Süddeutsche Zeitung

Theater:Und selbst wenn unsre Brüste blinken

Der Kulturbetrieb diskutiert über "Me Too" und Gleichstellung. Das Performance-Kollektiv "Henrike Iglesias" bringt diese Themen schon länger auf die Bühnen der Republik - sehr feministisch, sehr unterhaltsam.

Von Tatjana Michel

Henrike Iglesias hat der deutschen Theaterszene etwas voraus. Dort wurde zuletzt in offenen Briefen und Podiumsrunden darüber diskutiert, wie es um die Gleichstellung im Theater steht und wie sich etwas ändern könnte. Die vier Performerinnen des Kollektivs "Henrike Iglesias" bringen die Themen Feminismus und Gleichberechtigung schon seit Jahren auf die Bühnen der Republik.

Das konnte man zuletzt in dem Episoden-Abend "1968" der Münchner Kammerspiele erleben. In dem 15-minütigen Beitrag zu dieser Parade von Kurz-Inszenierungen geht es um die Frage, was sich seit 1968 für die Frauen, ihre Rechte und Wahlmöglichkeiten verändert habe. Dafür schweben die vier Mitglieder von Henrike Iglesias von der Decke, an Seilen gehalten, und rezitieren Daten und Fakten zum Thema Gleichberechtigung.

Die Umstände, über die sie sprechen, sind deprimierend: Nur 22 Prozent der Intendanzen am Theater haben Frauen inne, 70 Prozent der Stücke, die auf die Bühnen kommen, stammen von Männern. Doch die Inszenierung selbst ist alles andere als deprimierend. Die Superheldinnenkostüme von Anna Fries, Laura Naumann, Marielle Schavan und Sophia Schroth sind aus knallbunten Pailletten, Netz, Tüll und Samt. Sie tragen ausladende Perücken, viel Schminke und zwei von ihnen Hahnenkämme auf dem Kopf. Im Laufe der Performance fangen die Brüste von Anna Fries an zu blinken, und alle vier lassen regenbogenfarbene Sprungfedern von ihrem Schritt aus nach unten baumeln. Viel Disco-Nebel wabert um sie herum, Schweinwerfer strahlen sie von hinten an.

Bei einem Treffen in der Kantine der Kammerspiele ist das Kollektiv dann viel ernster, als es auf der Bühne den Anschein hat. Es ist der Mittag vor der vorerst letzten Inszenierung von "1968" in der vergangenen Woche. Die vier jungen Frauen sitzen schon länger um den Tisch und tauschen sich aus, während um sie herum der Essenslärm tobt. Wenn sie von Frauen sprechen, sagen sie wie selbstverständlich noch ein Sternchen hinterher, um auch alle einzuschließen, die sich als Frauen identifizieren. Man merkt gleich: Feminismus ist für diese Frauen nicht nur eine Performance auf der Bühne, sondern er bestimmt auch das tägliche Leben.

Darf man denn die Botschaft der Gleichberechtigung so unterhaltsam vermitteln?

"1968" ist für die ausgelassene Form, die Henrike Iglesias für ihr feministisches Theater wählt, nicht das einzige Beispiel. Auch die Produktion "GRRRRRL", die zuletzt in der Schwankhalle in Bremen lief und in der dafür plädiert wird, dass Frauen sich trauen, böser zu sein, und das Stück "Heldinnen", das am Theater Bielefeld läuft, kommen in ähnlichen Aufmachungen daher. Der Gegensatz zwischen ihren Themen und ihrem Auftreten ist den vier Performerinnen durchaus bewusst: "Uns geht es genau darum: dass man als Frau ernst genommen wird, egal wie man aussieht oder wie man sich darstellt", sagt Sophia Schroth, und Laura Naumann ergänzt: "Dass man Frauen selbst dann zuhört, wenn ihre Brüste blinken oder ihr Schritt".

Henrike Iglesias haben die vier Mitglieder 2012 in Hildesheim gegründet, während eine Hälfte dort Kulturwissenschaften und die andere Hälfte Kulturjournalismus studierte. Mit ihren poppigen, unterhaltsamen Darstellungsweisen ist das Kollektiv auch ein Produkt der digitalen Medien und eines Konsumzeitgeistes. "Unsere Performances sind bewusst konsumierbar und bedienen sich der Codes, die jede*r versteht. Das ist unsere Strategie, um die Zuschauer zu erreichen und eine feministische Botschaft vermitteln zu können", sagt Laura Naumann im Kantinenlärm. Ein solcher popkultureller Code war auch namensgebend für die Performancegruppe, die weibliche Form des extrem erfolgreichen spanischen Pop- und Machosängers Enrique Iglesias.

Anfangs hieß es in Kritiken über den Ansatz von Henrike Iglesias, dieselben Themen seien von anderen schon besser bearbeitet worden und die Darstellungen würden außerdem dem ernsthaften Anliegen des Feminismus nicht gerecht. Die jüngsten Bewegungen wie "Me Too" und "Times's Up" aber haben dem Kollektiv den Rücken gestärkt."Gerade wird allen klarer, dass die Hauptsache erst mal eine gemeinsame Richtung ist. Es geht mittlerweile weniger um die Darstellungsformen oder unsere darstellerischen Fähigkeiten und mehr um die Inhalte. Gerade findet sich eine große Solidarität unter Menschen, denen diese Themen wichtig sind", findet Marielle Schavan.

Viel kommt aus eigener Erfahrung - das "kostet mich viel Kraft", sagt eine der Performerinnen

Doch nicht nur popkulturelle Anleihen, digitale Phänomene und wilde Kostüme ziehen sich durch die Performances von Henrike Iglesias. Hinzu kommt eine bewusste, geradezu antidramatische Subjektivität. "Wir achten darauf, dass wir in dem, was wir machen, aufrichtig sind. Dass jemand auf der Bühne wirklich sagt, was er oder sie denkt, passiert selten im Theater. Das hat ja schon fast etwas Kitschiges. Aber diese Aufrichtigkeit stellt eine Verunsicherung her, bei uns und bei den Zuschauern, die produktiv sein kann", sagt Marielle Schavan. Ein übertrieben häufiges Bitten um Entschuldigung, die Reaktionen der Außenwelt auf den eigenen Körper und die Weiblichkeit - die auf der Bühne behandelten Themen scheinen tatsächlich den eigenen Erfahrungen entnommen zu sein. Auch denen von Anna Fries: "Mich persönlich macht es verletzlich, wenn ich so viel von mir gebe und zeige. Das zu tun, was wir tun, kostet mich viel Kraft. Aber ich mache das aus Überzeugung und nicht, weil ich Exhibitionistin bin".

Daher kommen wohl Männer auch oft nur am Rande vor. In "1968" dürfen sie in einer Lotterie Versprechen ziehen, durch die sie den Feminismus im Alltag voranbringen sollen. Zum Beispiel: "Ich verspreche, dass ich Frauen* auch unterstützen werde, wenn sie nicht mit mir schlafen wollen oder ich nicht mit ihnen schlafen will." Die Fokussierung auf Frauen als Zielgruppe ihrer Stücke will Marielle Schavan gar nicht bestreiten: "Oft heißt es, dass man vor allem Männer überzeugen und ihr Denken verändern müsse, weil die es sind, die es noch nicht verstanden haben. Unser Ansatz ist aber eher, dass wir noch viel mehr Frauen bestärken müssen. Wenn alle Frauen enpowert durch die Welt laufen, dann wird sich der Rest viel einfacher fügen".

Im Lauf des Gespräches erzählt Anna Fries von einem Video, das sie kürzlich gesehen hat. Darin wurden Passanten auf der Straße befragt, wann nach ihrer Annahme die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt weltweit erreicht sein werde, wenn wir im jetzigen Tempo weitermachten. Die Antworten der Befragten reichten von zwei bis zu zwanzig Jahren. Tatsächlich geht der "Global Gender Gap Report" aus dem Jahr 2017 jedoch von 217 Jahren aus, wenn sich weiterhin nur so langsam etwas bewegt. "Deswegen werden wir so lange weitermachen, bis wir endlich bei einer Gleichberechtigung angekommen sind".

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Quelle:
SZ vom 27.03.2018
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