Süddeutsche Zeitung

Theaterpremiere :Wo Fuchs und Gans sich gute Nacht sagen

Navid Kermanis "Das Buch der von Neil Young Getöteten" an Hamburgs Thalia-Theater.

Von Till Briegleb

Vielleicht sollte man ein paar Vertreter der sich ständig weiter leerenden christlichen Kirchen in diesen Gottesdienst schicken. Oder zum Coaching beim Oberliturgen Navid Kermani. Der hat eine Anbetung geschrieben, die erklärt, wie junge Menschen dem Glauben verfallen und lebenslang daran festhalten können. Die wurde nach nur wenigen Jahren bereits so ansteckend, dass andere sich dem Heiligendienst anschließen, ein Paradies aus dem bescheidenen Gestrüpp eines deutschen Zwischengrüns mit Parkbank und rotem Abfalleimer erbauen und darin zweieinhalb Stunden als Jünger ihren Gott nachspielen. Denn Gott selbst ist natürlich nicht da. Der bekämpft gerade Donald Trump, die Umweltverschmutzung und den schlechten Klang digitaler Musikformate. Außerdem möchte der Übernatürliche, der aus Kanada kam, um von aller Welt als Proteststimme Amerikas wahrgenommen zu werden, gerade Bürger der USA werden, weil diese zerstrittene Nation vielleicht nicht gerade das Gelobte Land ist, aber zumindest die Heimat von ihm und seinen Liedern.

Ja, es geht um Neil Young, eigentlich Neil Percival Young, den Gralfinder der schmutzigen Folklore, dessen seltsame Poesie für die euphorischen blauen Stunden am Lagerfeuer mit Klampfe und Joint für manche die intensivere nobelpreiswürdige Nasal-Literatur ist. Wie eben für Navid Kermani, der 2002 seinen privaten Neil-Young-Katechismus voller Superlative, Pathos und Melodram geschrieben hat. Aber er erzählt das auch als persönliche Kameradschaft seines Sehnens mit der Percival-Musik, einer Lehrerin aus Ton und Text von Kindheit an, die ihn zu einem Liebenden machte. Liebenden verzeiht man ja auch die rechthaberische Schwärmerei, die sie allen mitteilen müssen, selbst wenn der Enthusiasmus nervt.

Doch so ein kluger Mensch wie Navid Kermani weiß und beobachtet das alles selbst, kommentiert es in seinem jungen Testament "Das Buch der von Neil Young Getöteten" voller Ironie und weiß sich ansonsten erleuchtet durch spirituelle Songtexte, die er oft nicht wirklich versteht, wie das eben so ist mit heiligen Schriften, die den Orientalisten in ihm daher zu langen Exegesen von kurzen Strophen inspirieren. Vergleiche mit dem Koran, dem Sufismus und der Philosophie inklusive. Daraus soll nun ein Theaterstück werden? Ein Buch ohne Dialog und Handlung adaptiert für die Große Bühne des Thalia-Theaters in Hamburg? Kann das wirklich mehr werden als ein Schunkelabend für die intellektuelle Fanbase des schlechtestangezogenen Popstars aller Zeiten, der krause Koteletten und Nasenhaare liebt?

Es gibt magische Momente, in denen das Ü-50-Publikum voll ergriffen wird

Diesem Modestil wird zunächst vor allem gehuldigt von Sebastian Nübling durch die Kostüme von Pascale Martin bei dieser "Nacht der von Neil Young Getöteten". Vom Cowboyhut und den fettigen langen Haaren über den Backenbart und das Holzfällerhemd zu den Schlabberhosen und Bergstiefeln kombiniert sich diese Modenshow der amerikanischen "Scheiß-drauf"-Jugend mit Country- und Cowboy-Accessoires durch die Garderobe von Biertrinkern, die abends ihre Klamotten auf den Boden schmeißen und morgens wieder anziehen. Es sind Grunge-Geister, die in diesem rotierenden Stück eines städtischen Naherholungsgebietes das verlorene Paradies bewohnen, das laut Kermani zentrales Thema aller Lieder von Neil Young sei. Eva-Maria Bauer hat diesen Grünstreifen Eden unter einer defekten Straßenlaterne inszeniert als Ort, wo Fuchs und Gans sich gute Nacht sagen. Hier steht der Kinderwagen herum, aus dem Navid Kermanis Tochter kräht, denn sie hat Dreimonatskoliken, die sich - so erzählt es Kermani - einzig und allein durch die Stimme Youngs vertreiben lassen. Er hat die Therapie erfolgreich erprobt, bewiesen und empfiehlt sie entnervten Eltern.

Die Neil-Young-Untoten, die nun zeigen, wie das funktioniert, können zwar großenteils kaum Gitarre spielen, Ton und Ausdruck dieser quäkenden Singstimme treffen sie auch nicht direkt. Vielmehr klingen manche der Evergreens an diesem Abend, (vorgetragen von Carolina Bigge, Thomas Niehaus, Merlin Sandmeyer, Gabriela Maria Schmeide, Maja Schöne und Cathérine Seifert) als seien sie von den Pogues, von Anne Clarke oder von Zeltinger. Trotzdem gibt es magische Momente, bei denen das Thalia-Ü-50-Publikum, das Stücke wie "Sugar Mountain", "Cortez the Killer", "Hey Hey, My My" oder "Heart of Gold" als schöne Jugenderinnerungen bewahrt und textsicher mitdenken kann, voll ergriffen wird. Etwa wenn Felix Knopp entfesselt "Down by the River" singt und die Frage aufwirft, warum dieser begnadete Performer nicht selbst Popstar geworden ist. Er hätte den Abend mit Charisma und fantastischer Stimme allein wuppen können - vielleicht im etwas kleineren Rahmen?

Tatsächlich muss diese Inszenierung - die in ihrer Anlage an die absurden Waldstücke mit Rockern und Maulwürfen von Philippe Quesne erinnert - ihr Material extrem skurril vergrößern, um diesen Liederabend mit Textstrecken aus Kermanis Romantikvorlesung zu einer Show für dieses Format zu machen. Da wird gesägt, gehackt und gezündelt. Der Eisbär kommt und steigt in den Kühlschrank, während Plastiktüten auf die Bühne geblasen werden. Ums Lagerfeuer versammeln sich Gestalten, die dort die Texte des fernen Gottes übersetzen, als seien es ihre eigenen Geschichten. Es gibt immer wieder ein Finale, nach dem doch nicht Schluss ist, denn es gibt von Neil Young eben so viele tolle Stücke, Pardon: Prophezeiungen.

So bleibt der Abend ein sehr redliches Bemühen mit vielen Bildern, Absurditäten und Kniefällen, mit Gänsehautmomenten und Leerlauf. Eine Huldigung von größter Sympathie, ohne Zweifel, ohne Gehässigkeit. Ein Gottesdienst eben, dessen frohe Botschaft man zu Hause nachhören und nachlesen kann: "Hey Hey, My My, Rock 'n' Roll can never die!" Oder doch eher "There is more to the picture than meets the eye"?

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Quelle:
SZ vom 21.11.2019
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