These vom Rückzug des Kapitalismus:Komödie der Allmenden

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Jeremy Rifkin formuliert in seinem neuen Buch "Null-Grenzkosten-Gesellschaft" den Traum, dass sich die Gesellschaft durch das Internet selbst regeln und statt Haben nun das Teilen das gemeinsame Leben bestimmen wird. Doch was der Star-Prophet hier skizziert, verspricht am Ende weniger Leichtigkeit als Leichtfertigkeit.

Von Fritz Göttler

Der Kapitalismus ist nah an der Kapitulation im neuen Buch von Jeremy Rifkin. Das System ist nicht am Ende, aber es muss sich anpassen, an die neue Dynamik, die das Internet ihm verpasst. Das totale Internet, das Super-Internet, das Internet der Dinge, wie es sich gerade mit gewaltiger Geschwindigkeit entwickelt und unser aller Leben erfasst und ändert.

Rifkin ist der Starprophet und -propagandist der tapferen neuen Welt, die bei ihm wie ein Paradies ausschaut, weil alle Probleme, mit denen wir uns heute abplagen - gesellschaftliche Ungleichheit, ökonomische Desaster und sogar die Klimakatastrophen - sich wie von selbst lösen werden.

Seit Jahren begleitet er diesen Prozess, und im neuen Buch sind gewissermaßen die Bücher der vergangenen 20 Jahre fulminant zusammengeführt, es geht um das "Ende der Arbeit" (1995) und "Access - Das Verschwinden des Eigentums" (2000), die "empathische Zivilisation" (2010) und die "dritte industrielle Revolution" (2011). Das Buch ist die reine Begeisterung, atemlos, und wo die harte Faktenlage der Realität die These noch nicht so ganz unterstützen mag, ist immerhin von Hoffnung auf sinnvolle Lösungen die Rede.

Seit dem Internet, das ist Rifkins Überzeugung, ist es mit dem Habenwollen vorbei, mit dem Eigentum und den Deformationen, die es nach sich zieht, die Menschen sehen nun ihre Gemeinschaft durchs Teilen konstituiert, was enorme ökonomische und kreative Potenziale freisetzen wird.

In seinem Buch "Access" hat Rifkin das erstmals vorgestellt, nun sieht er die Tendenz, dadurch dass die Grenzkosten in der industriellen Produktion immer mehr gegen null gehen, nachdrücklich bestätigt: "Je mehr Güter und Dienstleistungen, die das Wirtschaftsleben unserer Gesellschaft ausmachen, sich in Richtung Nahezu-null-Grenzkosten bewegen und fast kostenlos zu haben sind, desto mehr wird sich der kapitalistische Markt in schmale Nischen zurückziehen, in denen Unternehmen, die Profit abwerfen, nur am Rande der Wirtschaft überleben."

Selbst ist der Produzent

Das ist ein Traum, der sich zwischen Kapitalismus und Kommunismus bewegt und zu keinem von beiden dezidiert sich bekennen mag. Im Internet - einem, das alles regeln wird, Information und Energie und Transporte, wissenschaftliche Lehre und medizinische Versorgung - sieht Rifkin ein altes gesellschaftliches Modell der Feudalzeit reaktiviert, das der Commons, der kollaborativen Allmenden, die man, in Erinnerung an den Geschichtsunterricht, exemplarisch mit den Viehweiden assoziiert, die einst gemeinsam genutzt und gepflegt wurden.

Die Tragödie dieser Allmenden begann, als der Gemeinschaftsgedanke korrumpiert wurde durch Vorstellungen von privatem Profitstreben, Verschleiß- und Regenerationsprobleme. Rifkin hat selbst die alte Idee überleben sehen, in der Gemeinde Törbel etwa im Schweizer Kanton Wallis. Und er sieht die Tragödie allgemein rückgängig gemacht durch die neue Mentalität der Share Community des Internets und seiner Prosumenten - die Produzieren und Konsumieren zusammenbringen. Die Komödie der Commons!

Die Komödie hat Swing, und fasziniert folgt man, wie Rifkin ihre einzelnen Szenen skizziert, Tausch, Eigeninitiative, Unabhängigkeit von staatlichen Instanzen und den Zwängen der industriellen Konzerne. Selbst ist der Produzent, der Arzt.

Und doch werfen immer wieder Neben- und Hintergedanken Schatten aufs Idyll. Die beiden zugkräftigsten Share-Initiativen, in denen Autos und Wohnungen geteilt werden, sind knallharte kapitalistische Unternehmen - sie werden deshalb hoch taxiert und mit Kapital zugeschüttet.

Das Unternehmen Uber, das gerade die Taxi-Firmen der ganzen Welt vernichten will, und Airbnb, das weltweit Zimmer vermittelt, kassieren immer mit, ohne große Gegenleistung oder Verantwortung. Auch die Teilenden kassieren für die Nutzung, und sind glücklich über jeden Mehrwert, der dabei anfällt - wenn man durch die aufgenommenen Gäste fremde Menschen und Kulturen erleben und soziales Verhalten üben kann.

Von wirklich radikalem, gänzlich profitunorientiertem Sharing, in philanthropischem, christlichem, kommunistischem Sinne, ist das himmelweit entfernt - müsste es dann nicht ein Airbnb für Asylanten, Migranten, Verfolgte geben?

Für den einzelnen Menschen interessiert sich Rifkin - der sehr gerne Gandhi zitiert - in seiner Euphorie nur am Rande, ihn fasziniert die große Bewegung, und vor allem die Billionen Sensoren, die in wenigen Jahren unser aller Leben gestalten werden.

Sein Buch ist zu dicht dran an den einzelnen Initiativen, und zugleich zu weit abgehoben, um die Struktur der Gesellschaft in den Blick zu kriegen. Die Produktions- und Schaffungsprozesse, ohne die es auch in Zukunft nicht gehen wird, ignoriert es. Und die Produktionsverhältnisse - Reflexionen darüber, was die Arbeit und das Leben miteinander zu tun haben. Von der konkreten Arbeit, an Materie und Rohstoffen, Häusern und Straßen, auf Feldern und Wäldern ist nicht die Rede. Auch nicht von der Lust an Arbeit, am Wirken des Menschen.

Dialektik ist nicht sein Ding

Nur die menschliche Arbeit, hat Marx gesagt, schafft Wert. Wenn Rifkin vom Musik-, Film- und Buchgeschäft spricht, die zuerst von den Null-Grenzwert-Praktiken des Internets betroffen wurden, sind die Künstler kaum der Rede wert.

Die Prosumenten, die sie ablösten und von denen er so begeistert ist, sind eine merkwürdig wesenlose Masse, wenig individualistisch. Dialektik ist nicht Rifkins Ding, er orientiert sich an einfachsten rationalen Handeln. Die Komödie der Commons, die er inszeniert, verspricht am Ende weniger Leichtigkeit als Leichtfertigkeit.

© SZ vom 10.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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