Theater:Ums Überleben

Wer Hunger hat soll Vöger gucken Theater Blaue Maus

In die Ecke gedrängt beim Anstehen um ein paar Lebensmittel.

(Foto: Holger Borggrefe)

Robert Spitz übernimmt in prekärer Lage das Theater Blaue Maus und zeigt als erstes eine erstaunliche finnische Entdeckung

Von Egbert Tholl

Als Claus und Sigi Siegert Ende 2017 beschlossen, die Leitung des Theaters Blaue Maus in Neuhausen abzugeben, ging nicht nur eine Ära von 25 Jahren zu Ende, sondern man musste eine Zeit lang befürchten, dass nun wieder eine der noch verbliebenen Spielstätten der freien Szene zu verschwinden droht. Das kleine Kellertheater in der Elvirastraße ist für 44 Zuschauer zugelassen; mithin ist es schlichtweg unmöglich, mit den Einnahmen der Abendkasse eigene Produktionen zu finanzieren. Zudem ist der Raum, sagen wir mal, ein bisschen problematisch zugeschnitten.

Aber dem Kulturreferat war am Erhalt der Spielstätte durchaus gelegen, der Verein Inkunst trat auf den Plan, der schließlich Robert Spitz überredete, die Leitung der Blauen Maus zu übernehmen. Spitz hat schon in Filmen von Achternbusch mitgespielt, hatte Engagements an den drei Münchner Theatern und in Hamburg, hat Erfahrung mit Regie, eben auch für Inkunst, und verfügt über die nötige Unverdrossenheit, das nicht ganz unproblematische Theater zu übernehmen. Außerdem verfügt er über gute Kontakte zu namhaften Theaterleuten.

Die Aussichten sind also gar nicht so schlecht, könnten aber viel besser sein. Denn für das Jahr 2018 erhält die Blaue Maus - der Name ist kein Kinderscherz, sondern rührt von der Vorliebe der Siegerts fürs Absonderliche her - keine Spielstättenförderung; eine solche kann Spitz erst ab 2019 beantragen. Der Plan, mittels geförderter Projekte ein Jahr über die Runden zu kommen, ging nicht auf: Die in kulturpolitischen Belangen oft in weiten Teilen eher bizarr argumentierende Förderjury lehnte jeden der fünf eingereichten Anträge ab.

Kleiner Exkurs: Die Gruppe Fux, die eben mit ihrer langweiligen "Granteloper" für zwei Tage den Spielplan der Münchner Kammerspiele ergänzt hat, erhielt für diese aus einer Koproduktion zwischen Kammerspiele, Frankfurter Mousonturm und HAU Berlin entstandenen Arbeit zusätzlich 45 000 Euro aus dem Topf zur Förderung der freien Theaterprojekte in München. Aber das war ja bereits 2017.

Spitz braucht Geld, aber jetzt macht er erst einmal Theater. Stellt sechs Schauspieler auf die Bühne, keine Ahnung, wie er die bezahlt. Er krempelt die Bühne um und lässt sich von der Dramaturgin Barbara Kastner ein fabelhaftes Stück entdecken. Im Original heißt es "Leipäjonoballadi", auf Deutsch "Wer Hunger hat soll Vögel gucken", die Finnin E. L. Karhu schrieb es vor zehn Jahren, da war sie 26 Jahre alt.

Nun kann man ihr Stück zum ersten Mal auf Deutsch erleben; es ist eine vielstimmige Ballade des Überlebens, die in ihrer Lakonie erinnert an Kaurismäkis Filme, in ihrer Absonderlichkeit an Sorokins Roman "Die Schlange" und hat doch einen ganz eigenen, kristallklaren Ton. Und: E. L. Karhu hat eine Wut. Davon erzählt schon der deutsche Titel. Durch das Stück schwebt die Figur des Franziskus von Assisi, die ein mittelloses Leben empfiehlt, denn Gott der Herr ernähre alle seine Geschöpfe, man müsse sich nur die Vögel angucken. Das ist einer der Momente, an denen Karhu ganz hart und zynisch wird, aber es immer noch schafft, ihre Bitterkeit hinter situativer Komik zu verbergen. Fast zumindest.

Robert Spitz nimmt den Text so rau und offen wie er ist, schafft nur mit den sechs Darstellern beziehungsreiche Bilder. Wörtlich: Die Bühne besteht aus nichts außer drei leeren Bilderrahmen, die gefüllt werden von Cristina Andrione, Thomas Höltzel, Angelika Linder, Marie Nüzel, Peter Papakostidis und Henrietta Teipel. Sie spielen und erzählen Geschichten gleichermaßen, Geschichten von der und gegen die Kälte zwischen den Menschen, vom Anstehen um Lebensmittel, von zynischen Experimenten, ob der Mensch sich auch von Flechten ernähren könnte. Die "mittellose Kernfamilie" ist am Verhungern, Angelika Linder tanzt dazu Hungerleider- oder nie erreichbare Edel-Rezepte, Cristina Andrione erzählt rührend den Niedergang eines Mädchens in den Tod und: "Hunger ist der beste Koch."

Wer Hunger hat soll Vögel gucken, Theater Blaue Maus, Elvirastraße 17a, bis Anfang März

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