Süddeutsche Zeitung

Theater und Tanz:Andere Baustelle

Das Rodeo-Festival mit neuem Konzept

Von Sabine Leucht

Warum lange auf morgen warten? Packen wir's an! Etwas Ähnliches hat sich wohl das Kollektiv gedacht, das neuerdings das Münchner Freie-Szene-Festival Rodeo leitet. Karnik Gregorian, Bülent Kullukcu und Simone Egger sind die drei, wobei Egger zur Zeit in Mutterschutz ist und bei der Konzeptvorstellung nur als Privatperson anwesend war. Als solche - und ein wenig auch als die Stadtforscherin, die sie ist - erklärt sie, warum Rodeo 2020 "Baustelle Utopia" heißen wird: München, sagt sie, sei "mit so viel ökonomischem Kapital aufgeladen, dass wir fragen, was die Stadt sonst noch zulassen kann". Und ihre Baustellen sind ja ohnehin derzeit omnipräsent. Also schafft man eine neue und bepackt sie mit Utopien.

Das Programm steht natürlich noch nicht. Rodeo, das seit 2010 alle zwei Jahre im Herbst stattfindet, startet erst 2020. Diesmal allerdings schon am 1. Mai. Statt wie früher nur wenige Tage, soll es bis zum 1. November dauern. Der Etat jedenfalls wurde nicht derart erhöht. Kulturreferent Anton Biebl spricht von 190 000 plus einem "Raumkontingent" von um die 30 000 Euro. Davon ein halbes Jahr lang die ganze Stadt zu bespielen, wie es das Konzept der Neuen vorsieht, scheint zumindest gewagt. Selbst wenn das Festival bis zum 18. Oktober nur in loser Folge im (Vor-)Stadtbild auftauchen will und erst in den letzten zwei Wochen täglich: Um "ein Konzentrat dessen zu zeigen, was davor stattgefunden hat", so Gregorian.

Ein Trailer zeigt ein München, das das Tourismusmarketing nicht kennt und beweist, dass man auch da hingehen will mit freiem Tanz und Theater, wo die Stadt nicht so schmuck ist, die Menschen nicht so theateraffin und die freie Szene (noch) unbekannt. Kullukcu erzählt von einem Wohnprojekt von Geflüchteten in Berg am Laim und von Kindern in Neuperlach, obwohl sich das Festival für Kindertheater nicht zuständig fühlt. Es ist ein sehr hemdsärmeliger, aber nicht unsympathischer Auftritt, den das Team da hinlegt.

Aber es wird klar, welche Duftmarken es zu setzen gedenkt, um sich von seiner Vorgängerin Sarah Israel zu unterscheiden: Weg von etablierten Theaterorten, mehr und neues Publikum generieren, größere Sichtbarkeit, kein Szene-Best-of. Zu vielem davon hätten Israel und einige ihrer Vorgänger lebhaft genickt. Auf zusätzliche Schlagworte wie "Themen der Stadtgesellschaft aufgreifen", "kulturelle Teilhabe" und "soziale Gerechtigkeit" springt Biebl sofort an, weil er darin seine eigenen wiedererkennt. Aber sei's drum: Die drei sind sich des Versuchscharakters ihres Ansatzes bewusst und - in Gregorians Worten: "Wenn wir nichts versuchen, bleibt alles, wie es ist. Und das ist zu wenig." Für die Stadt, das Theater und seine Zuschauer. Und da hat er Recht.

Es stehen auch schon ein paar wenige Programmpunkte. So zum Beispiel Christiane Mudras performativer Stadtspaziergang zur NS-Vergangenheit und -Gegenwart Münchens als erster Garant für die "sozialkritische und politische Ausrichtung des Festivals" (Kullukcu) und eine "erweiterte Version" der Unfallauto-Installation "Hard Drive" vom O-Team. Außerdem können Künstler"audiovisuelle Projekte" einreichen, die von Georges Perecs Roman "Das Leben. Gebrauchsanweisung" inspiriert sind. Das Thema: Wohnen und Zusammenleben in der Stadt. Die anvisierte Dauer pro Projekt: 30 Sekunden bis zwei Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4683879
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.