Süddeutsche Zeitung

Theater:Sein Anhängsel

Das Stuttgarter Theater Rampe zeigt ein Stück über Edward Snowden und dessen Freundin Lindsay Mills. Es geht nicht nur um Liebe in virtuellen Zeiten, sondern auch um Überwachung.

Von Adrienne Braun

Als Edward Snowden vor der Überwachung im Netz warnte, scheint ausgerechnet seine Freundin Lindsay Mills nicht zugehört zu haben. Während er die Veröffentlichung der Spionagetätigkeiten des US-Geheimdiensts vorbereitete, fütterte sie das Internet munter mit Details aus ihrem Liebesleben und lud freizügige Fotos hoch. "Abenteuer einer weltreisenden, pole-tanzenden Superheldin" überschrieb Mills ihren Blog, der nach Snowdens Enthüllungen 2013 vom Netz ging. Inzwischen postet Mills wieder, veröffentlicht erotischen Kunstkitsch und seichte Stimmungslyrik. Sie lebt bei Snowden in Russland.

Als "Stripperin", als "Frau mit den schönen Beinen" geisterte Lindsey durch die Medien, aber diese Frau, die kopfüber Spagat machen kann, "hatte auch ein Leben", wie es im Stuttgarter Theater Rampe nun heißt. Der Schweizer Autor Daniel Mezger hat in einer Art Dokufiktion das ersonnen, was hinter den Schlagzeilen stecken könnte. Sein Stück "Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein" lotet die menschliche Dimension aus von Mills Beziehung zu dem "Mann mit dem Gewissen", wie die Bühnen-Lindsey ihn bezeichnet. Ed, "der Staatsverräter, das Symbol, der Held" - Lindsey das Anhängsel.

Marie Bues hat bei der Uraufführung Regie geführt. Sie hat das Theater Rampe gemeinsam mit Martina Grohmann zu einem erfolgreichen Produktionshaus für zeitaktuelles Autorentheater und neue Formate entwickelt. Bues und Grohmann sind gewiefte Netzwerkerinnen, die mit zahlreichen Kollektiven und Theatern kooperieren. Mitte des Monats bringen sie am Staatstheater Karlsruhe gemeinsam mit der Akademie Schloss Solitude schon das nächste Stück heraus - über Datenmüll.

"Edward Snowden steht hinterm Fenster und weckt Birnen ein" wurde mit zwei Schweizer Bühnen koproduziert und ist ein Stoff, der passgenau auf das Rampe-Publikum zugeschnitten ist, das sich stark verjüngt hat. In einem Stangenwald versucht Katharina Behrens als Lindsey ihr neues Leben zu sortieren. Eifersüchtig beäugt sie im Fernsehen die Journalistin Sarah Harrison, die Snowden begleitet. Sie hätte ihre Liebe "in Einmachgläser stopfen sollen", sagt sie und versucht in Kontakt mit dem abgetauchten Ed zu kommen.

Gekonnt verknüpfen Bues und Mezger die Beziehung des Whistleblowers mit aktuellen Themen. Freiheit versus Verbundensein, virtuelles Erleben anstelle von realem Kontakt. Fernsehbilder werden eingeblendet, während beiläufiges Rauschen, Fiepsen und Knistern an die stete Überwachung erinnert. Mezger hat Mills den geheimnisvollen Nachbarn Armin (Dennis Schwabenland) an die Seite gestellt, Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes - oder vielleicht auch nur ein armer Tropf, der mit einem Bot liiert ist, einer Frau, hinter der ein Computerprogramm steckt. "Keiner versteht mich so gut wie sie."

Selbst dem Saugroboter, der so putzig über die Bühne schnurrt, ist nicht zu trauen, seine indiskreten Aufnahmen im Hause Snowden werden als Videos eingespielt. Und so wird keineswegs nur die fiktive Beziehungskiste erzählt, sondern durchgespielt, auf welche Herausforderungen sich die Liebe in der virtuellen Zukunft wird einstellen müssen. Mezgers Prognose ist ernüchternd. Snowdens Enthüllungen, heißt es, hätten für Deutschland "in jedem Fall etwas gebracht". Die zahllosen Spielarten der Überwachung seien inzwischen legalisiert.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2018
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