Absteigen und das Reden um des Wörterloswerdens willen die einzige Beschäftigung dieser Wartenden - und Sinn und Zweck der ganzen Inszenierung. Bei Luz, wie bei Beckett und und Tschechow, ist dieses Leerefüllen meist komischer als tragisch, liebenswert sogar. Luz' Theaterzauber schnurrt also wieder zuverlässig, es ist erstaunlich, wie er Zustände stets mit Bewegungen, Sound und in Szenen ausdrücken kann, ohne wirklich szenisch oder dramatisch zu erzählen.

Dem Ganzen schaut man also zweieinhalb Stunden zu, halb meditierend, und fragt sich, was das nun soll. Ob da noch was kommt. Mit Politik, gar mit russischer Politik, hat der Abend jedenfalls nichts zu tun, auch wenn Tschechow draufsteht. Sicher: Es ist eine große, hübsche Metapher auf den Menschen, der lieber auf ominöse Typen wartet, statt sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die Verlagerung der Hoffnung auf ein wie auch immer geartetes Außen ist so komfortabel wie dumm. Man könnte jetzt den ganz großen Bogen spannen zur These, dass wir als Gesellschaft gerade genau so leben - das Hoffen auf den Platnonow, der es schon richten wird für uns. Und zu richten gibt es wahrlich genug auf der Welt - um bloß nicht selbst handeln zu müssen. Aber dafür ist es dann doch ein wenig zu muckelig im Cuvilliéstheater. Nein, Luz will Poesie, er will Musik, die Ruhe zum Klingen bringen. Auch schön.

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