Süddeutsche Zeitung

Theater:Unglück in Miniatur

Lorenz Seib inszeniert im Tams die Uraufführung von Beate Faßnachts Stück "Der letzte Dreck" mit viel Spielwitz als gesellschaftspolitische Fabel

Von Petra Hallmayer

Auf der von einem Lamettavorhang umschlossenen Bühne schleppt ein dünner Lulatsch in pinkfarbenen Turnschuhen, auf dessen Kopf eine Faschingskrone mit angeklebten Fransenhaaren prangt, alte Matratzen herein und schichtet sie zum Thronsitz auf. Von Lachern und "Uiuiuiui"-Rufen vom Band begleitet versucht er in immer neuen Anläufen den wackeligen Turm zu erklimmen. "Ich bin der König Summserum. Sitz' meistens blöd im Weg herum", verkündet er, als er endlich obenauf thront.

Mit köstlichen Slapstickszenen beginnt im TamS Beate Faßnachts Stück "Der letzte Dreck", das dort Uraufführung hatte. Der Herrscher über das kleine Reich der Tiere und Pflanzen ist eine Lachnummer. Seine Untertanen entpuppen sich als wüster Haufen heillos verwirrter Kreaturen und böser Narren. Sie alle sind nur mit sich und ihren eigenen Begierden und Herzschmerzen beschäftigt. Summserum (herrlich komisch: Arno Friedrich) liebt Frau Marienkäfer (Irene Rovan), die kopf- und aussichtslos Herrn Löwenzahn (Axel Röhrle) liebt, einen dauerbesoffenen fickwütigen Rowdy, ein fieses Machogroßmaul, das sie grausam demütigt. Von keinem geliebt wird die rotzig-motzige Agatha Schneck (Marion Niederländer), die glaubt, dass die anderen sie um ihr Haus beneiden.

Sie könnten es so schön haben in ihrem Refugium mit Goldfischteich, doch sie machen sich selbst und einander grundlos unglücklich. Als ein berockter Wurm mit sich meterlang schlängelnder Schleppe auftaucht, finden sie in ihm ein gemeinsames Feindbild. Wechselweise verlangen sie seine Ausweisung und Hinrichtung. Der König will eine "wurmfreie Zone" schaffen und einen "Solidarbeitrag zur Vernichtung von Unkraut" erheben". Nur die Dame Gänseblümchen (Gabi Geist) besinnt sich zwischendurch und fordert ein friedliches Zusammenleben.

Faßnachts "Königsdrama", dessen Reime in Obszönitäten und Schimpfwortballungen wie "Dreckskackehurenscheiße" schwelgen, führt eine sprachlich krass verrohte, selbstzerstörerische und xenophobe Miniaturgesellschaft vor. Lorenz Seib hat das Stück mit viel Spielwitz inszeniert, das zwischen gesellschaftspolitischer Fabel und purer Lust am Unfug changiert. Mit kindlichem Übermut hüpft Summserum auf den Matratzen und jauchzt: "Hurra, juche, i bin der Kini! Ab morgen alle im Bikini!" Irgendwann aber kreist der Abend übertourig auf der Stelle, die eine oder andere Schleife des Textes hätte sich kappen lassen, den man sich stellenweise politisch noch etwas schärfer pointiert gewünscht hätte. Just als man ein klein wenig zu ermüden beginnt, beglückt einen die Inszenierung wieder mit fabelhaft albernen und lustig gemeinen Reimen und gewitzten Wendungen.

Derweil sich alle über die vermeintliche Bedrohung durch den wunderbar majestätisch stumm einherschreitenden Wurm (Helmut Dauner) echauffieren, lauert eine ganz andere Gefahr. Der Schrecken kommt am Ende als ein auf das Reich zumarschierendes Ameisenheer daher, vor dem sich die Bewohner angstschlotternd hinter den Matratzen verbarrikadieren.

Der letzte Dreck, nächste Termine: Do., 11. bis Sa., 13. April, 20.30 Uhr, TamS Theater, Haimhauserstr. 13 a

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Quelle:
SZ vom 11.04.2019
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