Theater:Xenophober Durchschnitt

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Der Frührentner mag keine Flüchtlinge, aber seine Frau nimmt einen auf: Ein Integrationsdrama in Wien.

Von Christine Dössel

Gustl kann es nicht fassen: Da passt man kurz mal nicht auf, schon steht ein Ausländer im Zimmer. Samir heißt der junge Mann, der verschreckt wie ein verirrtes Tier vor ihm steht, ein Flüchtling aus Syrien. "Sag ihm, er soll verschwinden. Aber subito", herrscht Gustl seine Lebensgefährtin Herta an, die den Fremden als Erste entdeckt hat. "Ich kann so was in meiner Wohnung nicht brauchen." Woraufhin sich gleich mal ein handfester Beziehungskrach entspinnt, an dessen Ende Herta forsch bestimmt: "Der bleibt!"

Samir bleibt also und erlebt im Folgenden sein ganz persönliches Integrationsdrama, das weniger ein Flüchtlings- als ein österreichisches Befindlichkeitsdrama ist, ein Märchen auch, vor allem aber: ein Volksstück. Als solches bezeichnet der österreichische Autor Peter Turrini sein Schauspiel "Fremdenzimmer", das Herbert Föttinger am Wiener Theater in der Josefstadt uraufgeführt hat. Föttinger, Intendant des Hauses, ist Turrini seit Jahren als Regisseur verbunden, hat von ihm Dramen wie "Mein Nestroy" (2006), "Jedem das Seine" (2010) oder "Aus Liebe" (2013) inszeniert, volksnahe, tragikomische, gesellschaftskritische Turrini-Stücke von der Verliererseite des Lebens. "Fremdenzimmer" bildet am Josefstadt-Theater den Auftakt zu einer "Dilogie zum Thema Flucht". Für den zweiten Teil hat Föttinger in der kommenden Spielzeit mit Daniel Kehlmann ein Stück vereinbart.

Das titelgebende Fremdenzimmer ist in der Wohnung des Frührentnerpaares Gustl (Erwin Steinhauer) und Herta (Ulli Maier) ein leer stehendes Kabinett, jederzeit bezugsbereit - für den Fall, dass Hertas verlorener Sohn eines Tages zurückkehrt. Seit 30 Jahren ist er "abgängig", aber Herta hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Statt des eigenen Kindes steht da nun plötzlich Samir, der Flüchtling aus Aleppo, abgehauen aus dem Betreuungsheim. Er ist verängstigt, spricht kaum ein Wort Deutsch und hat in dem Stück auch nur ganz wenig Text (gespielt wird er von dem in Österreich inzwischen als Asylberechtigter anerkannten Syrer Tamim Fattal). Dass Samir mehr eine Schimäre bleibt denn zur plastischen Figur wird, ist von Turrini bewusst so angelegt, dient dieser Prototyp eines "Flüchtlings" doch als Projektionsfläche und Katalysator für all die verdrängten Ängste und Sorgen, die sein Erscheinen bei Gustl und Herta hervorruft.

Wie reagieren, wenn das Fremde in den heimischen Mikrokosmos einbricht? Turrini zeichnet Gustl, den aus dem Job geflogenen Briefträger, als xenophoben Durchschnittsgrantler, der zwar als alter Sozi beschrieben wird, aber ausländerfeindlich daherredet wie ein FPÖ-Wähler. Er fühlt sich abgehängt, fürchtet Muslime als "Hormonbomber" und Krankheitsüberträger: "Ihr steckt's uns an und wir sterben aus." Dass Gustls Blutdruck Höchstwerte aufweist, ist schon ein Zeichen des Untergangs. Erwin Steinhauer, in Österreich ein Publikumsliebling, spielt diesen kleinen Frustpostler mit dickbauchiger Heimwerkertrotzigkeit, hinter der bald die eigene Verlorenheit und ein weiches Herz zum Vorschein kommen. Denn natürlich kommt in diesem dialogsicheren Stück, das dem österreichischen Alltagsrassismus erst mal unverhohlen aufs Schandmaul schaut und daraus Witzfunken schlägt, letztlich Turrinis Humanismus zum Tragen - stellenweise auch ein Hang zum Sentimentalen.

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Herbert Föttinger inszeniert das Ganze nicht etwa in einem biederen Wohnzimmer, sondern auf einer abstrakten, bis hin zur Brandmauer offenen Bühne mit Neonlichtrahmung (Walter Vogelwieder), mit Standmikrofonen statt Möbeln, mit kurzen Blacks zwischen den Szenen - und überhaupt mit dem Gestus: Weg mit der falschen Gemütlichkeit! Hier ist keiner heimisch, jeder ein Flüchtling. Ulli Maiers resolute Herta flüchtet sich zum Beispiel regelmäßig in Abba-Songs. Und am Ende hebt das Stück buchstäblich ab: Da träumt sich der Hobbypilot Gustl samt Frau und familiärem Neuzugang in einer imaginären Cessna einfach weg aus der Realität, auf und davon. Und im Publikum fliegen ihnen die Herzen zu.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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