Theater Wiesbaden:Stück zur Katastrophe

Ein episches Scheitern: Philipp Löhles gelingt nur ein lustloser "Kollaps" am Staatstheater.

Von Jürgen Berger

Er ist bereits dort angekommen, wo andere hinwollen. Philipp Löhle ist der erfolgreichste "Thirtysomething" der dramatischen Autoren - und mit seinem sarkastischen Understatement ein Liebling der Theater. Und dann gibt es noch Jan Philipp Gloger, einen Regisseur, der seit der Uraufführung der Globalisierungsparabel "Das Ding" 2011 am Hamburger Schauspielhaus an Löhles Seite steht.

Gloger inszeniert auch im Musiktheater. Er hat sowohl das Studium der angewandten Theaterwissenschaften in Gießen als auch die Bayreuther Feuertaufe mit Richard Wagners "Der fliegende Holländer" unbeschadet überstanden. Was also sollte da schiefgehen, so meinte man, als jetzt am Wiesbadener Staatstheater Philipp Löhles "Kollaps" zur Uraufführung anstand? Trainiert haben die beiden ja zuletzt auf der anderen Rheinseite, wo sie sich fest an das Mainzer Staatstheater gebunden hatten. Als zu Beginn dieser Spielzeit in Mainz und Wiesbaden neue Intendanten antraten, wechselte auch das Duo. Inzwischen arbeiten sie also nicht mehr in der rheinland-pfälzischen, sondern der hessischen Landeshauptstadt.

Das Internet ist ausgefallen, dann bleibt der Strom weg, Wasser gibt es keines mehr

Zum Auftakt gab es die Uraufführung eines Auftragswerks, in dem es um ein Weltuntergangs-Szenario und die Annahme geht, der Mensch werde in so einer Situation zum marodierenden Wolf unter Wölfen. Das Internet ist ausgefallen, dann bleibt auch der Strom weg, Wasser gibt es sowieso keines mehr, und in der Luft soll Gift gemessen worden sein. Am Ende muss die Katastrophe aber doch noch einmal warten.

Löhle wäre nicht Löhle, garnierte er das pseudoapokalyptische Szenario nicht mit einem serientauglichen Figuren-Quintett. Sophie und Marco haben zwei Kinder - und sich anscheinend auch immer noch lieb. Was Marco nicht weiß: Seine Gattin hat was mit Ronny, der von seinem Vater ein Badezimmerarmaturen-Unternehmen geerbt hat und in einem Bewerbungsgespräch Verena kennenlernt. Die spricht nicht nur diverse Sprachen, sondern kann auch mit einer steilen Marketing-Karriere aufwarten.

Aber auch in diesem Fall stellt sich heraus: War alles nur heiße Luft. Verena hat gerade ihr Studium abgeschlossen und weiß bislang nur, sich selbst ganz gut zu vermarkten. Bliebe noch Sven, ein arbeitsloser Industriemechaniker, der im Stadtpark Müll sammelt. Marco, der in der örtlichen Arbeitsagentur arbeitet, soll ihn als Wachmann in Ronnys Unternehmen vermitteln. Sven will aber nicht, und dann kommt sowieso die Katastrophe. Hört sich gut an, ist es aber nicht.

Nach dem Wiedereintritt ins normale Leben parlieren sie ihre Scham weg

Philipp Löhles Katastrophenphobikern fehlt alles, was ein vermeintlicher Weltuntergang bei ihnen freisetzen müsste: Hormonschübe zum Beispiel, die dafür verantwortlich wären, dass sie sogar töten würden, um sich und den Nachwuchs zu retten. Sophie und Marco zum Beispiel sperren ihre Kinder während des vermeintlichen Weltuntergangs einfach weg - und kümmern sich nonchalant um sich selbst.

Nach dem Wiedereintritt ins normale Leben parlieren sie ihre Scham angesichts des Zivilisationsbruchs so lässig weg, als unterhielten sie sich über die Einkaufsliste für's nächste Wochenende. Man versteht, dass Löhle das Ungeheuerliche in der biederen Normalität aufspüren wollte. Herausgekommen ist ein Text über Mittelstandsmenschen, der lustlos mit Klischees spielt.

Jan Philipp Glogers Inszenierung und die durchweg sehr guten Wiesbadener Schauspieler (Judith Bohle, Barbara Dussler, Stefan Graf, Janning Kahnert, Toomas Täht) können da so viel nicht richten. Sie haben alle Mühe, die Uraufführung einigermaßen lebendig zu gestalten. Davon ablenken, dass der Autor einen für seine Verhältnisse schwachen Text vorgelegt hat, können sie nicht. In knapp vier Wochen, wenn am Deutschen Theater in Berlin die nächste Uraufführung eines Löhle-Textes ansteht, kann das aber schon wieder ganz anders aussehen.

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