Theodor Wolff: "Die Schwimmerin":In Watte und Seidenpapier

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Theodor Wolff 1931 als Chefredakteur des "Berliner Tageblatts" vor Gericht in einem Prozess, den Karl Kraus gegen ihn angestrengt hatte. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Eine Liebe entsteht, eine Bank geht pleite, die Stadt Berlin erstrahlt noch einmal in altem Glanz: Theodor Wolffs merkwürdiger Exilroman "Die Schwimmerin".

Von Thomas Steinfeld

Vier Jahre schon hatte Theodor Wolff, bis zum März 1933 Chefredakteur des liberalen Berliner Tageblatts, im Exil gelebt, als er sein letztes Buch schrieb: "Die Schwimmerin", einen Zeitroman der Weimarer Republik, eine Liebesgeschichte, vielleicht auch ein Buch der Kolportage und zugleich auch nichts von alledem. Zuerst erschienen in einem Züricher Verlag und bald nach der Veröffentlichung vergessen, wurde er nun wiederveröffentlicht und ist eine seltsame Entdeckung: Für einen Zeitroman enthält er zu wenig Geschichte, für eine Liebesgeschichte zu wenig Liebe, und weil man sich nicht sicher sein kann, welcher Mensch sich in welcher Figur verbirgt, taugt er auch als Kolportage wenig. Doch ist "Die Schwimmerin" ein seltsames, vielleicht nicht gutes, aber interessantes Werk, und zwar nicht nur, weil sich danach der Plan einer verschwundenen Stadt namens Berlin zeichnen ließe.

Ulrich heißt der Held dieses Buches, wie der Protagonist des einige Jahre zuvor erschienenen Romans "Der Mann ohne Eigenschaften". Der Nachname lautet "Faber", der "Tätige", wobei dieses Prädikat nicht immer zutrifft. Von Beruf ist er Bankier, und Bindungen geht er, mit einer Ausnahme, aus Prinzip nicht ein, zu Frauen nicht, zu Männern nicht und nicht einmal zu Wohnungen.

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Beobachten aber kann er, und der Erzähler beobachtet mit ihm: "Das Sonnenlicht, das durch die weitgeöffneten Fenster des Salons eindrang", heißt es über eine Geliebte des Bankiers, "umspielte die Falten dieses mattgrünen Kreises, betastete den Hals und das kleine rosige Ohr und veranstaltete Beleuchtungseffekte in dem blonden Haar." Ein Überangebot von Adjektiven wird man in diesem Satz finden, eine Beflissenheit gegenüber verbreiteten Vorstellungen von weiblicher Grazie wie gegenüber dem landläufig Schönen überhaupt. Aber dann ist da auch die Formulierung von den "Beleuchtungseffekten", die von der Sonne "veranstaltet" werden. Von solchen Wendungen lebt das Buch: Es ist, als glaubte der Erzähler seine eigene Geschichte allenfalls zur Hälfte und schöbe sie wie etwas Fremdes vor sich her.

Eine Haltung, die das Triviale bedient und sich gleichzeitig davon distanziert

Noch ein Beispiel: "Lord Lothberry gehörte zu jenen Persönlichkeiten, deren Gerechtigkeit den Erdball überleuchtete und unter Umständen ausgeschaltet werden konnte wie ein gewöhnliches elektrisches Lampenlicht." Es gibt viele solcher Formulierungen in diesem Buch: Sie bedienen einen Enthusiasmus der Lektüre, wie er vermeintlich Trivialromanen zukommt, indem sie sich zugleich vom Trivialen distanzieren. Und sie richten sich gegen die konservative Abwehr der angeblichen Massenkultur, indem sie die Wünsche und Glücksfantasien, von denen das Triviale lebt, an keiner Stelle denunzieren, sondern vielmehr zu durchdringen versichern.

So geht schließlich die ganze, abenteuerliche Geschichte, in der sich der Bankier in eine noch sehr junge, sehr sportliche, sehr schöne Frau verliebt, sie zu einem selbständigen, erwachsenen Wesen zu erziehen versucht und damit scheiternd Erfolg hat, während zugleich das Finanzinstitut untergeht und die Welt den Fanatikern und den Skrupellosen in die Hände fällt.

Theodor Wolff: Die Schwimmerin. Roman aus der Gegenwart. Mit einem Nachwort von Ute Kröger. Weidle, Bonn 2021. 353 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

Theodor Wolff lebte in Nizza, als er diesen Roman schrieb, unter noch behaglichen Umständen (1943 wurde er dann im Mai an die Gestapo ausgeliefert, ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht und starb im September 1943 im Jüdischen Krankenhaus Berlin). Über die Entstehungsgründe des Buches heißt es manchmal, der Autor habe Geld gebraucht. Das mag so sein oder auch nicht. Das Exil jedenfalls ist ihm anzumerken, in jeder Zeile und auch in der "großbauchigen" Birne, "der man anmerkte, dass sie, bis zuletzt noch in Watte und Seidenpapier eingehüllt, sorgfältig gepflegt worden war". Ein jedes Bild, dass der Autor zeichnet, jede Szene, die er schildert, erscheint in einer Dringlichkeit, als habe er sie herbeischwören wollen: Damit sie bloß nicht vergessen werde, im Guten und im Schlechten, während man, als sie tatsächlich gegenwärtig war, nicht viel ästhetische Energie auf sie verschwendete.

Selbstverständlich ist "die Schwimmerin" auch ein politisches Buch. Es erzählt von einer Klasse, die von Politik nichts verstehen, aber opportunistisch bleiben wollte bis zuletzt. Es berichtet auch von Armut, von Gewalt, von Arbeitslosigkeit sowie von den Umständen, in denen sich der Nationalsozialismus durchsetzen konnte. Doch gibt es andere Romane, die analytischer und eindringlicher von dieser Zeitgeschichte sprechen, Joseph Roth in der "Kapuzinergruft", um nur ein Beispiel zu nennen. Theodor Wolffs Buch ist anders: Er selbst hatte sich gewünscht, es möge ein Film daraus werden, mit der österreichischen Schauspielern Elisabeth Bergner in der Hauptrolle und in den Vereinigten Staaten produziert. Die "Beleuchtungseffekte", von denen dieser Roman lebt, wären einem solchen Unternehmen entgegengekommen.

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