Theater:Unser Bild im Lichtkasten

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Genuss macht viel Arbeit: Im Schauspielhaus Düsseldorf inszeniert Jan Philipp Gloger Elfriede Jelineks neues Stück über Mode als luftige Sarabande.

Von Egbert Tholl

Wald, Dunkel. Nichts sieht man. Doch da, eine Taschenlampe, dort noch eine. Oder ist es das Licht von einem Handy, einem Selfie im kleinen Lichtkästchen? Man hört Frauenstimmen, die gar nicht nach Herumstochern im stockfinsteren Wald klingen. Nein, die sagen Sachen wie: "Wir haben ein Gesetz, und das heißt Orgie. Wir haben ein Gesetz, und nach dem heißt es Genuss, obwohl das manchmal viel Arbeit macht." Einfach nur glücklich zu sein, in der Natur etwa, sieht dieses Gesetz nicht vor. Es ist eher ein Gesetz der Naturvernichtung. Dann tritt aus dem von Botanik umsäumten Dunkel eine elegante Dame ins Licht, Claudia Hübbecker, und fragt das Publikum, ob es diesem sagen soll, wie es aussehe. Denn es geht um Mode, da schaut man nicht einfach eine Theateraufführung an, da schaut man selber auch aus.

Fürs Düsseldorfer Schauspielhaus hat Elfriede Jelinek ein Stück über Mode geschrieben, es heißt "Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)". Das wirkt rätselhaft genug, ist aber sehr konkret: Mit Kasten sind die Reklameleuchtkästen in den Innenstädten gemeint, und wenn in denen das Licht an ist, dann scheint es vielleicht hindurch durch eine Fotografie von Gisele Bündchen, die einen Bikini von H & M trägt. Um so einen Bikini geht es hier wiederholt. Beziehungsweise um die Tatsache, dass man, wenn man einen solchen Bikini trägt, noch längst nicht so aussieht wie Gisele Bündchen, auch wenn Hunderte von Frauen, die einen solchen Bikini tragen, in diesem Punkt vielleicht anderer Meinung sind.

Düsseldorf und Mode, das passt gut, auch wenn dort, wo das Schauspielhaus derzeit hauptsächlich tätig ist, jeglicher Gedanke an schöne Kleidung eher verstiegen wirkt. Das Central, die Dauerausweichspielstätte des Hauses, liegt nämlich am Hauptbahnhof, hier gibt es von der Königsallee nicht einmal eine Ahnung, also keine Boutiquen, auch wenn die Schauspielerinnen ein paar Tüten von diesen mitgebracht haben und natürlich hochinteressant und vielfältig gekleidet sind (Kostüme: Esther Bialas). Dabei sehen sie mitunter aus wie Jelinek selbst, was leicht und in Jelinek-Aufführungen beliebt ist, wegen der ikonenhaft gewordenen Art, wie die Nobelpreisträgerin ihr Haar gestaltet, und wegen der Art, wie sie sich kleidet. Respektive kleidete, denn sie geht ja kaum mehr aus dem Haus, ihr öffentliches Bild ist seit Jahren eingefroren.

Der Motor von Jelineks besten Texten ist der Hass, die Entrüstung

Nichtsdestoweniger kennt sich Jelinek mit Mode aus. Sie liebt sie, verehrte einst japanische Designer, mit denen sie nun im "Licht im Kasten" abrechnet wegen deren Verstiegenheit. Sie trug Chanel, als sie den Genossen von der Kommunistischen Partei Österreichs die Mitgliedschaft aufkündigte. Vor gut vier Jahren hat sie schon einmal ein Stück über Mode geschrieben, für die Münchner Kammerspiele und die Maximilianstraße, es hieß "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" und war als hochexklusives, geheim zu haltendes Geschenk zum 100. Geburtstag des Hauses deklariert. Schaut man nach, worum es dabei ging, findet man gleich mal den Satz: "Wir haben ein Gesetz, und das Gesetz heißt Orgie."

Jelineks Schreiben ist immer ein Fortspinnen wiederkehrender Gedanken. So können sich auch Irritationen wiederholen. Jenseits aller Denkschleifen ähneln sich die Münchner "Straße" und der Düsseldorfer "Lichtkasten" in einem Punkt: Der Motor ihrer besten Texte ist der Hass, die Entrüstung. Sie kann sich in "Licht im Kasten" entrüsten, über die lächerlichen Produktionskosten in Ländern der Dritten Welt, die Arbeitsbedingungen dort, die Toten in zusammenbrechenden Fabriken, die Pflanzengifte beim Baumwollanbau, die westliche Verschwendungssucht, die dafür sorgt, dass hier ein T-Shirt statistisch gesehen nur 1,4-mal getragen wird, Hauptsache billig und weg damit. Jelinek weiß das alles, weiß, dass wir es wissen, also schreibt sie es rein. Aber die Suada bleibt ohne Furor. Jelinek kann nicht gegen sich selbst schreiben, entdeckt stattdessen etwas anderes: Das Bild im Spiegel. 90 Seiten schreibt sie, als betrachte sie sich darin.

Auch wenn Heidegger und Kant herumspuken - sie gehören bei Jelinek zum Inventar: Der Text diskutiert Oberfläche, nichts anderes ist Mode, an der Oberfläche. Die Argumentation ist Mimesis des Gegenstands, eine heikle Gratwanderung, doch für Regisseur Jan Philipp Gloger ein gefundenes Fressen. Er inszeniert das als eine meist luftige Sarabande, als Tanz um die Umkleidekabine, die hier ein Bungalow, also Lebenswelt ist, umgeben vom Grün, durch das große Plüschtiere streifen, die sich über die Menschen wundern. Sechs Damen bewegen sich elegant durch den Text, Jungtalent Lou Strenger, singt auch verstiegen gut, und gerade Claudia Hübbecker und Tabea Bettin überzeugen mit wohldurchdachter Verschrobenheit. Gloger rückt den Text mit Geschick in die Nähe eines semi-intellektuellen Boulevards, lässt Kant im Gehrock und Heidegger in einem Chaplin-artigen Jägerkostüm auftreten, jedoch aus braunem Tweet. Kant: "An dem, wie man ausschauen will, wird hauptsächlich gemessen, wie man nicht ausschaut." Heidegger: "Rein der Mensch, also nicht, wie er denkt, sondern wie er gebaut ist, entscheidet allein."

Es geht im Kern um das Bild, das wir von uns gern hätten, das wir ersehnen, erkaufen, erkleiden. Für dieses Bild nehmen wir alles in Kauf. Wörtlich und sinngemäß. Am Ende sagt die etwa zehnjährige Tanja Vasiliadou, ein wahrhaft munteres Geschöpf: "Und jetzt können Sie es sich gegenseitig in den kleinen Lichtkästen zeigen, die sie immer bei sich tragen, und dort können Sie auch bestellen, und los, in den Warenkorb!"

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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