Süddeutsche Zeitung

Theaterstreit:Streitpunkt Volksbühne

Die Berliner Akademie der Künste bat die Theaterchefs der Stadt zur Diskussion "Was ist ein Ensembletheater?" Dabei entzündete sich der Streit an Chris Dercons Volksbühnen-Modell. Dort ist das Ensemble faktisch abgeschafft.

Von Mounia Meiborg

Was gibt es Schöneres als einen Adventssonntag im Kreis der Familie? Auch wenn es nur die Theaterfamilie ist. Die Chefs und stellvertretenden Chefs von acht Berliner Theatern diskutierten in der Akademie der Künste über die Frage "Was ist ein Ensembletheater?" Und folgten dabei der Dramaturgie misslungener Familienfeste. Erster Akt: Alle tun, als sei die Welt in Ordnung. Zweiter Akt: Spitze Bemerkungen schaffen ein Klima unterschwelliger Aggression. Dritter Akt: Eskalation. Denn das Ensembletheater ist zum Kampfbegriff geworden; zum Gegenmodell eines Tournee- und Eventtheaters, das dem Volksbühnen-Chef Chris Dercon nachgesagt wird.

Man plauderte also zunächst über dieses und jenes. Über den Vorzug eines Ensembles zum Beispiel, den Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier als die Chance zusammenfasst, "eine ästhetische Sprache auszuprägen und vielleicht sogar zu erfinden". Weltweit werde das deutschsprachige Theater um dieses System beneidet. Ulrich Khuon vom Deutschen Theater ist daran gelegen, dass sein Ensemble sich als Gruppe fühlt. "Es ist wie immer im Leben: Der wesentliche Teil bleibt unsichtbar." Sein Kollege Oliver Reese vom Berliner Ensemble nennt handfestere Gründe: "Die Arbeitsbedingungen von nicht fest angestellten Schauspielern sind beschissen." Und Shermin Langhoff vom Gorki-Theater verweist darauf, dass Ensembles die Theater vor Spar- und Schließungsdiskussionen schützten. Schließlich kam man zur Volksbühne. Verärgerung gibt es nicht nur, weil deren Ensemble bislang nur aus drei fest angestellten Schauspielern besteht (bei Castorf waren es zwölf). Viele in der Theaterszene haben Angst, dass das Modell Schule macht und Kulturpolitiker ihre Chance sehen, auch andernorts Personalkosten einzusparen. Wobei im Fall der Volksbühne von Einsparungen keine Rede sein kann. Dercons Team hat zur Vorbereitung der ersten Spielzeit gute zwei Millionen extra bekommen, was rundherum Neid erregt.

Die faktische Abschaffung des Ensembletheaters an der Volksbühne sei von allen Beteiligten verschleiert worden, sagt Khuon. "Es war eine Lüge", poltert er. Auch die anderen legen nach. Shermin Langhoff, sichtlich erbost darüber, dass die Volksbühne für Susanne Kennedys "Women in Trouble" einen ihrer stärksten Schauspieler abgeworben hat, stichelt, es sei doch merkwürdig, dass nur ein Berliner Theater die Ressourcen Zeit und Geld im Überfluss bekäme. Und Oliver Reese nimmt die Volksbühnen-Programmdirektorin Marietta Piekenbrock so lange ins Kreuzverhör, bis diese zugibt, die Bildung eines Ensembles habe für sie keine Priorität. In der Bewerbungsphase sei es in den Gesprächen mit dem Senat nie darum gegangen. So deutlich hat man das noch nie gehört. Befriedet ist der Berliner Theaterstreit damit noch lange nicht. Aber vielleicht wird er in Zukunft wenigstens ehrlicher geführt.

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SZ vom 05.12.2017
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