Theater:Unerzählte Geschichten

Die Serie "Münchner Schichten" geht weiter

Von Sabine Leucht

Episode eins oder "Schicht" eins, wenn man sich an die Terminologie des Veranstaltungstitels hält, fand im Rahmen des Festivals Politik im freien Theater in dem "hippen Zwischennutzungsprojekt" The Lovelace statt. Mit Helmut Dietls "Münchner Geschichten", die in den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren die Leute zur besten Vorabendsendezeit vor die Fernseher lockten, hatte jedoch allenfalls der Einstieg in den ersten Teil der Serie "Münchner Schichten" zu tun. Dort schickten Barbara te Kock (Text) und Annalena Maas (Regie) die Schauspieler Anastasia Papadopoulou, Martin Müller und Mira Mazumdar durch eine vollautomatisierte Castingshow. Jeder von ihnen wollte in einer Neuauflage der Kultserie der neue Tscharlie werden. Der ist natürlich möglichst genderverwirrt und multikulturell und ebenso in der Welt von Netflix und Selfie-Kult wie im Schuhplattlern und Chauvi-Gehabe zuhause - bis der Casting-Algorithmus alle drei ins München anno 2026 versetzt, wo Dirndlzwang und noch mehr Bürokratiewahnsinn als heute eine Massenflucht nach Berlin auslösen.

Das war so witzig, wie man es von te Kock gewohnt ist, aber leider auch recht harmlos. Im Doppelpack mit Amahl Khouris "Ich brauche meine Ruhe!" machte der Abend das Feld dessen, was und wie in einem Serienformat über das heutige München verhandelt werden kann, schön weit auf. Die sich selbst "trans mixed race" nennende Dokumentar-Dramatikerin und Theatermacherin aus Jordanien hat sich allerdings eher von Fassbinders kühl analysierendem "Angst essen Seele auf" inspirieren lassen als von Dietls menschenfreundlicher Satire und diskutierte nach einem verwirrenden Identität-versus-Repräsentation-Intro bald gemeinsam mit dem Publikum über die Situation queerer Geflüchteter in einer Stadt, in der Drehbücher "zu lesbisch" seien und Schauspielerinnen of colour gar nicht genug radebrechen können.

Wie sieht die Gesellschaft von morgen aus, wenn wir uns unsere Vorurteile immer nur selbst bestätigen? Wo sind die Geschichten, die (noch) nicht erzählt werden? Dies sind nur einige der Fragen, nach denen die Serienmacher aus der freien Szene den Münchner Boden durchpflügen. Acht vorwiegend junge Autoren schreiben acht Kurzstücke, die an vier Abenden an verschiedenen zwischen hipp und typisch changierenden Orten gezeigt werden. Am 25. Januar geht es in ein privates Treppenhaus, am 2. März in ein Fitnessstudio. Am Donnerstag laden Raphaela Bardutzky und Benno Heisel zu einer Doppelfolge zum Thema Arbeit in das Co-Working Space "Combinat 56" ein. Dort basteln sich Burchard Dabinnus, Ines Hollinger, Henriette Schmidt und Susanne Schröder unter der Regie des Falckenberg-Absolventen Kevin Barz in Heisels "Die große Freiheit" selbst den idealen Staat zusammen.

Das klingt - zumal in der Besetzung - alleine schon recht verlockend. Danach aber geht es nahtlos weiter mit einem Existenzgründungsversuch des Krampus, der es satt hat, immer nur das Anhängsel des Nikolaus' zu sein. "Existenzgründungs"-Autorin Bardutzky spricht von einem "Trümmerfeld", das entstand, als sie beim Schreiben "Münchner Reichtum und Prekariat auf bayerische Tradition und Katholizismus" prallen ließ. Ihr Stück, sagt sie, feiere eher die bayerisch-alpenländische Tradition als München, während Heisel - sich auf Dietl berufend - den Charakteren huldigen und die Strukturen der Stadt satirisch aufspießen will. Auch wer die "Münchner Geschichten" nicht kennt, dürfte dabei seinen Spaß haben.

Münchner Schichten, Do., 6. Dezember, 19 und 21.30 Uhr, Combinat 56, Adams-Lehmann-Str. 56

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