Bewohnbare Brücke:Ist das irre? Ja, zum Glück

Bewohnbare Brücke: Eine Visualisierung zeigt die "Green Bridge" aus der Vogelperspektive als ausgreifenden, schlanken Pfeil.

Eine Visualisierung zeigt die "Green Bridge" aus der Vogelperspektive als ausgreifenden, schlanken Pfeil.

(Foto: Entwurf: RKW Architektur + / Visualisierung: formtool)

In Düsseldorf soll die Theodor-Heuss-Brücke aus dem Jahr 1957 saniert oder neugebaut werden. Architekten schlagen ein begrüntes Modell zum Wohnen vor.

Von Gerhard Matzig

Bevor ein starrsinniger alter Mann aus Bayern das päpstliche Pontifikat ruinieren durfte, wie das feige Schweigen aus Rom zum Missbrauchsskandal lehrt, erinnerte man sich gern an den Pontifex Maximus. Der "oberste Brückenbauer" galt als jemand, der in der Lage ist, Getrenntes zu einen. Als jemand, der Brücken schlägt und auf mitunter wundersame Weise für die versöhnliche Erfahrbarkeit einer Welt sorgt, die sonst für sich bliebe - am jeweiligen Ufer.

In allen Mythen ist die Brücke abseits ihrer Bedeutung als Tragwerk und ihrer Funktion als Verkehrsbauwerk eine Wundertüte der Metaphorik. Womit man, es ist auch hier der Mut zur Brücke gefragt, am Rhein und in Düsseldorf angekommen wäre. Konkret beim dort sesshaften Architekturbüro RKW. Offiziell, so viel Zeit muss sein, firmiert das mit mehr als 400 Mitarbeitern ausgestattete Büro, es gehört in die Sumo-Klasse der deutschen Architekturbranche, als "RKW Architektur +".

Man ist da sehr heikel am Rhein mit dem kleinen Kreuz. Das Pluszeichen ist aber ausnahmsweise sinnig - über Voluminöses hinaus. Hier geht es nämlich um den Mehrwert architektonischer Ideen, die man gelegentlich sogar visionär finden kann, ohne gleich nach dem Arzt rufen zu müssen. Stadtraumutopien gehören in Zeiten, da überall nur die immer gleiche, durchgenormte Wohnregaltristesse verbrochen wird, in den Schutzraum der diskursiven Baukultur.

Dieter Schmoll, geschäftsführender RKW-Gesellschafter und Jabra Soliman, assoziierter Partner ebendort, haben sich für einen "Initiativentwurf" mit Marcel Abel zusammengetan, der wiederum Geschäftsführer beim Immobilienspezialisten Jones Lang LaSalle (JLL) ist. Was dieses Sammelsurium aus Buchstaben und Management-Titularien aber auch nicht verhindern kann, ist diese euphorische Zeile, die man schon aus kollegialem Respekt nur so formulieren kann: Wir sind Papst - oder könnten doch immerhin am Rhein in Düsseldorf pontifexartig eine Brücke gestalten, die in die Zukunft führt. Hinein in die Epoche urbaner Transformation.

Diese erste Schrägseilbrücke Deutschlands gilt offiziell als marode

Ein Initiativentwurf ist etwas, was niemand bestellt hat. In diesem Fall lohnt sich aber der Blick auf den RKW-Vorschlag (Abteilung "design.lab"), aus der sanierungsbedürftigen Theodor-Heuss-Brücke die "Green Bridge Düsseldorf" zu machen. Wobei man überlegen kann, ob den Grünen für jedes in der Architektur mantrahaft verwendete "Green"-Label eine kleine Gebühr zusteht. Annalena Baerbock könnte bald Russland kaufen und die Ukraine-Krise beenden.

Die fast 1,3 Kilometer lange Theodor-Heuss-Brücke ist als erste Schrägseilbrücke Deutschlands (ingeniös entworfen vom legendären Fritz Leonhardt) in die Jahre gekommen. Seit 1957 bringt sie in Düsseldorf die Bundesstraße 7 über den Rhein. Sie gilt, wie viele Brücken in Deutschland, als "marode" (RKW). Jedenfalls ist sie sanierungsbedürftig. Aus den hie und da vorbeituckernden VW-Käfern des Jahres 1957 ist ein nicht enden wollender Schwerlaststrom geworden. Angesichts der Lastannahmen, die niemand vorhersehen konnte, sind die Brücken der Nachkriegsära kaum zukunftsfähig.

Bewohnbare Brücke: Der motorisierte Verkehr verschwindet in einer Röhre, während darüber ein Fahrradschnell- und ein großzügig dimensionierter Fußweg organisiert werden.

Der motorisierte Verkehr verschwindet in einer Röhre, während darüber ein Fahrradschnell- und ein großzügig dimensionierter Fußweg organisiert werden.

(Foto: Entwurf: RKW Architektur + / Visualisierung: formtool)

Die RKW-Architekten schlagen deshalb einen radikalen, ja utopischen, aber doch auch im Wortsinn denkwürdigen Umbau der Brücke vor. Aus einer monofunktionalen Verkehrsbrücke soll etwas Multifunktionales werden. Im Klartext: Neubau statt Sanierung. Schon an dieser Stelle fängt die Farbe Grün etwas traurig zu verblassen an, denn die in der Brücke verbaute "graue Energie" wäre beim Neubau verloren. Die Frage ist daher, welchen Mehrwert der Neubau bietet. Denn ansonsten gilt, was schon Adolf Loos wusste: Eine Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung.

Die grüne Brücke - schon klar, liebe Immobilienwelt, "Green Bridge" verkauft sich an die weltweit operierende Goldbetonfraktion von Dubai bis Moskau doch gleich viel besser - wäre zwar immer noch eine Verkehrsbrücke. Aber der motorisierte Verkehr (Auto, Lkw, Bus) verschwindet in einer Röhre, während darüber ein Fahrradschnell- und ein großzügig dimensionierter Fußweg organisiert werden. Diese Wege erschließen ein begrüntes Band, das als Landschaftsraum zwischen den Rheinufern vermittelt. Laut RKW sind "Urban Gardening" oder "Farming-Projekte" denkbar. Das grüne Vollwaschprogramm ist üppig.

Mehr als 400 Wohneinheiten könnten über dem Wasser Platz finden

Zudem sollen 400 Wohneinheiten untergebracht werden. Dort, wo sich die neue Brücke bis zu 47 Meter hoch aufschwingt, um im nicht unelegant den Kraftverlauf akzentuierenden Schwung die bisherigen Pylone raumgreifend zu ersetzen. Sogar von Windturbinen und Solarflächen ist die Rede. Die bewohnbare und als Park gedachte Brücke (samt Hotel, Gastronomie und Büronutzung) wäre also außerdem auch noch ein Öko-Vorzeigeprojekt, das sich Wind und Sonne zunutze macht und der Klimawende ästhetische Schubkraft zuführt.

Es ist anregend, die "Living Bridges" der Baugeschichte, die von der Old London Bridge bis zum Ponte Vecchio in Florenz reichen, weiterzudenken. Aus autogerechten Infrastrukturen könnten sensationell gelegene Stadtteile im Dienste ihrer Bewohner werden. Was das kostet? Einschließlich der "Mobility Hubs" in den Brückenfüßen und, weil uns begrifflich nichts erspart bleibt, samt der Coworking- und Carsharing-Spaces? "Rund 700 Millionen Euro", sagen die Entwurfsverfasser, die möglicherweise berufsbedingte Optimisten sind. Die Brücke ins Jenseits ist was für Gläubige.

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