Auf seinem Schreibtisch hatte Theodor Fontane auch ein hölzernes Fangeballspiel aus Griffstange, Ballbecher und einem darum geschlungenen Band, an dessen Ende eine Kugel befestigt war, die es in den Becher zu bugsieren galt. Es muss ein heiterer Anblick gewesen sein, wenn er in den Zwischenpausen, sei es, dass er eine neue Auflage der "Wanderungen" korrigierte oder an "Effi Briest" schrieb, zwecks Stärkung "der dichterischen Schaffenskraft" dazu griff. In seinem letzten Roman, "Der Stechlin", zeigt Armgard großes Geschick in diesem Spiel, "und es gab immer einen kleinen hellen Schlag, wenn der Ball in den Becher fiel".
Fontanes Schreibtisch ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschollen, sein Fangeballspiel aber hat sich erhalten. Wahrscheinlich hat es der Schriftsteller in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts im Riesengebirge gekauft. Das Exemplar zieren eine Lerche und die Schneekoppe. Für die Ausstellung "fontane.200/Autor", die am Wochenende im Museum Neuruppin eröffnet wurde, ist es ein großartiger Gegenstand, führt direkt hinein ins Thema, die Arbeitstechniken des Dichters.
Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zur Eröffnung noch einmal den Großschriftsteller als Ausnahmeerscheinung beschworen, dessen Werke den "Konflikt von Tradition und Moderne" spiegeln. Auch sei in ihnen "eine tiefe Humanität des Miteinander-Sprechens zu besichtigen". Die Neuruppiner Ausstellung stellt das nicht in Abrede, nähert sich ihrem Helden jedoch auf andere Weise. Ihre große Frage lautet in etwa: "Wie haben Sie das gemacht, Herr Fontane?" In drei Kapiteln geht es ums Schreiben, ums Texten, ums Mixen. Gezeigt werden soll Fontane als "Wortsampler, Schreibdenker und Textprogrammierer". Die Besucher haben keinen Rundgang zu absolvieren, an dessen Ende sie ein Fontane-Bild nach Hause tragen können. Sie müssen sich ihren Weg durch Museumsräume und Stadt suchen, müssen viel lesen, dürfen denken.
Diese Literaturausstellung handelt, was nicht häufig ist, tatsächlich von Literatur
Die vom Land Brandenburg und der Bundeskulturstiftung geförderte "Leitausstellung" geht das hohe Risiko ein, auf einen biografischen Bilderbogen und die großen Themen der Fontane-Zeit rund um Borsig, Bismarck, Bebel zu verzichten. Das wirkt zunächst ungeheuer ernüchternd, die Schaulust wird nur am Rande befriedigt. Dafür sieht man den Textfabrizierer auf neue Weise. Selbst Kenner verfallen nicht in den Abnick-Modus, der registriert, wie viel Bekanntes vorkommt und was fehlt. Sie entdecken, was sie bislang übersehen haben und werden sich schließlich wundern, dass dennoch zahlreiche Motive aus dem Leben des Apothekersohns, Journalisten, des Wanderers und Romanciers aufscheinen.
Sie haben ihren Auftritt jedoch nicht als kulturhistorische Fakten, über die sich bei Gelegenheit des Werkes sprechen ließe, sondern als Material und Werkzeug in Fontanes Schreibwerkstatt. Diese Literaturausstellung handelt, was nicht häufig ist, tatsächlich von Literatur. Und sie nimmt ihr Publikum so ernst, dass sie ihm die neuesten philologischen Fragen und Erkenntnisse zumutet. Installationen, Bildschirme, Vitrinen - alles stellt die Kuratorin Heike Gfrereis vom Museum des Marbacher Literaturarchivs in den Dienst des Lesens.
Interessantheitshöhepunkt der Ausstellung sind die 67 überlieferten Notizbücher Fontanes. An der Universität Göttingen erarbeitet Gabriele Radecke derzeit eine Hybrid-Edition der kleinen Bücher, in die Fontane allerlei eintrug: Stichwörter, Listen des zu Erledigenden, Skizzen von Schauplätzen, Zeitungsausschnitte. In einem großen, aus konservatorischen Gründen recht dunklen Raum werden die Notizbücher präsentiert. Fünfzehn von ihnen hat der Theaterkritiker Fontane vollgeschrieben. Sie zeigen, wie er verfuhr. Da stehen dann kritische Bemerkungen neben Entwürfen zur Ballade "Die Brück' am Tay": "Man hat zunächst den Eindruck als ob Akt III und Akt II. sein müsse" - "Der Brückner sieht / hinaus in den Sturm, / Er sieht nach Süden - ".
"Repräsentationsweinflasche", "Begrüßungsangelegenheit", "Ängstlichkeitsprovinz"
In anderen Räumen prangt ein Brockhaus-Lexikon, in dem sich Fontane informierte, oder hängen vergrößerte Seiten aus Büchern seiner Bibliothek, sodass seine Anstreichungen und Nebenbemerkungen lesbar werden. Eine große Installation enthüllt die Beziehungen der Figuren aus "Effi Briest" zueinander, indem sie die Wörter und Wortfelder auffächert, die Effi, Innstetten und die anderen besonders häufig oder auffallend selten nutzen.
Heike Gfrereis greift zurück auf die Ergebnisse eines "philologischen Hackathons" (das Wort ist eine Zusammensetzung aus "Marathon" und dem englischen "Hacken"), das sie gemeinsam mit Peer Trilcke vom Fontane-Archiv veranstaltet hat. Die digitale Analyse der Texte hat nicht nur statistische Aussagen über Worthäufigkeiten ergeben, sondern ebenso eine stilistische Besonderheit des Autors erfasst: seine Nominalkomposita, lange Substantive, die nur einmal vorkommen: "Repräsentationsweinflasche", "Begrüßungsangelegenheit", "Ängstlichkeitsprovinz" und dergleichen Sprachhübschheiten mehr. Die Liste dieser Wörter zählt schon jetzt zu den Haupterfreulichkeiten des Fontane-Jubeljahrs, weil sie einerseits die Welt des Autors heraufbeschwört und andererseits zum spielerischen Nachahmen verleitet. In Neuruppin macht man von den Wörtern besten Gebrauch und errichtet Fontane ein sprachliches "Begeisterungsgebäude". Die Wörter, erläutert und um Zitate ergänzt, verbinden die Textwerkstatt mit der Lebenswelt, dem Museum und der Stadt.
Neuruppin, wo er am 30. Dezember 1819 zur Welt kam, war nach einem verheerenden Stadtbrand als Planstadt der preußischen Aufklärung wiedererrichtet worden, alles nach der Schnur, mit sehr geraden Straßen, sehr großen, etwas langweilig wirkenden Plätzen und - typisch für die preußische Verwaltung - einem Schulgebäude als Mittelpunkt. Fontane war auch deswegen eine Ausnahmeerscheinung unter den Dichtern seiner Zeit und im "Examensvolk" der Deutschen, weil er nicht studiert hatte und mit seinem poetischen Talent, seiner literarischen Begabung erstens die Familie ernähren und sich zweitens gegen den Akademikerdünkel behaupten musste, für den der Mensch erst beim Privatdozenten oder Gymnasialdirektor begann.
Je höhere Treppen man steigt, desto mehr kommt man auf der Rangleiter nach unten
Über seine Wörter erschließt die Ausstellung dann doch eine ganze Welt, von der Apotheke in der Friedrich-Wilhelm-, heute Karl-Marx-Straße, den Bahnhof bis hin zum Treppenhaus im Museum. "Drei-Treppen-hoch-Leute" heißt das Stichwort, es folgen Hinweise auf Treppen in den Romanen und die damals gültige Einsicht des Autors, "je höhere Treppen man steigt, desto mehr kommt man auf der Rangleiter nach unten". Entdecken lassen sich eine noch arg steife Schinkel-Zeichnung aus Fontanes Besitz, Neuruppiner Bilderbögen, die Schauplätze so zusammensetzten, wie Fontane es literarisch tat, ein Streitwagen aus der Sammlung des Museums, den er mehrfach beschrieb. Zum spielerischen Umgang gehört, dass neben dem obligatorischen Porträt auch eine Postkarte mit den berühmten Söhnen Neuruppins zu sehen ist, darunter Fontanes Kommentar, er sehe darauf "kolossal verhungert aus, mehr als selbst einem Dichter zukommt".
Wenn er nach Entwürfen, Notizen etwas Längeres fertiggestellt hatte, begann das Korrigieren, für ihn die "Weißglühhitze" des Schreibens. Die Ausstellung führt sehr nah heran an seine Art der Verfertigung von Texten. Ob diese "aufregend langweilig oder einfach öde" sind, soll demnächst in Neuruppin diskutiert werden. "fontane.200/autor" zeigt ihn als einen, der uns sehr fremd und sehr nah zugleich ist. Sie bietet eine Heiterkeitserfahrung, die man nicht mit "Lobkugeln" beschießen muss, weil sie Leser von selbst in Bann zieht.