Theater:Spring Awakening

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Reproduktion: SZ (Foto: N/A)

Vor 100 Jahren starb der Wüterich Frank Wedekind. Sein Stück "Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie" wird jetzt in einer Musical-Version an der Schule in Florida aufgeführt, an der das jüngste Amok-Massaker stattfand.

Von Willi Winkler

"Er knarrt, wenn er schreitet. Er krächzt, wenn er spricht. Seine Nase ist steil und kühn", hat Hugo Ball notiert, bestimmt nach Augenschein. "Wenn er auf der Straße der Elektrischen begegnet, zwingt er sie auszuweichen." Thomas Mann, der um die gleiche vorletzte Jahrhundertwende durch München schritt, wird deshalb erst recht einen Bogen um dieses wilde Tier gemacht haben, das sich am liebsten als theatralisches Scheusal inszenierte. Frank Wedekind, vor hundert Jahren gestorben, hat die Zeitgenossen mit seinen Schöns, Geschwitzens, Schwigerlings und vor allem den männerfressenden Lulus weidlich erschreckt.

Noch der valentinoide Bänkelsänger Brecht zehrte von seinem Krächzen, eiferte ihm nach im antibürgerlichen Exzess, aber vierfünftelvergessen ist der Wüterich trotzdem. Sein Trauerspiel "Frühlings Erwachen", 1891 geschrieben, aber des angeblich pornografischen Inhalts wegen erst fünfzehn Jahre später uraufgeführt, wäre es auch so ziemlich, erlebte es nicht in diesen Wochen eine Wiederauferstehung, die so wundersam ist wie die von Moritz in der letzten Szene dieser "Kindertragödie". Die Theatergruppe der Marjorie-Stoneman-Douglas-Highschool in Florida, an der sich das jüngste Schulmassaker ereignete, spielt "Spring Awakening", eine Musical-Version von Wedekinds Stück um die frühschwangere Wendla und den schulverzweifelten Moritz. Die Verschwörungstheoretiker, die zu wissen glaubten, dass die Schüler mit ihrer Eloquenz von den Feinden der Trump-treuen Ballermänner gecastet sein mussten, hatten gar nicht mal ganz Unrecht. Die im Fernsehen so wirkungsvoll für ihre erschossenen Mitschüler und gegen das US-Waffenrecht und die National Rifle Association (NRA) auftraten, waren zum Teil wirklich Schauspieler, nämlich Akteure in der ewigen Jugendtragödie des Erwachsenwerdens. Wedekinds Mutter fühlte sich von einem "Eisenbahnzug überrollt", als sie das Stück las, und es wirkt offensichtlich bis heute. "Der Geist Wedekinds lebt weiter", twitterte Duncan Sheik, Co-Autor des Musicals, "und hält die Füße gegen das Feuer der Arschlöcher von der NRA und dieser ganzen Bande." Es wird Frühling, sogar in den USA.

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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