Theaterpremiere:Ware Schönheit

Linda; Düsseldorf
Linda
von Penelope Skinner

Keine Chance für Ältere, nirgends: Linda (Claudia Hübbecker) und Luke (Chris Eckert).

(Foto: Sandra Then)

Eine Chefin, die nichts mehr zu verlieren hat: "Linda" von Penelope Skinner in Düsseldorf als Tragödie mit Stinktier.

Von Martin Krumbholz

Nicht nur zu Shakespeares Zeit durften Mädchen nicht auf einer Bühne auftreten. "Es war überall danach genauso", stellt Bridget fest: "Mädchen sagen fast nie irgendwas. Nie reden sie über irgendwas Wichtiges." Sie ist fünfzehn und will Schauspielerin werden. Ihre Mutter Linda steckt in einer akuten, Schwester Alice in einer chronischen Krise, aber mit dem Egoismus der Pubertierenden hält Bridget am Thema fest: Mädchen dürfen fast nie eine starke, eine Nicht-Opfer-Rolle spielen. Sie ahnt noch nicht, dass dies auch das Thema der Mutter ist.

Wieder hat die Düsseldorfer Dramaturgie einen Text aufgespürt, der den Nerv der Zeit trifft. Wie beim "Me Too"-Stück "Konsens" von Nina Raine stammt er von einer Engländerin. In "Linda" erzählt Penelope Skinner von einer 50-jährigen Businessfrau, die in ihrer Kosmetikfirma zur "Senior-Brand-Managerin" aufgestiegen ist, Preise gewonnen hat und nun erleben muss, wie ihre Marke "True Beauty" abgelöst und durch ein Produkt ersetzt wird, das sich nur an junge Frauen richtet. "Man muss nicht fünfzig sein, um sich Sorgen übers Älterwerden zu machen", meint Amy, neu im Betrieb und natürlich, da jung und attraktiv, sogleich Favoritin des Chefs. "Wahre Schönheit" ist nicht mehr gefragt, Hauptsache, viele Junge fürchten das Altern und kaufen in rauen Mengen die entsprechende Creme.

Bravourös, wie Claudia Hübbecker diese Linda spielt, in einer atemberaubenden Tour de Force aus Leidenschaft, Stolz, Empörung und Zorn. "True Beauty" ist der Kern ihrer Existenz, auch wenn sie ihre Familie liebt und umsorgt - zumindest bis zu dem Zeitpunkt, da ihr Mann Neil (Thiemo Schwarz) anfängt, fremdzugehen. Tochter Alice, ihr Sorgenkind (Lea Ruckpaul), hüllt sich in ein Stinktierkostüm. Es gelingt ihr nicht mehr, die Welt positiv zu sehen, seitdem sie vor zehn Jahren an der Schule einer Rufmordkampagne zum Opfer fiel. Die Kampagne hatte etwas mit Sex zu tun, daher macht Alice sich unsichtbar, vor allem für Männer. Lebenslänglich, so ihr Vorsatz.

Marius von Mayenburgs Inszenierung riskiert viel. Auf klinisch weißer Bühne (Stéphane Laimé), nur mit einem Rednerpult bestückt, bleiben die Spieler quasi mit der Wucht der Emotionen allein. Es funktioniert, und zwar am besten in den Szenen, in denen diese Wucht ungefiltert aus ihnen hervorbricht. Skinner erzählt Lindas Tragödie, ihren Absturz fast in den Wahn, mit grimmigem Humor. Den Begriff Power-Point-Präsentation lädt Linda mit ganz neuer Bedeutung auf: Es handelt sich um eine Female-Power-Präsentation, bei der Linda, in die Defensive gedrängt, kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, bis hin zur glossenartigen Abhandlung über das sexuelle Prestige einer Frau von fünfzig Jahren.

Alle sind entsetzt oder tun zumindest so: Dave, der Chef (Wolfgang Michalek), sowieso, aber auch die schnöde Rivalin Amy (Hanna Werth spielt die undankbare Rolle erstaunlich souverän), selbst der junge Luke (Chris Eckert), ein Esoteriker, der Gegenpol zu Alice: Er sieht die Welt grundsätzlich positiv, sogar derart, dass es ihm gelingt, die verzweifelte Linda zu verführen. Das wird ihr erst recht zum Verhängnis. Neil, Dave, Luke - die Männer haben hier alle nur vier Buchstaben, aber das muss man Penelope Skinner nachsehen.

Ob am Schluss nicht zumindest ein Gran Optimismus gutgetan hätte? Skinner hat sich für die Tragödie, für unbedingten Pessimismus entschieden, Lindas Absturz ist unaufhaltsam. Und Bridget, die angehende Schauspielerin? Sie wird eine Männerrolle vorsprechen, erst hat sie ein Weilchen mit Willy Loman aus Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" kokettiert, dann läuft es auf King Lear zu, keineswegs auf Ophelia. Lear wird am Ende wahnsinnig, aber, so die kluge Überlegung, mit viel mehr Text.

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