Theaterpremiere:Zu charmant

Bertolt Brechts rätselhaftes Textkonvolut "Fatzer" gerät am Deutschen Theater Berlin in der Inszenierung von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel zwar leichtfüßig und unterhaltsam, verfehlt aber die Faszination an der Apokalypse.

Von Peter Laudenbach

Bertolt Brechts "Fatzer"-Fragment ist ein rätselhaftes Textkonvolut, 500 unspielbare Seiten: Die Geschichte von vier Deserteuren im Ersten Weltkrieg, geschrieben in stark rhythmisierten Versen, mit Chor und Gegenchor. Die Parolen der sich radikalisierenden Deserteure bewegen sich jenseits aller ideologischen Raster, eher an Friedrich Nietzsche als an Lenins "Was tun?" andockend: "Der Mensch muss aufhören. Schwach sein ist menschlich und darum muss es aufhören." Heiner Müller, der von dem Fragment fasziniert war, hat es 1993 als Tragödie inszeniert, ein unterkühltes Menschenversuchslabor.

Jürgen Kuttner und Tom Kühnel versuchen den hermetischen Text jetzt in ihrer Inszenierung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin wie in einem Gegenentwurf zu Müllers Deutung spielerisch aufzubrechen. Kuttner gibt den Animator, der das Publikum auffordert, die Chortexte zu sprechen oder dem Spiel mit Zwischenrufen zu helfen. Die Deserteure kommen in ihren silbernen Ganzkörper-Strampelanzügen nicht aus dem Schützengraben, sondern aus dem Weltall oder einem Pop-Comic. Als kleine Referenz an Brechts Schaffen hat Bühnenbildner Jo Schramm die Pagode aus "Der gute Mensch von Sezuan", den Wagen der Mutter Courage und den Galgen aus der "Dreigroschenoper" an den Bühnenrand gestellt - lustig, aber sinnfrei. Um erst gar nicht den Anschein von Überblick und klarer Erzählung aufkommen zu lassen, wird die Szenenabfolge per Zufall entschieden. "Dass ihr mich versteht, das verbiet ich", sagt der Anarchist Fatzer einmal: Wer verstanden wird, macht schon gemeinsame Sache mit der Ordnung der Welt - und genau der hat Fatzer für immer die Gefolgschaft aufgekündigt. Andreas Döhler spielt den Radikal-Nihilisten gefährlich unberechenbar, jemand, der ohne Hoffnung auskommt und die Welt am liebsten in den Abgrund reißen will.

Der Charme und die ironische Leichtigkeit des Spiels machen Spaß, dementieren aber den Rausch der Selbstzerstörung und den apokalyptischen Schauder, die das Faszinosum des Textes ausmachen.

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