Third-Culture-Bewegung:Gefährliche Ideen

Wer beherrscht den Menschen? Gott? Die Gene? Oder doch der Computer? Das Onlineforum Edge stellte die Frage des Jahres - und bekam zur Antwort noch mehr Fragen.

Andrian Kreye

Einmal im Jahr stellt John Brockman, selbst ernannter Kopf der Third-Culture-Bewegung und New Yorker Buchagent, seinen Mitstreitern und Klienten eine Frage, deren Antworten er am Neujahrstag auf seinem Onlineforum www.edge.org veröffentlicht. Damit löst Brockman ganz offiziell das Versprechen der Kampfansage ein, die seiner Dritten Kultur zu Grunde liegt.

Es seien die Naturwissenschaften, die heute die relevanten Fragen der Menschheit stellen, sagt Brockman, während sich die Geisteswissenschaften vor allem mit ideologischen Grabenkriegen und semantischen Haarspaltereien beschäftigen. Es geht um Meinungshoheiten, die gerade im Kontext der postideologischen Debatte und der Desäkularisierung so umkämpft sind, wie selten zuvor. So war die diesjährige Frage "Was ist Ihre gefährliche Idee?" auch ungewöhnlich geladen, nachdem sich das Forum seit 1998 vor allem mit Grundproblemen der Wissenschaftskultur beschäftigt hatte. Doch gerade deshalb entstand eine Debatte, in der die prinzipiellen Anliegen der Third Culture deutlicher formuliert wurden, als in all den Jahren zuvor.

Werkzeugkiste für Tierzüchter

Da gibt es zunächst einmal die Anhänger eines wissenschaftlichen Utopia. Der Chemiker Robert Shapiro legt dar, warum wir in den nächsten fünf Jahren den Ursprung allen Lebens verstehen werden. Der Ingenieur Ray Kurzweil glaubt an eine radikale Verlängerung des menschlichen Lebens. Der Medienanalytiker Douglas Rushkoff sieht universelle Anwendungen des "Open Source"-Prinzips auf den Waren- und Informationsverkehr.

Und der Physiker Freeman Dyson prophezeit, dass die Biotechnologie in den nächsten fünfzig Jahren in ähnlicher Weise Teil unserer Alltagswelt werden wird, wie die Computertechnologie in den vergangenen fünfzig. Vom Gartenset, mit dem man seine eigenen Orchideen designen könnte, bis zum Werkzeugkasten für Tierzüchter und Biospielen für Kinder werde es Anwendungen für jeden geben. Das berge auch Gefahren, dass sich Biohacker gefährliche Mikroben basteln oder Eltern versuchen, ihren Nachwuchs zu manipulieren, weswegen die Anwendungen streng reglementiert werden müssten.

Dagegen stehen die Vertreter eher dystopischer Ansichten, wie der Geograf, Biologe und Bestsellerautor Jared Diamond, der mit der Mär vom edlen Wilden aufräumt. Naturvölker, so Diamond, haben keineswegs ein quasi heiliges Verhältnis zu Natur, sondern sie zerstören ihre Umwelt und zetteln brutale Stammeskriege an. Noch ein paar philosophische Schritte weiter geht der Mathematiker John Allen Paulos, der das Selbst als konzeptionelle Schimäre entlarvt und von der Wissenschaft eine Art buddhistischen Ansatz in der Beschäftigung mit der Wahrnehmung an sich fordert.

Womit sich die Debatte dem Leitmotiv der Third Culture nähert - dem Selbstverständnis des Menschen. Da stellt der Evolutionsforscher an der University of Chicago Jerry Coyne den freien Willen mit der Behauptung in Frage, dass viele Verhaltensweisen des modernen Menschen durch die natürliche Auslese unserer Vorfahren genetisch programmiert wurden. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins sieht sogar genetische Anlagen für Verbrechen. Steven Pinker, Evolutionspsychologe an der Harvard University, führt diese Gedanken radikal weiter und konstatiert, dass auch Begabungen und Mentalitäten genetisch angelegt seien und vor allem auf verschiedene Menschengruppen verschieden verteilt seien.

Wir sind doch nicht Wikipedia

Die Gefahren solcher Studien beschreibt der Genforscher Craig Venter in seinem Beitrag. Die Erforschung der genetischen Grundlagen für Persönlichkeit und Verhalten müssten zu Konflikten führen. Da wirkt der Text des Mathematikers Rudy Rucker geradezu versöhnlich, in dem er einen universellen Geist und das Prinzip des Panpsychismus skizziert.

Letztlich bewegen sich solche Überlegungen der Third Culture gerade mit radikalen Ansagen, wie der Erklärung des Psychologen an der Yale University, Paul Bloom, dass es trotz der Einzigartigkeit des Menschen keine Seele gibt, auf die naturgegebene Störzone zwischen Naturwissenschaften und Theologien zu.

Viele Anhänger der Third Culture stimmen Forderungen wie jener des Neurowissenschaftlers Sam Harris zu, dass Wissenschaft Religion nicht nur ablösen solle, sondern religiöses Dogma auch ganz bewusst delegitimieren müsse, weil religiöse Toleranz und damit die Akzeptanz religiöser Dogmen immer auf Kosten der Wissenschaft gingen. Zwar wendet der Anthropologe Scott Atran ein, dass die Wissenschaften die Religionen auf lange Sicht eher fördern, weil diese all jene Hoffnungen in sich bergen, die der Wissenschaft fehlt. Der Psychologe an der Harvard University Stephen Kosslyn fordert sogar eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Göttlichen. Dem nähert sich Paul Steinhardt an, Einsteinprofessor und Physiker an der Princeton University: Er stellt die Einzigartigkeit der Welt nicht aus naturwissenschaftlichen Gründen in Frage, sondern betrachtet den Lauf der Zeit als übergeordnetes Prinzip.

Natürlich gibt es auch Zweifler. So fragt der Astrophysiker und Vorsitzende der britischen Royal Society of Science, Martin Rees, ob die Wissenschaften nicht längst aus dem Ruder gelaufen sind. Der Computerwissenschaftler David Gelernter fragt sich, über welche Informationen die Menschen im Zeitalter der Informationen wirklich verfügen. Prinzipiell können sich die Anhänger der Dritten Kultur jedoch auf die Aussage des Münchner Neurowissenschaftlers Ernst Pöppel einigen, der seinen "Glauben an die Wissenschaft" beschreibt.

Bei aller Kontroverse - von der Politik und den aktuellen Meinungsdebatten will John Brockman sein Onlineforum www.edge.org fern halten. "Das ist nicht unsere Aufgabe", sagt er. "Das können andere besser." Dieses Jahr habe er bei den Antworten der Frage des Jahres ungewöhnlich viel eingreifen müssen "Wir sind ja kein Chatroom und keine Wikipedia, sondern ein Forum mit ganz klaren Vorgaben, die wir redaktionell auch einfordern", sagt er. "Und trotzdem konnten es über zwanzig Teilnehmer dieses Jahr nicht lassen, ihrem Unmut über George W. Bush zu formulieren." Er seufzt. "Wenn man betrachtet, in was für einer Zeit wir leben, ist das natürlich verständlich."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: