Männerfiguren bei Fontane:Luftbedürfnisse

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Von 1872 bis zu seinem Tod lebte Fontane in der Potsdamer Straße 134c. Das Haus gibt es nicht mehr. (Foto: INTERFOTO)

"Weiber weiblich, Männer männlich' - das ist, wie ihr wißt, einer von Papas Lieblingssätzen": Autorinnen über Fontanes Väter, Gatten und Liebhaber.

Dass Effi Briest eine Schwester von Emma Bovary und Anna Karenina ist, hat sich herumgesprochen. Aber wie steht es mit Fontanes Männern? Können sie mithalten? Wir haben Schriftstellerinnen nach ihrer liebsten Männerfigur im Werk Theodor Fontanes gefragt.

Eva Sichelschmidt

Was hat Vater Briest da nur angerichtet? Neben all den Kühen, die vom Eis müssen und den Dingen, die in trockene Tücher gebracht werden, hat "ein weites Feld" längst einen festen Platz in der Luftnummernsprache der deutschen Politik - ungünstigerweise immer dann, wenn sich Gedankenarmut und Handlungsschwäche breit machen. Dabei plädierte der Gutsherr mit seinem Ausspruch wohl vor allem für eine lässige Geisteshaltung, indem er an die Unwägbarkeiten des Lebens appellierte und daran, dass sich das Schicksal dem menschlichen Handeln bisweilen entzieht. Unter all den sehnsüchtigen, naturgemäß weiblichen Romangestalten, die abenteuerlustig in ihr Unheil rasen, der Karenina, der Bovary und Ibsens Nora, ist mir Effi die liebste. Neben ihrem spazierstocksteifen Gatten und dem hasardierenden Liebhaber Crampas ist der alte Briest als männliche Figur geradezu voluminös menschlich geraten. Liebe sei für den Vater nur Papperlapapp, behauptet seine Tochter einmal. Doch dass er seine Effi liebt, steht außer Frage. Der "wohl konservierte" Fünfziger ist ein gütiger Beobachter, aber auch ein Fatalist. Fontane, von dem gesagt wurde, er habe den Ritterschaftsrat Briest als sein Alter Ego angelegt, lässt Effi bereits am Anfang des Buches den Vater zitieren: ",Weiber weiblich, Männer männlich' - das ist, wie ihr wißt, einer von Papas Lieblingssätzen." Vater Briest stützt sich dabei auf die treibende Kraft, seine ehrgeizige Frau Luise - in typischer Väterart, die auch noch im Jahr 2020 das beständige Grundmuster im Aufgabensplitting des Ehelebens ausmachen wird. Auffällig für den heutigen Leser ist, wie stark sich bei Fontane weibliche und männliche Figuren aufeinander beziehen. Das Ehepaar Briest ist nicht nur deswegen in gemeinsames Nachdenken verstrickt, weil ihnen jede Ablenkung, zumal die mediale, unserer Zeit fehlt, sondern auch, weil Vater Briest seiner Frau selbst nach vielen Ehejahren noch so zugeneigt ist, wie es Instetten Effi gegenüber vom ersten Tag an nie war. Väter sind für ihre Töchter, auf der Suche nach dem Zukünftigen die Role Models. Doch Effis Wahl ihres Ehemannes, in kindlicher Ahnungslosigkeit gefällt, besiegelt ihren Untergang: Lebenslänglich mit dem Falschen. Danach gibt es im Roman nur noch einen einzigen tröstlichen Satz. "Effi komm", telegrafiert der Vater ihr nach dem tiefen Sturz, endlich. Ein Trost, auch wenn sich das Versprechen der Rettung nicht einlöst. Der liebende Vater bleibt ein Frauenleben lang die Fata Morgana eines Rettungsbootes.

Ende Januar erscheint Eva Sichelschmidts neuer Roman "Bis wieder einer weint".

Berit Glanz

Obwohl ich das Gedicht um den großzügigen Birnenverteiler Ribbeck in der Schule auswendig lernen musste, ist mir eine andere Figur Fontanes stärker im Gedächtnis geblieben: der Wikingerkönig Gorm Grymme aus dem gleichnamigen Gedicht von 1864. Nun könnte ich als Skandinavistin über Fontanes Dänemarkbesuch im selben Jahr schreiben, über den Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 und die Bedeutung, die dieser Krieg noch immer im kulturellen Gedächtnis Dänemarks hat, während er in Deutschland beinahe in Vergessenheit geraten ist. Und natürlich könnte ich darüber schreiben, wie sich dieses Gedicht als Allegorie der dänischen Niederlage lesen lässt, immerhin war Gorm der sagenumwobene erste König Dänemarks.

Eine Engführung des Blickes auf diesen historischen Rahmen würde jedoch meiner Faszination für die Figur des weißhaarigen Wikingerkönigs nicht gerecht werden. Geht es doch in der Ballade um den verzweifelten Versuch mit einer Kontrolle der Sprache auch die Realität zu beherrschen. Dieser Wunsch dem Tod eine Schnippe zu schlagen, der Unvermeidlichkeit des Verlusts geliebter Menschen zu entgehen, hat wahrscheinlich jeden Liebenden schon umgetrieben. König Gorm jedenfalls liebt seinen Sohn Harald so sehr, dass er seinen Untertanen bei Androhung der Exekution verbietet, ihn jemals vom Tod seines Kindes zu informieren: "Wer je mir spräche 'er ist todt', / Der müßte sterben zur Stund'."

Als würde die Welt sich nicht ändern, der Status Quo bewahrt bleiben, wenn die Änderung nicht in Worte gefasst wird - ein beinahe berührender Glaube an die Macht der Sprache. Wie es kommen muss, stirbt der Sohn in einer Schlacht und die Untertanen des Königs wagen es nicht ihn zu informieren. Stattdessen kleidet sich Gorms Frau Thyra in Schwarz, legt ihren farbigen Schmuck ab, verdunkelt den Saal und zündet Kerzen an. Das Gedicht zeigt so, wie andere Zeichensysteme als die gesprochene Sprache kommunikative Zwecke erfüllen. Der Mensch kann sich der Kommunikation nicht entziehen, die Realität nicht verleugnen, selbst wenn er die Sprache verweigert. Als der verzweifelte Gorm seinen rotgoldenen Mantel fordert, bekommt er von seiner Frau nur einen schwarzen Umhang gereicht. Die Unvermeidlichkeit des Verlusts anerkennend, fasst er ihn in Worte. "Gorm Grymme sprach: "Was Niemand spricht, / Ich sprech' es: er ist todt." Gebrochen sinkt er zu Boden, während Thyra seine Hand hält. Auch der größte weltliche Einfluss, die Macht anderen die Sprache zu nehmen, kann der Endlichkeit menschlichen Lebens keinen Einhalt gebieten.

"Pixeltänzer" heißt der Debütroman von Berit Glanz, der in diesem Jahr erschien.

Anja Kampmann

Es gibt Erzähler, die sich angreifbar machen, und dies mit vollem Bewusstsein. Im Falle Fontanes handelt es sich um einen Erzählton der liebenswürdig und nicht überheblich ist. Das "einfache" Erzählen, auf das Fontane sich versteht, ist "nicht akademisch, sondern märkisch-praktisch". Es sind Figuren, die im besten Falle "gütig sind und jene Heiterkeit haben, die, menschlich gesehen, so ziemlich unser Bestes ist." Ich denke zum Beispiel an den alten Dubslav aus dem "Stechlin". Mir gefällt, wie Fontane in Dubslav eine sympathische Figur alten Schlags zeichnet, dann aber Fragen in den Text einschiebt, die auf ganz neue Lebensumstände verweisen. "Wir tun jetzt (leider) so vieles, was wir, nach einer alten Anschauung, eigentlich nicht tun sollten. ... und es ist noch weniger passend, in einem Fünfzigpfennigbasar allerhand Einkäufe zu machen und an der sich dabei aufdrängenden Frage 'Wodurch ermöglichen sich diese Preise?' still vorbeizugehen. Unser Freund in Spindlersfelde da drüben degradiert uns vielleicht auch durch das, was er so hilfreich für uns tut."

Und ist dieses Spindlersfelde nicht immer noch genauso gegenwärtig? Hat es nicht heute nur andere Namen, Bangladesch, China, ist es nicht vielleicht noch unsichtbarer geworden? Diese Fragen sind aktuell und brechen bereits in diesem Text von 1899 in die bekannte Welt Dubslavs ein. So viele Diskurse jedoch in den Text einfließen mögen, Fontane versucht die Figuren stets an dem zu messen, was sie miteinander ausmacht: "Wenn das Herz gesund ist, ist der Kopf nie ganz schlecht. Auf diesen Satz kannst du dich verlassen." Dazu kommt die leichte Ironie, mit der er die Welt seiner Figuren schildert, etwa der große Aufwand, mit dem Dubslav sich für Wahlen aufstellen lässt, die er dann verliert, worauf lapidare Sätze folgen wie "Siegen ist gut, aber Zu-Tische-Gehen ist noch besser." Das Zu-Tisch-Gehen, die Forellen, Wein und der Rehbraten lassen die kleine verschrobene Gemeinschaft stets auch liebenswürdig erscheinen.

"Woran scheitert man denn im Leben überhaupt? Immer nur an der Wärme", heißt es in "Effi Briest". Zu Dubslavs Beerdigung beschreibt Pfarrer Lorenzen ihn folgendermaßen: "Nichts Menschliches war ihm fremd, weil er sich selbst als Mensch empfand und sich eigner menschlicher Schwächen jederzeit bewusst war. Er war das Beste, was wir sein können, ein Mann und ein Kind." Und dieses Kind hat, wie Effi Briest, ein "Luftbedürfnis", es zeigt uns eine Gesellschaft in all ihrer stickigen hergebrachten Lebensweise.

Anja Kampmann veröffentlichte 2018 ihren Roman "Wie hoch die Wasser steigen".

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Von Jens Bisky

Annett Gröschner

Wenn ich mich so umsehe in der männlichen Personnage der Fontaneschen Romane, gibt es eigentlich nur einen, der mir sofort einfiele als eine Figur, die es in ihrer Zerrissenheit, Fontane würde sagen "einen Knacks weghaben", aufnehmen kann mit weiblichen Figuren wie Effi Briest, Jenny Treibel, Grete Minde oder Lene Nimptsch, seiner Geliebten: Botho Baron von Rienäcker, Premierlieutnant im Kaiser-Kürassierregiment in Berlin, diesen nach eigenen Angaben "Durchschnittsmenschen aus der sogenannten Obersphäre der Gesellschaft". Wenn es von seiner Seite auch eine vergleichsweise bequeme Zerrissenheit ist, die sich mit einem Immortellenkranz auf dem Grab der Pflegemutter seiner Ex-Geliebten und im Kamin verbrannten Liebesbriefen leidlich flicken lässt. Wir sehen den Baron in der Schlüsselszene des Romans (bei Fontane Novelle) "Irrungen Wirrungen" (1887), mit seiner Fuchsstute durch die Jungfernheide reitend, über seine Zukunft und Familienehre nachdenken. Botho ist mit der Kunststickerin Lene, einem Mädchen aus dem Kleinbürgertum, liiert, er genießt die Beziehung. "Will ich Lene heiraten? Nein. Erwartet sie's? Nein. (...) Und doch säume und schwanke ich, das eine zu tun, was durchaus getan werden muss. (...) Weshalb diese Schwankungen und Vertragungen? Törichte Frage. Weil ich sie liebe."

Lene und er wissen, dass sie vom Standpunkt ihrer Umwelt her nicht zusammenpassen, wobei Lene noch pragmatischer und unsentimentaler ist als er. Und hellsichtig, was sie vor Enttäuschungen feit. Botho von Rienäcker fehlt der Dünkel, aber es fehlt ihm auch die Kraft, vor seinen Kameraden zuzugeben, dass Lene mehr ist als ein Techtelmechtel. Denn der Baron ist ein "Sohn seiner Klasse", verarmter Zweig. Er muss, auf Bitten seiner Mutter und um das Familienvermögen zu retten, seine Cousine heiraten. Und er tut es, weil "das Herkommen unser Tun bestimmt. Wer ihm gehorcht, kann zugrunde gehen, aber er geht besser zugrunde als der, der ihm widerspricht", so Botho auf seinem Ritt durch die Jungfernheide.

"Ich kann auch nicht aus meiner Haut", lässt der Dichter Thomas Brasch sein "Er" ein Jahrhundert später an der Kinokasse derselben Stadt sagen und liefert damit einen Grund, warum "Irrungen, Wirrungen" nur oberflächlich verstaubt ist. Der zweite ist: Dem Happy End war der Realismus des Autors vor. Hätte es eines gegeben, hätte Fontane einen Shitstorm des späten 19. Jahrhunderts aushalten müssen, der Roman dagegen wäre längst vergessen. Die Distinktionen sind heute feiner, aber nicht verschwunden. Die Ehe einer Tochter aus den Townhouses auf dem Jenny Treibelschen Friedrichswerder, heute eine feine Gegend, mit einem maghrebinischen Asylbewerber würde sicherlich auch als Verwirrung durchgehen und mit Geld und guten Worten aus der Welt geschafft. Oder die Abschiebung käme einer Entscheidung zuvor.

Annett Gröschner veröffentlichte 2018 "Berolinas zornige Töchter. Eine Geschichte der Berliner Frauenbewegung".

© SZ vom 30.12.2019 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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