Süddeutsche Zeitung

Nibelungen-Festspiele Worms:Verschwesterung statt Zickenkrieg

Lesezeit: 4 Min.

Ferdinand Schmalz erzählt in seiner "hildensaga" den Nibelungenstoff aus Frauenperspektive. Das ist Freilichttheater vom Feinsten.

Von Christine Dössel

Wie immer enden die Nibelungen-Festspiele in Worms in einem Blutbad. Aber noch nie wurde das so wörtlich umgesetzt wie in diesem Jahr, dem zwanzigsten seit ihrer Gründung, dem achten unter der Intendanz des Filmproduzenten und Ufa-Chefs Nico Hofmann. Vor dem Nordportal des am Ende blutrot angestrahlten Kaiserdoms, der mächtig und ungerührt prächtig in den Mitternachtshimmel ragt wie ein Fels in der Brandung, gehen diesmal tatsächlich alle baden - und das schon von Anfang an.

Für die Uraufführung des Stücks "hildensaga. ein königinnendrama" von Ferdinand Schmalz (der die Angewohnheit hat, alles kleinzuschreiben) hat der Bühnenbildner Palle Steen Christensen den Schauplatz vor dem altehrwürdigen Gemäuer imposant geflutet: Ein riesiges Wasserbassin ersetzt die Bretter, die die Nibelungenwelt bedeuten. Das Ensemble muss den Abend schwimmend, watend und plantschend bewältigen, bewegt sich fast unentwegt im blubbernden (auf bis zu 30 Grad erwärmten) Nass. Die Schauspieler tauchen darin auf und ab, einige tauchen sogar ganze Strecken durchs metertiefe Becken. Sie machen das nicht nur sehr gut, sie sehen dabei auch sehr gut aus, was durch live gefilmte, lebensgroße Videobilder in Hochglanzoptik (Clemens Walter) noch hervorgehoben wird. Mit anderen Worten: Ästhetisch-athletisch-erotisch macht die Inszenierung ganz schön was her. Aber auch spiel- und erzähltechnisch bietet sie Freilichttheater vom Feinsten.

"Hildensaga" goes "Waterworld". Dass das Regiekonzept von Roger Vontobel bei allem Schauwert den Inhalt des neuen Nibelungen-Stücks nicht verwässert, ist ihm hoch anzurechnen. Der Schweizer Regisseur und Intendant hat 2018 in Worms bereits "Siegfrieds Erben", die damalige Nibelungen-Fortschreibung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, überaus effekt- und actionreich in Szene gesetzt. Diesmal ist seine Inszenierung sehr viel intimer, eleganter, schauspielfokussierter. Weniger theaterdonnernd. Das kommt der Sache ebenso zugute wie der Cast aus hervorragenden Theaterleuten, etwa vom Wiener Burgtheater, vom Schauspielhaus Bochum, von der Schaubühne Berlin. Kein Star- und Promitheater also diesmal in Worms. (Der Kollege von der Bunten zeigte sich vorab schon ganz enttäuscht.) Stattdessen ein exzellentes Ensemblespiel.

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe im nicht weit entfernten Ahrtal erweckt die nasse Wormser Bühne gerade an diesem Ort eine basale Untergangsstimmung. Sie fördert und bedient aber auch andere stückdienliche Assoziationen, vom Eismeer der isländischen Heimat Brünhilds bis hin zum Wechselbad der Gefühle, durch das der Autor seine auf wenige Kernfiguren reduzierten Protagonisten hetzt. Am Hof der Burgunder gibt das Becken eine schöne Kulisse für eine sommerliche Poolparty mit Badeschlappen, Luftmatratzen und Gummidrachen ab, und wenn das Stück zur finalen Schlacht in den Wald führt, bekommt die Szenerie die Anmutung einer sumpfigen Moor- und Flusslandschaft. Treiben am Anfang Totenschädel durchs Wasser, sind es am Ende Leichen. Wie die Schauspielerinnen und Schauspieler hier kämpfen und sterben, ist wassersportlich und aquachoreografisch eine reife Leistung. Die Proben müssen ein echter Kraftakt gewesen sein. Einige aus dem Ensemble haben eigens Tauchkurse absolviert. Erstaunlich auch, wie das mit den Mikroports unter Wasser so gut hinhaut.

Brünhild ist eine Wassernixenamazone mit tiefem Hass auf das "Drecks-Burgund"

Der Österreicher Ferdinand Schmalz ist ein gewitzter Sprachhandwerker, der in seiner geschmeidig zeitgemäßen Version des Nibelungenstoffes den hohen Ton poetisch-spielerisch mit Alltagssätzen mischt. Dabei nimmt er einen interessanten Perspektivwechsel vor. In seiner "hildensaga" sind Brünhild und Kriemhild, die beiden titelgebenden Hilden, die Heldinnen. Aus ihrer Sicht wird das Epos neu erzählt. Statt sich anzugiften und sich von den Männern gegeneinander ausspielen zu lassen - Stichwort: der berühmte Königinnenstreit vor dem Dom -, tun die beiden Frauen sich hier zusammen. Verschwesterung statt Zickenkrieg. Gemeinsam versuchen sie, der Geschichte einen neuen Twist zu geben, das Narrativ zu verändern, ihren aufgezwungenen Rollenbildern zu entkommen. Genija Rykova und Gina Haller haben da starke, berührende Szenen.

Rykova ist als reptilienhaft gefährliche Brünhild mit ihrem wachsenden Hass auf das "Drecks-Burgund" die eigentliche Antreiberin der Geschichte, eine mächtige Wassernixenamazone von beträchtlicher Sexyness. Das Stück beginnt damit, wie der Held Siegfried zum ersten Mal nach Isenland kommt, noch ohne die Burgunder, und sich zwischen ihm und der Walkürentochter eine Liebe anbahnt. Sie gäben ein schönes Paar ab, zumal der legendäre Drachentöter bei Felix Rech nicht nur äußerliche Reize hat, es umgibt ihn auch etwas Weiches, Wehes, an seiner Heldenrolle Leidendes. Doch aus der Paarung wird nichts, denn es funken jene drei Nornen dazwischen, die der Autor Schmalz zwecks schicksalsgöttlicher Überhöhung in seinen Text eingeflochten hat und sprachlich mit feinstofflicher Wortspielgeschicktheit die Fäden ziehen - und zwischendurch auch verlieren - lässt. Dem Trio, das in punkiger Aufmachung durch das Wasserbad stakst, entsprechen drei spiegelbildlich gewandete Saxofonistinnen. Drei weitere Livemusiker steuern, manchmal etwas dröhnend, Rockiges an Gitarre, Bass und Schlagwerk bei.

Das zweite Mal, wenn Siegfried nach Isenland kommt, tut er das im Gefolge der Burgunder (sehr lustig: deren Ankunft in Taucheranzügen). Er hilft ihnen mit den bekannt fiesen Tarnkappen-Tricks, Brünhild zu bezwingen und sie später zu vergewaltigen. Dass Franz Pätzolds König Gunter lieber geschlechterfluid wäre, sieht man schon seinen effeminierten Anzügen an, aber auch er kann nicht aus seiner Rolle. Da ist schon der Stratege Hagen vor (Heiko Raulin), der strenge Wächter über die Nibelungen(gesetzes)treue. Alle wissen von Brünhilds Vergewaltigung. Alle schweigen sie stumm. Selbst der vom Autor als übermächtiger Patriarch der Marke "alter weißer Mann" ins Geschehen eingeführte Göttervater Wotan (souverän: Werner Wölbern) springt seiner Tochter nicht bei, verfolgt er doch eigene Machterhaltungsziele. Es sind diese Mechanismen, die Gina Hallers Kriemhild die Augen öffnen ("Wie kaputt das alles ist!"). Sie wandelt sich vom mondänen Wormser Glamour-Girl zu Brünhilds feministischer Mitstreiterin.

Eigentlich wollen die Frauen einen Strukturwandel. Dass trotzdem wieder alles im Gemetzel endet - wenn auch in diesem Fall nicht am Hofe Etzels -, liegt in der Natur des Menschen, die geschlechtsunabhängig ist. Im Stück wird sie, wie einst schon von Thomas Hobbes, als wölfisch beschrieben. Was Ferdinand Schmalz mit elementaren Fragen herausarbeitet, ist die Dynamik einer Gewalt- und Kriegsspirale, die, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr zu stoppen ist. Gegenwartsbezüge zum Krieg in der Ukraine stellen sich an diesem Abend zuhauf und sehr bitter ein. Überhaupt unterliegt dieser "hildensaga" ein großes Unbehagen an unserer Zeit. Das Stück hat viel Potenzial. Schon Ende des Jahres wird es am Münchner Volkstheater nachgespielt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5622768
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.