Theater:Vom Widerstand, den auch ein Neunjähriger leisten kann

Der Aufsatz

Hand auf's Herz - manchmal ist es besser, nicht ganz die Wahrheit zu sagen. Zum Beispiel wenn man als Vater (Peter Wolter) gegen einen Diktator kämpft.

(Foto: Digipott)

George Podt widmet sich in seiner wohl letzten Inszenierung als Intendant der Schauburg einem Roman von Antonio Skármeta

Von Egbert Tholl

Diese feine Inszenierung, die wohl letzte von George Podt als Intendant an der Schauburg, zeigt noch einmal deutlich, wie sehr das Theater der Jugend unter seiner Leitung junge Menschen ernst nimmt, ihnen, ihren Fähigkeiten und ihrem Denken vertraut. Und ihre Phantasie anregt. Schon die Vorlage huldigt dem, der Roman "Der Aufsatz" von Antonio Skármeta. Skármeta wurde in Chile geboren, musste als Anhänger von Salvador Allende das Land nach Pinochets Militärputsch verlassen, lebte lange in Berlin, kehrte 1989 nach Chile zurück, wurde später chilenischer Botschafter in Deutschland und hat unter anderem den Roman geschrieben, der als Verfilmung unter dem Titel "Il Postino" weltberühmt wurde.

"Der Aufsatz" ist eine kleine Geschichte. Aber sie ist mächtig, erzählt mit der präzisen Kraft der Poesie von der Diktatur, von allen Diktaturen, nicht nur der in Chile. Und vom Widerstand gegen diese, einem Widerstand, den auch ein Neunjähriger leisten kann. Am liebsten spielt Pedro Fußball, auf der Straße, am liebsten auf der, die von großen Bäumen gesäumt ist, so dass man glaubt, man spiele unter einem Dach aus Blättern. Seit einiger Zeit sind die Straßen voller Soldaten, das fällt Pedro auf, ebenso dass der Vater sich nach dem Abendessen immer vors Radio setzt. Manchmal nicht allein, da kommen Freunde und Nachbarn, der Vater zieht die Antenne von dem kleinen, grünen Apparat ganz weit aus und alle um ihn "sperren die Ohren auf und rauchen wie die Schlote".

Dann wird eines Tages der Vater vom Dicken während des Fußballspielens von Soldaten abgeholt. Nun muss der Dicke, Pedros bester Freund, sich um den Gemüseladen kümmern, und er und Pedro diskutieren darüber, was denn dieser seltsame Satz bedeute, jemand sei gegen die Diktatur. "Papa, bist du auch gegen die Diktatur", fragt Pedro. Ja. Am nächsten Tag kommt ein Mensch in Uniform in die Schule, gibt den Kindern den Auftrag, einen Aufsatz zu schreiben, was ihre Eltern zu Hause täten, worüber sie, Nachbarn und Freunde sprächen und verspricht eine Belohnung für die beste Arbeit.

In der Schauburg erzählt Peter Wolter die Geschichte auf sanfte und schöne Weise. Um ihn herum Leinwände und drei Menschen hinter bürokratischen Schaltern. Einer von ihnen, Moritz Schleissing, filmt sehr einfühlsam und spielerisch die Illustrationen ab, mit denen Jacky Gleich die Buchausgabe von "Der Aufsatz" veredelte, Bilder, die von Kinderleben und Familie, von Glück und Angst künden. Die anderen beiden, Greulix Schrank und Taison Heiß, machen Geräusche, erfinden den Klang von Pedros Welt, ein Live-Hörspiel, in das das Radio hineindringt. Aus diesem hört man einen Fußballkommentator oder auch Allendes letzte Rede.

Pedro erzählt den Eltern von dem Aufsatz, die werden bleich. Hat sie der Sohn denunziert, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen? Pedro ist neun Jahre alt. Und klug. Im Aufsatz schrieb er, seine Eltern spielten jeden Abend Schach. Der Vater beschließt, ein Schachspiel zu kaufen.

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