Theaterfestival:Wut und Wundersames

And On The Thousandth Night | Forced Entertainment © Hugo Glendinning

Am Ende bleiben von Spielart leere Theaterstühle, hier die königlichen Überreste von "And On The Thousandth Night" von Forced Entertainment.

(Foto: Hugo Glendinning)

Zum Abschluss von "Spielart" wird sein Gründer Tilmann Broszat verabschiedet, Forced Entertainment bedanken sich für alles, und die Zukunft bleibt rosig

Von Egbert Tholl

1995 gründete Tilmann Broszat das Münchner "Spielart"-Festival in der vorbildlichen Partnerschaft von Stadt und einem Münchner Autobauer. Über all die Jahre bis jetzt hat er es geleitet, lange Zeit mit Gottfried Hattinger zusammen, dann holte er immer stärker Sophie Becker hinzu, an die er nun das Festival und dessen Programmauswahl übergeben hat. Zum Abschied Broszats am letzten Festivaltag schickten Künstler Videobotschaften, einer sprach live. Tim Etchells, Leiter der Gruppe Forced Entertainment. Die waren zum ersten Mal 1997 bei "Spielart" gewesen und dann immer wieder, zeigten in diesem Jahr drei ihrer schönsten Arbeiten, die zusammen 18 Stunden dauerten.

Zum einen ist es ein ganz selten zu erlebendes Faszinosum, eine Produktion der freien Szene nach 20 Jahren wiedersehen zu können, zum anderen sind die wunderbar lakonischen Geschichten- und Geschichten-von-Entrüstungen-Erzählabende einfach nur wundervoll, ebenso wundervoll wie das zeitlose Altern der in ihnen agierenden Akteure. Und schließlich: Tim Etchells, längst weltberühmte Instanz der Performance-Szene, macht in seiner Rede keinen Hehl daraus, dass er "Spielart" und damit Tilman Broszat viel zu verdanken habe. Tatsächlich trug das Festival viel zur Karriere von Forced Entertainment bei, und die drei Arbeiten bei dieser Ausgabe waren ein Abschiedsgeschenk.

Dem Besuch der letzten der drei Abende, "And On The Thousandth Night", steht allerdings ein bisschen "New Frequencies", das Nachwuchsfestival im Festival im Weg. Das konnte man durchaus als eine nochmalige Verdichtung der Themen und ästhetischen Ansätze, die ohnehin bei "Spielart" verhandelt wurden, begreifen. Manches hätte genauso gut im Normalprogramm laufen können, manches hätte man vielleicht auch gar nicht gebraucht, manches bleibt irre lang haften. Wie etwa die maßlose, aus Verzweiflung bis zur Selbstverletzung reichende Wut von Rodrigo Batista auf die Missstände in seiner Heimat Brasilien, auf politische Morde und zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Oder die Einladung von Samara Hersch ("Body of Knowledge"), in großer Intimität mit 18-Jährigen am Telefon über private Dinge zu sprechen und gleichzeitig den Mitzuschauenden (oder besser: Mitagierenden) sehr nahe zu kommen.

Bei aller Berichterstattung über "Spielart" bleibt das Problem, dass man den Eindruck von etwa 40 gesehenen, völlig unterschiedlichen Aufführungen, Installationen, Vorgängen kaum adäquat wiedergeben kann. Das macht aber nichts, denn das Glück dieses Festivals trägt jeder auf seine eigene Art für sich mit nach Hause. Persönlich liegt die Quote bei etwa einem Viertel, das man nicht vermissen würde, hätte man es nicht gesehen. Drei Viertel waren anregend, aufregend, belastend, lustig, schön. Das ist sensationell für ein Festival dieser Größe. Man kann sich sicher sein, dass man gerade aus dem "New Frequencies"-Programm Künstler in den kommenden Ausgaben wiedersehen wird. Vielleicht entstehen daraus dann ähnliche Erfolgsgeschichten wie die von Forced Entertainment. Auf jeden Fall ist man nach 16 Tagen "Spielart" wieder zwei Jahre gewappnet für alles, was einem auf einer Bühne begegnen kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: