Vor den Augen des demi-interessierten Publikums im Café Le Nemours in Paris steigt ein großer Mann von einem winzigen Fahrrad mit weit herausgezogener Sattelstange und klappt das Hinterrad nach vorne, sodass es als Ständer fungiert. Würden die Touristinnen auf der Terrasse ihre Smartphones beiseitelegen, sich nach vorne lehnen und nach links sehen, würden sie ein Stück vom Louvre erhaschen. Rechts im Bild befindet sich die Comédie-Française, das von Säulen gesäumte Heiligtum des französischen Sprechtheaters, das man sich formeller und klassischer vorzustellen hat als das deutsche, in dem ja eigentlich alles geht, Hauptsache, es steht so nicht im Stück. Der Mann setzt sich, bestellt einen Espresso und bespricht mit einem aus dem Nichts herbeigeeilten jungen Assistenten Organisatorisches, in der angemieteten Wohnung fehlt ein Tisch, könnte sie eventuell grundgereinigt werden, dies, das. Sein Französisch ist fließend, mit deutschem Akzent. Der Assistent verschwindet wieder, der Mann lässt Münzen auf dem Tisch und geht zu seinem Fahrrad, das er nun mit wenigen Handgriffen zu einem kleinen Rechteck zusammenfaltet und wie eine Einkaufstüte über den Platz trägt, ohne jede Eile, bis zum Theater, welches er durch eine Seitentür betritt.
Theater:Unser Mann in Paris
Thomas Ostermeier inszeniert zum ersten Mal an der legendären Comédie-Française. Über einen besonderen Regisseur und die Liebe der Franzosen zum deutschen Theater.
Von Johanna Adorján
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