Theater:Sieh mich an!

Bregenz Rahel Jankowski

Diese Gräfin (Rahel Jankowski) wartet auf Napoleon - und erkennt ihn im Zuschauer.

(Foto: Heinz Holzmann)

Bei einem außergewöhnlichen und intensiven Theatererlebnis in Bregenz wird der einzelne Zuschauer zum Anspielpartner

Von Christiane Lutz

Man riecht die Schauspieler, sieht ihre Augenlider zucken, wenn sie auf Zentimeter nahe kommen. Wer es zulässt, wird von einem rüpelhaften Mann in die Ecke eines winzigen Zimmers gedrängt. Ein Urmensch streckt die Hand aus und berührt einen fragend am nackten Arm. "So weiche Haut", sagt er. Das geht nur gut, weil er genauso verunsichert wirkt, wie man selbst. Das Spiel mit der Nähe, der Intimität, das macht das Theater von Bernhard Mikeska aus.

Im Kulturzentrum Magazin 4 in Bregenz hat der Regisseur für das Landestheater Vorarlberg eine seiner Theaterbegegnungen inszeniert. In "Diorama Bregenz :: Der letzte Mensch" begegnen einzelne Zuschauer an verschiedenen Stationen je einem Schauspieler, der für sie spielt. Wobei es viel mehr ein Anspielen ist, manchmal eine Aufforderung, Dinge zu tun. Wer sich einlassen kann, wird mit einem intensiven Theatererlebnis belohnt. Wer nicht, wird sich quälen. Eine recht mutige Setzung der Intendantin Stephanie Gräve.

Diesmal bewegt sich der Zuschauer durch ein fiktives "Museum für Völkerkunde und Stadtgeschichte Bregenz". Bei Bauarbeiten sei das Skelett eines Urmenschen gefunden worden, vielleicht der letzte Überlebende einer Katastrophe? Der folgende Rundgang zeigt, dass der letzte Mensch nicht der einzige Einsame ist. Man begegnet nicht nur dem Urmenschen (Daniel Blum) in einer kleinen Wohnküche, sondern auch drei historischen Figuren. Da ist Emilia Victoria Kraus (Rahel Jankowski), erst von Napoleon geliebt, dann von ihm abserviert. Dann landet man im Wohnzimmer des Schweizers Paul Grüning (Rolf Mautz), der als Polizist 3000 Juden das Leben rettete und als Dank nur einen Farbfernseher bekam. Am Ende trifft man auf Stephanie Hollenstein (Jeanne Devos), Künstlerin und stramme Nationalsozialistin, die in einem leeren Ausstellungsraum auf ihre Werke und auf Anerkennung wartet.

Mutig werfen sich die Schauspieler jedem Besucher entgegen, furchtlos halten sie allen Blicken stand, nähern sich, weichen zurück, stellen Fragen. Die Figuren sind von großer Kraft, teilweise Zerbrechlichkeit (Text: Lothar Kittstein und Bernhard Mikeska). Alle sind einsam, alle sind auf ihre Weise so verloren wie der fiktive letzte Mensch. Schade: Bei dem Rundgang hört man die Geräusche aus den Nachbarzimmern. Das lenkt etwas ab, lässt sich aber vermutlich technisch nicht anders lösen.

Um historische Wissensvermittlung geht es Mikeska bei diesem Museumsbesuch nicht. Die Texte werfen einen Blick in die Seele der historischen Figuren, statt ihre Biografien zu erzählen. Die sinnliche, körperliche Erfahrung steht bei ihm vor der inhaltlichen.

Und der kann man sich nicht entziehen. Es ist eng in den Räumen, zu eng, von oben strahlt schonungslos grelles Licht. Ein Verstecken im dunklen Zuschauerraum ist unmöglich, wer kommt, wird beobachtet. Man ist selbst Ausstellungsobjekt in diesem Museum der Einsamen. "Der letzte Mensch" funktioniert dabei radikaler als etwa "Playing :: Karlstadt", Mikeskas letzter Produktion in München, bei der Zuschauer und Schauspieler noch durch Kopfhörer getrennt waren. Eine letzte, schützende Form der Distanz. In Bregenz treibt Mikeska die Besucher bewusst in die Enge, vor allem die Begegnung mit Polizist Grüning in dem winzigen Kämmerchen droht ins Unerträgliche zu kippen. Ob damit gefühlt Grenzen überschritten werden, ist zwar höchst subjektiv, aber ein paar mehr Schlupflöcher, ein paar mehr Atempausen hätten "Diorama :: Bregenz" gut getan, um auch die zögerlichen Zuschauer mitzunehmen. Denn aufregend und ungewöhnlich ist Mikeskas Eins-zu-Eins-Theater nach wie vor.

Diorama Bregenz :: Der letzte Mensch, Freitag, 17. Mai und weitere Termine, Landestheater Vorarlberg, Bregenz

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