Süddeutsche Zeitung

Theaterpremiere:Pandämonium

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Stefanie Sargnagels Rauschstück "Am Wiesnrand" funktioniert als herrlich überdrehte Textrevue am Münchner Volkstheater.

Von Egbert Tholl

Im vergangenen Jahr besuchte Stefanie Sargnagel, 1986 geborene Wienerin, das Oktoberfest. Das Münchner Volkstheater schickte die gewitzte Verfasserin von Statusmeldungen des erweiterten Alltags in den kollektiven Rausch, damit sie mit einem Text zurückkäme, den nun Christina Tscharyiski auf die Bühne brachte. Nicht ganz zur passenden Jahreszeit, aber das Stück heißt "Am Wiesnrand", und wenn nicht gerade Wiesn ist (also das Oktoberfest), dann ist man den Rest des Jahres eben am Rand davon, wobei Sargnagels Titel eher geografisch gemeint ist: Der Wiesnrand ist der sanfte Hügel unterhalb der Riesenstatue der Bavaria, auf den sich die Besoffenen zurückziehen, um zu schlafen, sich zu übergeben oder Versuche sexueller Handlungen an berauschten Körpern zu unternehmen.

Sargnagels Text ist ein stellenweise brillant überhöhter, aber nie überlegen distanzierter Erlebnisbericht in Ich-Form, den Tscharyiski auf drei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler verteilt, die mal chorisch sprechen, mal die Erzählung Satz für Satz weitergeben, mal für sich kleine Geschichten ausformen. Stets mit stupender Rasanz, die bestens hilft, über manch plumpe Passage hinwegzutragen. Die Akteure hat Svenja Gassen wie große Flöhe angezogen, die fröhlich auf einer großen Bierwampe herumhüpfen, mit der Sarah Sassen die Bühne anfüllt. Im Nabel kann man verschwinden, an ein paar ekligen Härchen herumzupfen. Daneben stehen die Musikanten der Band Euroteuro, die, falls sie in Wien Kult sind, dies hier gut verstecken - ihren Derivaten von Wiesnmusik fehlt deutlich der Rausch. Allein wenn einmal der Bassist Florian Seyser die von jedem Charisma befreite Sängerin Katharina Seyser-Trenk am Mikrofon ablöst, kriegt das Ganze eine schöne Post-Falco-Kontur.

Das Wichtige ist eh der Text. Für Wiesnkenner hat das meiste einen hohen Wiedererkennungswert, die Beobachtungen von Schlägerein, Polizeiübergriffen, Geilheiten. Sargnagel betrachtet das sehr liebevoll, denkt sich eigene, erbarmungswürdige Sexerlebnisse aus - "er rammelt mich behutsam wie ein Igel, dann wird er bewusstlos". Und immer wieder kriegt sie die Steilkurve in einen herrlichen Irrsinn. Dann beißt etwa eine Besoffene im Hungerrausch dem Träger eines Plüschtierhähnchenhuts den halben Kopf ab, was dessen Akzeptanz in der Gruppe nicht beschädigt. Die Wiesn ist das Pandämonium, das alle eint, die "Erholung vom anstrengenden Individualismus eines neoliberalen Wertechaos". Das ist nicht neu, aber gut gesagt, und am Ende landen die Bierleichen in einer großen Grube, auf die man Kalk schüttet. Da wird es kurz sehr krass, bedrohlich, tut dem Gelächter aber keinen Abbruch.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2020
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