Theater:War die Besetzung der Berliner Volksbühne richtig?

Volksbühne bleibt besetzt

Das Gebäude der Volksbühne spiegelt sich in einem beschmierten Spiegel.

(Foto: dpa)

Für die einen war die Übernahme des Theaters eine Notwendigkeit, für die anderen eine Anmaßung. Ein Pro und Contra.

Von Andrian Kreye und Christine Dössel

Pro: Die Aktion war notwendig!

Die Besetzung der Volksbühne war die richtige Aktion am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt. Die Linie zwischen einer internationalen Gastspielkultur und Wohnraumnot ist sehr viel direkter, als man glauben möchte. Und Berlin hat längst den Weg von Metropolen wie München, London und New York eingeschlagen, die sich einem Strukturwandel beugen, der kommunale Haushaltspläne auf Kosten der Bevölkerung glänzen lässt.

In diesem Wandlungsprozess fungieren zunächst lokale Künstler und Bohemiens als unfreiwillige Pioniere, die Neuland für die Immobilienindustrie erobern. Jeder Club, jede Galerie, jedes freie Theater wertet ein strukturschwaches Viertel auf. Junge Künstler und Bohemiens werden ungewollt zu wandelnden Werbeflächen für attraktive Wohngebiete. Wenn die Entwicklung dann ihren Lauf genommen hat, müssen auch sie weiterziehen. Was bleibt, sind oft leere Stadthüllen wie Manhattan oder die Münchner Innenstadt, die mit Gastspielen und Institutionen von Weltrang glänzen, aber kein echtes Stadtleben mehr haben.

Der Städteplaner und geistige Vater der Gentrifizierung, Richard Florida, nannte diese Vor- und Nachhut dieses Strukturwandels die "kreative Klasse". Die internationale Gastspielkultur ist in dieser Entwicklung schon der nächste Schritt, soll sie doch Touristen und globale Talente anziehen. Und dafür steht die neue Volksbühne. Chris Dercon hat bisher viel getan, um die Vorurteile gegen ihn zu bestätigen. Er hat das Programm der Volksbühne in erster Linie mit internatonalen Regie-Stars und Gastspielen besetzt. Er hat (noch) kein Ensemble. Er gab sich im Dialog mit der Öffentlichkeit ungeschickt. Und bei der Aktion am Donnerstag lieferte er dann Meldungen und Bilder, die diese Vorurteile noch festigten. Es waren eben Bilder von Chris Dercon bei der Lagebesprechung mit der Polizei, die durchs Netz gingen und nicht beim Dialog mit den Besetzern (den es ja durchaus gab). Oder die Meldung, dass er am Tag der Räumung die Presse des Hauses verwies.

Auch die Besetzer waren keine politischen Profis. Doch Occupy-Bewegungen kranken oft an planloser Kommunikation, unscharfem Profil und einem Mangel an Köpfen. Das ändert nichts an ihrer Bedeutung für den zivilen Widerstand. Aus den diffusen Aktionen der letzten beiden Jahrzehnte entwickelten sich oft konkrete Ziele und politische Kräfte.

Die Berliner Aktivisten haben mit dem Besetzen des Ortes eines Kulturstreits nun mehr erreicht, als wenn sie eine Bauträgerimmobilie gestürmt hätten. Das Theater ist eine gesellschaftliche Kraft und nicht nur ein Symbol für Kapitalismus. So bekommt die diffuse Gentrifizierungsdebatte eine neue Ebene. Es ist nun an der Politik, sie weiterzuführen.

Andrian Kreye

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