Therapie für Kriegsreporter:Ein Alphabet der Gefühle

Mythos des Journalismus oder Opfer des eigenen Berufs: Mit dem Trauma von Kriegsberichterstattern, das Tod und Elend hinterlassen, beschäftigen sich immer öfter Therapeuten.

Hans Hoff

Die Selbsteinschätzung mancher Journalisten gleicht verdächtig der Skizzierung handelsüblicher Leinwandhelden.

Therapie für Kriegsreporter: Kriegsreporter im Westjordanland: Traumatische Erinnerungen werden für Journalisten oft zu einem Film im Kopf, den sie einfach nicht mehr abstellen können.

Kriegsreporter im Westjordanland: Traumatische Erinnerungen werden für Journalisten oft zu einem Film im Kopf, den sie einfach nicht mehr abstellen können.

(Foto: Foto: AP)

Demnach sind insbesondere Krisenreporter aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt. Sie sind schnell, zäh, abgebrüht, und sie zucken frühestens, wenn der Artikel im Druck oder der Film sendefertig ist. Akute Angst kennen sie nicht, und es gibt nicht wenige, die Ueli Haldimann zustimmen.

Der Chefredakteur des Schweizer Fernsehens meinte kürzlich auf einer Tagung, dass niemand in der Küche arbeiten solle, der die Hitze dort nicht ertrage.

Er verstand das als Appell zur Selbstverantwortung, hat damit aber auch weitergestrickt am Mythos des beinahe unverwundbaren Berichterstatters, der das Blut und das Leid, das bei seinen Einsätzen über ihn kommt, abschüttelt wie ein Hund das Wasser. Manche dieser Helden trifft es trotzdem.

So wie eine Reporterin, die über den Tsunami berichtet hatte und plötzlich in einem deutschen Bahnhof Wassermassen durchs Gleis rauschen sah.

So wie den Journalisten, der in Asien viele verletzte und getötete Kinder gesehen hatte und unmittelbar nach seiner Rückkehr plötzlich vor der für ihn kaum zu bewältigenden Aufgabe stand, launig über lärmende Kinder in überfüllten Freibädern zu berichten.

So wie die schwangere Technikerin beim Radio, die am 11. September 2001 Dienst hatte, ob der Ereignisse in Tränen ausbrach und von einem verständnisvollen Chef nach Hause geschickt wurde.

Sie alle waren verwundbarer, als es der Mythos glauben machen will. Sie alle haben Hilfe gefunden, weil ihre Vorgesetzten eingesehen haben, dass es nicht sehr weit führt, wenn man das hitzige Küchenbild Haldimanns nachzeichnet.

Noch ist die Verbindung von Trauma und Journalismus kein sonderlich populäres Thema. Selbst Betroffene tun sich schwer, ihr Leiden anderen Menschen zugänglich zu machen. Aber es tut sich etwas. "Journalisten verklären es gerne, wenn sie Grenzen überschreiten", sagt Fee Rojas. Die Therapeutin aus Hannover hat in den vergangenen Jahren viel Erfahrung gesammelt mit traumatisierten Journalisten.

Entsprechende Seminare von ARD und ZDF hat sie als Trainerin mitgestaltet und tiefe Einblicke nehmen können. "Der Mythos der Selbstaufgabe bewirkt, dass man nicht bemerkt, wenn es zu viel wird", berichtet sie und erzählt von einer Journalistin, die gleich zu Beginn ihrer Berufslaufbahn zu einem fürchterlichen Unfall gerufen wurde. Sie funktionierte und berichtete auftragsgerecht von den Verletzten und von den Toten, aber sie behielt etwas zurück, das sich erst 20 Jahre später bemerkbar machte, dafür aber so deutlich, dass die Arbeit unmöglich wurde.

Eine "emotionale Alphabetisierung" fordert daher Mark Brayne vom Londoner Dart Center, das sich um traumatisierte Journalisten kümmert. Er will den Blick auf die eigene Befindlichkeit schärfen. Es sei wichtig, Gefühle wahrzunehmen, Worte dafür zu finden und Sensoren zu entwickeln. "Das ist Selbstfürsorge und macht den Journalismus besser", sagt auch die Hannoveraner Therapeutin Rojas.

Sie arbeitet eng mit dem Dart Center zusammen und bemüht sich darum, das Trauma ganz sachlich zu betrachten: also die Diskrepanz zwischen den Eindrücken und der eigenen Bewältigungsmöglichkeit, das Erleben von emotional enorm belastenden Gefühlen. "Es ist eine normale Reaktion auf eine unnormale Situation", sagt sie.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, welche Symptome auf ein Trauma hinweisen.

Ein Alphabet der Gefühle

Erlebt hat das auch Martin Hilbert. Der freie Journalist und Filmemacher berichtete kürzlich auf einer Podiumsdiskussion in Köln von seinem Einsatz in Ruanda, wo er auf all die Kinder traf, die nach dem Völkermord ohne Eltern waren, die sich an ihn klammerten, seine Nähe suchten. "Das hat mich umgehauen", sagte er.

Sein direkter Wunsch sei gewesen, all die Kinder dort herauszuholen. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass dies nicht der richtige Weg war, aber das Erlebnis habe ihn noch Jahre begleitet. "Ich hatte nicht die Toten, ich hatte die Kinder vor Augen", berichtete er von nächtlichen Bildern, die er indes nicht als Traumatisierung einstufen mag.

Bei anderen liegt die Schwelle niedriger. "Wir merken, wie groß das Bedürfnis ist", sagt Rainer Assion. Der Leiter der Aus- und Fortbildung beim WDR hat schon vier Seminare zum Thema angeboten, aus denen er das Gefühl ableitet, etwas bewegen zu können und schon etwas bewegt zu haben. "Es geht darum, ein Klima zu schaffen", sagt er und berichtet von einer Regionalsendung, die häufig auch über Unfälle berichtet. Seit einiger Zeit werden die Kollegen dort vor heiklen Einsätzen gefragt, ob sie da wirklich raus fahren wollen.

Insbesondere wenn Kinder unter den Opfern sind, sorgt man sich um reportierende Mütter und Väter. "Wir haben da eine ganz vernünftige Sensibilität entwickelt", sagt Assion, der besonderen Wert legt auf die Schulung von Führungskräften. Gerade diese stünden in besonderer Verantwortung. "Die leitenden Mitarbeiter müssen darauf achten, die Mitarbeiter müssen aber auch den Mut haben, sich zu dem Problem zu bekennen", skizziert er das nicht ganz unheikle Verhältnis zwischen Hol- und Bringschuld.

Leugnen und erinnern

Anders sieht das der Schweizer Chef Haldimann. "Das ist eine Holschuld", sagt er und sieht die geschädigten Journalisten allein in der Pflicht, sich um Hilfe zu kümmern. Das Bekenntnis zur Traumatisierung ist indes keine leichte Sache, weil davor naturgemäß die Erkenntnis stehen muss, dass etwas nicht stimmt.

Drei Symptome sieht Fee Rojas als Anzeichen eines Traumas. So wird zum einen geleugnet. Ein Zeichen sei, "wenn ich Situationen vermeide, wenn ich alles, was damit zu tun hat, weit weg schiebe." Zum anderen geht es um die sich wiederholende Erinnerung belastender Wahrnehmungen: Wer im Wachen oder im Schlaf unwillkürlich an das Erlebte denken muss oder beim Geräusch eines Reißverschlusses an das Schließen von Leichensäcken erinnert wird, der sollte alarmiert sein, besonders wenn sich als drittes Symptom eine Übererregbarkeit hinzugesellt.

Wer schreckhaft ist, schnell die Geduld verliert, unter Magen-Darmproblemen oder neuen Verspannungen leidet, sollte in Erwägungen ziehen, traumatisiert zu sein. Nicht gleich in den ersten Tagen und Wochen nach einem Extremerlebnis, spätestens aber wenn die Anzeichen nach sechs Wochen anhalten, ist eine Reaktion gefragt. "Dann sollte ich mich mit jemandem austauschen, der sich mit dem Thema auskennt", sagt Rojas.

Das Risiko wächst mit dem Engagement

Nicht immer muss dabei die Diagnose Trauma im Vordergrund stehen. Es geht um niederschwellige Angebote. "Manche Kollegen wollen nicht zum Betriebsarzt", sagt Rainer Assion. Der WDR-Mann und seine Mitarbeiter vermitteln in solchen Fällen auch den direkten Draht zu einem Therapeuten, der nicht immer unbedingt Therapeut heißen muss. Gerne nennen sich solche Helfer dann auch schon mal Coaches, damit sich niemand stigmatisiert fühlen muss.

Wichtig ist dabei, dass sich die Coaches mit dem Arbeitsfeld der Betroffenen auskennen. Wer erst langwierig erklären muss, wie ein Sender oder eine Zeitung funktionieren, verliert nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch Vertrauen. Es gab schon traumatisierte Journalisten, die in der Praxistür erst einmal ihre Schuhe ausziehen mussten und dadurch noch ein bisschen kleiner wurden als sie sich eh schon fühlten. Es verwundert kaum, dass solche Begegnungen dann auch schon mal fruchtlos bleiben.

"Besser keine Therapie als eine schlechte", sagt Rojas, die beobachtet hat, dass mit dem persönlichen Engagement der Menschen auch ihr Risiko wächst. "Es sitzt denen in den Knochen, die sich mit dem Job identifizieren. Die Leistungsträger brennen als erste aus." Gefährdet sind oft auch Menschen, die gar nicht vor Ort das Schreckliche miterlebt haben, sondern erst daheim im Sender damit konfrontiert werden.

"Die Cutterinnen sind da sehr stark emotional beteiligt", sagt WDR-Ausbilder Assion. Das Team vor Ort könne sich meist austauschen, könne reden und gemeinsam bewältigen. "Diese Möglichkeit haben die Cutterinnen nicht weil sie oft über lange Strecken allein am Computer sitzen." Eine Traumatherapie muss nicht eine zwingend langwierige Angelegenheit sein. Oft reichen schon zehn Sitzungen, in den Techniken vermittelt werden, mit dem Geschehenen klarzukommen.

Fragen der Moral

Dabei wird das Erlebte noch einmal abgerufen und darauf geachtet, dass die Geschichte nicht immer an dem Punkt anhält, an dem das Schreckliche passiert. "Wenn wir denken, bleiben wir oft bei den schlimmsten Szenen stehen und schauen nicht bis zum Ende. Eine gute Therapie bewirkt, dass der Film ein Ende bekommt und der Körper bemerkt, dass die reale Gefahr vorbei ist", sagt Rojas.

Gestärkt wird die Reselienz, die Widerstandsfähigkeit, also das, was das Stehaufmännchen befähigt, immer wieder hochzukommen. Zusätzlich heilt es, wenn Journalisten über die Genesung von Opfern berichten können. Das Dart Center nennt dies den zweiten Akt der Traumaberichterstattung.

Dazu kommt eine Art Wertecoaching, das sich an Fragen der Moral orientiert. Wenn das Schlimme für den Betroffenen nicht die Bilder von den Toten und Verunglückten waren, sondern die Tatsache, dass er selbst das Bild mit den verunglückten Kindern nicht einfach gelöscht hat. Warum hat er das Interview mit der heulenden Frau geführt? Warum hat er gedreht statt zu helfen?

"Wichtig ist, sich zu verzeihen und nicht in den Selbstvorwürfen zu verharren, sondern sich weiterzuentwickeln. Selbstvorwürfe sind ein Konservierungsmittel für Leid", sagt Rojas, die natürlich auch den Druck sieht, unter dem viele Journalisten stehen, deren Chefs zwar hochmoralische Lippenbekenntnisse abgeben, unausgesprochen aber trotzdem auf Bilder mit Blut und heulenden Menschen bestehen. "Das Risiko ist, dass herauskommt, dass mein Job mich nachhaltig schädigt", sagt Rojas. "Man muss sein eigener Chef werden", sagt sie.

Es habe keinen Zweck, immer wieder zu leiden. Notfalls müsse man auch in den sauren Apfel beißen und sich nach einem anderen Job umsehen. Ein dauerhaft traumatisierter Journalist taugt eben nicht zum Helden. Er ist allenfalls Opfer. Opfer seines Berufs.

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