Theatertreffen:"Frauen machen keine schlechtere Kunst"

Yvonne Büdenhölzer

Yvonne Büdenhölzer, Jahrgang 1977, ist seit 2012 Leiterin des Berliner Theatertreffens.

(Foto: dpa /Jörg Carstensen)

Das Berliner Theatertreffen führt erstmals eine Frauenquote ein. Die Leiterin Yvonne Büdenhölzer erklärt, warum das mehr ist als reine Symbolpolitik.

Interview von Peter Laudenbach

Das Berliner Theatertreffen, das an diesem Freitag beginnt, führt eine Frauenquote ein. In den kommenden beiden Jahren sollen mindestens fünf der insgesamt zehn ausgesuchten Stücke von Regisseurinnen stammen. Yvonne Büdenhölzer, die Leiterin des Theatertreffens, erklärt die Gründe für ihre Entscheidung.

SZ: Frau Büdenhölzer, weshalb führen Sie beim Theatertreffen in den nächsten beiden Jahren eine Frauenquote ein?

Yvonne Büdenhölzer: Zwischen 1964, dem ersten Jahrgang des Festivals, und 2019 stammten insgesamt nur 11,7 Prozent der zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen von Regisseurinnen. Nach einer aktuellen Untersuchung stammten in der Spielzeit 2014/2015 etwa 70 Prozent aller Inszenierungen an deutschen Theatern von Männern, und nur etwa 30 Prozent von Frauen. Das bildet sich auch in der Auswahl des diesjährigen Theatertreffens ab, mit zwei Inszenierungen von Regisseurinnen und einer Arbeit eines vorwiegend weiblichen Kollektivs. Das ist ein Missverhältnis, das wir nicht fortsetzen wollen.

Die Auswahl spiegelt die Situation an den Theatern, das kann man der Jury schlecht vorwerfen.

Ich finde, dass es eine Aufgabe des Theatertreffens ist, Impulse zu setzen, und nicht nur, die bestehende Situation abzubilden. Ich erhoffe mir von dieser Quote auch, dass sie für Intendantinnen und Intendanten einen Anreiz setzt, Künstlerinnen und Künstler beider Geschlechter gleichermaßen zu fördern und zum Beispiel Regisseurinnen öfter für Produktionen auf der großen Bühne zu engagieren als es bisher der Fall ist.

Vier der sieben Kritiker der Jury sind Frauen, trotzdem wurden nur drei Inszenierungen von Regisseurinnen eingeladen. Greifen Sie mit der Quote nicht massiv in die Kompetenz der unabhängigen Kritiker-Jury ein, deren Aufgabe es ist, die ihrer Ansicht nach zehn "bemerkenswerten" Inszenierungen zu nominieren?

Natürlich haben wir das mit der Jury diskutiert. Es gibt schon lange den Wunsch in der Jury, mehr Arbeiten von Frauen einzuladen. Aus der Jury selbst kam der Vorschlag, dass sie sich informell, intern eine Quote setzt. Am Ende ist es ehrlicher, das offen und transparent zu machen. Ich glaube, dass die formale Setzung einer Quote ein hilfreiches Instrument ist, um nicht in Absichtserklärungen stecken zu bleiben, sondern wirklich etwas zu verändern. Das Suchverhalten der Jury, die jetzt fünf Inszenierungen von Frauen finden muss, wird sich durch die Quote komplett verändern müssen. Das wird sich auf die eingeübten Sehgewohnheiten auswirken. Aber das Kriterium der bemerkenswerten Inszenierung ändert sich nicht.

Befürchten Sie im kommenden Jahr nicht die absehbare Unterstellung, die fünf eingeladenen Regisseurinnen seien nicht ausschließlich wegen der Qualität ihrer Arbeit, sondern aus Quotengründen eingeladen?

Ich glaube nicht, dass die Regisseurinnen das so sehen werden. Gerade bei jüngeren Regisseurinnen stellt sich diese Frage eigentlich gar nicht mehr - am Ende ist man dabei. Das ist es, was zählt. Frauenquoten haben noch nie bedeutet, dass Frauen nur wegen ihres Geschlechts ausgewählt werden, sondern dass sie nur so lange bei gleicher Qualität bevorzugt werden, bis sie angemessen repräsentiert sind. Im Augenblick haben wir es ja eher mit einer zwar nicht offiziellen, aber praktizierten Männerquote zu tun.

Auch Menschen mit anderer Hautfarbe, mit nicht-deutscher Herkunft, mit queerer Orientierung oder aus bildungsfernen Schichten werden diskriminiert. Wäre es nicht konsequent, auch für diese Gruppen eine Quote einzuführen, damit sie jedes Jahr mit Inszenierungen beim Theatertreffen vertreten sind?

Ja, das stimmt. Das wäre der nächste Schritt. Wir haben uns entschieden, mit einer Quote für die größte benachteiligte Gruppe, und das sind Frauen, anzufangen. Sicher gibt es an den Theatern noch eine Dominanz von Menschen aus bildungsbürgerlichen Schichten. Und natürlich ist es richtig und überfällig, wenn sich die Theater auch für Menschen mit völlig anderen Biografien öffnen. Das geschieht ja auch.

Ist so eine Quote bei einem Kunstfestival nicht ein etwas wohlfeiles Symbolhandeln, das an gesellschaftlichen Missständen, vom Gender Pay Gap bis schlechteren Karrierechancen, nichts ändert?

Die Quote ist definitiv mehr als ein reines Symbol. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Strukturen im Theater verändern, etwa bei der im Vergleich zu den männlichen Kollegen schlechteren Bezahlung für Regisseurinnen und Schauspielerinnen. Ich hoffe, dass Ensembles, Regie- und Bühnenbildpositionen zunehmend paritätisch besetzt werden. Das Budget, das einer Regisseurin für eine Produktion zur Verfügung steht, sollte sich an die Budgets ihrer männlichen Kollegen angleichen. Immer noch werden viele Frauen im Theater vor allem als Handwerkerinnen gesehen. Männer nehmen für sich viel selbstverständlicher in Anspruch, Künstler zu sein. Frauen machen keine schlechtere Kunst. Es liegt an den Strukturen, dass sie es viel schwerer haben, als Künstlerinnen unter fairen Konditionen zu arbeiten. Die Kriterien und Maßstäbe, mit denen Kunst von Frauen bewertet wird, sind andere und härtere als bei Kunst von Männern. Das fängt bei den Chancen für erste Arbeiten an, die Intendanten ihren Regieassistenten und -assistentinnen geben oder eben nicht geben.

Weshalb gilt Ihre Gender-Quote eigentlich nur für die Regie - und nicht zum Beispiel auch für die jeweiligen, von männlichen oder weiblichen Intendanten geleiteten Theater oder für die Autoren der eingeladenen Stücke?

Darüber habe ich nachgedacht. Natürlich hat es Folgen für die Stoffe, dass ein Großteil der Stücke des Kanons von Männern stammt. In den Stücken des klassischen Repertoires gibt es deutlich weniger attraktive Rollen für Schauspielerinnen als für Schauspieler, vor allem für Schauspielerinnen über 35. Das sind dann meistens Mätressen, Botinnen, Mütter oder Huren. Das ist kein Zufall, sondern ein strukturelles Problem. Aber das Theatertreffen ist ein Festival der Regisseure und Regisseurinnen, das ist der Fokus. Deshalb gilt die Quote für die Regie.

Es besteht die Gefahr, dass das Theatertreffen durch diese Politisierung der Auswahl in seiner Ausstrahlung beschädigt wird. Sehen Sie dieses Risiko?

Nein.

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