Theater Stuttgart:Krasse Küsse

Last Park Standing

Frauen im Gezipark: Josephine Köhler als Umut.

(Foto: Björn Klein)

Nuran David Calis inszeniert mit "Last Park Standing" eine Frauenliebe im Gezi-Park - und scheitert.

Von Adrienne Braun

Die beiden hat es erwischt. "1000 Schmetterlinge" haben sie im Bauch, flirten, kichern, balgen sich, man kennt das. Trotzdem ist es ein ungewohntes Bild, wie Umut und Janina auf der Bühne des Stuttgarter Kammertheaters übers Bett kullern und küssen. Ebru Nihan Celkan verhandelt in ihren Stücken selbstverständlich, was in der Theaterliteratur bis heute nicht ernsthaft angekommen ist: sexuelle Vielfalt. Deshalb sind die beiden Hauptfiguren von "Last Park Standing" Frauen. Die eine aus Berlin, die andere aus Istanbul. Und das ist das Problem: Umut ist Aktivistin, die die Türkei nicht verlassen will. "Ich bleibe hier, verdammt."

Vermutlich hat auch Ebru Nihan Celkan schon auf dem Taksim-Platz die Regenbogenfahne geschwungen. Und wie ihre Hauptfigur hat auch sie sich entschieden, in der Türkei für bessere Zustände zu kämpfen, selbst wenn die längst auch in Deutschland tätig ist. Im Schauspiel Stuttgart hatte "Last Park Standing" seine deutschsprachige Erstaufführung, ein Stück, das die Lebenswelt der jungen Generation künstlerisch aufgreift.

Ein Großteil der Handlung wird über Videonachrichten transportiert, die die jungen Frauen zwischen Berlin und Istanbul hin- und herschicken. Wenn die Mädchen auf dem Smartphone durch die Bilder scrollen und "Warte, warte, warte" rufen, dann ist das eine vertraute Szene.

"Last Park Standing" erzählt das persönliche Schicksal der zwei Frauen während der Aufstände 2013 in Istanbul. Hier heißt es beiläufig "Alter, warum fällen die die ganzen Bäume?", dort werden "Hyänen" erwähnt, die immer in den Morgenstunden kämen. Plastisch werden die Ereignisse in der Türkei allerdings nicht. Denn das Konzept - die Drastik der politischen Situation durch die pathetische Überhöhung der jugendlichen Liebe spürbar zu machen - geht nicht auf. Zu oft setzt die Autorin auf Plattitüden und auf schlichte Umgangssprache, auf "krass" und "es sind alle von der Rolle", garniert mit poetischen Ausreißern wie "In mir ist alles voller Scherben."

Der Regisseur Nuran David Calis versucht mit stimmungsvollen Bildern zu kompensieren, dass dem Stück jegliche Kunstfertigkeit abgeht. Das Bühnenbild von Irina Schicketanz ist halb gläsernes Labyrinth, halb Wintergarten. Das Stroboskop blitzt, die Nebelmaschine gibt, was sie kann und verwandelt die Figuren immer wieder in geheimnisvolle Schemen, die durchs Urwaldgrün geistern. Die beiden Darstellerinnen Anne-Marie Lux als Janina und Josephine Köhler als Umut machen ihre Sache zwar gut, doch die Kluft ist groß zwischen farblosem Realismus und plötzlichem Pathos, etwa wenn sie dramatisch Gesicht und Hände an die Glasscheiben pressen.

Der Name Umut bedeutet Hoffnung. Ebru Nihan Celkans Verdienst es ist, das Theater diverser zu machen. Sie vermittelt sehr ernsthaft, dass sie die Hoffnung auf eine Öffnung der Türkei nicht fahren lassen will. Man solle bitte nachdenken auch über das, was man nicht sieht und hört, schickt sie in einem Prolog dem Stück voraus.

Das Tragische an "Last Park Standing" ist aber, dass die zelebrierte große Liebe und das Pathos verhindern, dass sich Mitgefühl an den Schicksalen der Menschen oder Interesse an den Missständen in der Türkei einstellt. Das große politische Thema schnurrt letztlich zusammen auf die profane Frage, die sich auch bei Wochenendbeziehungen zwischen Gelsenkirchen und Butzbach stellt - ob man für die Liebe die Heimat verlässt oder nicht.

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